Zum 1. Januar 2022 gibt es eine Änderung des Außensteuergesetzes (AStG), indem die Europäische Anti-Steuerungsminderungsrichtlinie umgesetzt wird. So wird auch die Wegzugsbesteuerung (§ 6 AStG) ab dem kommenden Jahr neu gefasst. Vom Start-up-Unternehmer bis zum Gesellschafter im Familienbetrieb ist potenziell jeder Unternehmer mit einer Beteiligung von mindestens einem Prozent an einer Kapitalgesellschaft (GmbH, AG), der seinen Wohnsitz ins Ausland verlagern will, betroffen.

"Es droht eine erhebliche Steuerbelastung ohne Liquiditätszufluss; wir Steuerrechtler nennen das ‚Dry Income‘", erklärt Rechtsanwalt und Steuerberater Helge Schubert von der Kanzlei ROSE & PARTNER in Hamburg. Mit der Wegzugsteuer sichert Deutschland die Besteuerung der Wertzuwächse bei Beteiligungen. 

Hintergrund dieser Steuer ist, dass mit einem Wegzug die meisten Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht am Gewinn aus Veräußerung von privat gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft dem Wohnsitzstaat zuweisen. Im Falle eines Wegzugs geht damit in vielen Fällen das Besteuerungsrecht für Deutschland verloren. "Ein Wegzug kann auch vorliegen bei einer unentgeltlichen Übertragung auf eine nicht steuerpflichtige Person oder wenn zwar noch ein Wohnsitz in Deutschland besteht, der Lebensmittelpunkt sich aber in ein anderes Land verlagert", so Fachanwalt für Steuerrecht Dr. Deniz Hoffmann von ROSE & PARTNER. 

Verschärfung bei Wegzug innerhalb der EU/EWR

Die neue Wegzugsteuer führt insbesondere bei Wegzügen innerhalb der EU/EWG zu einer erheblichen Verschärfung. Gab es bei solchen Wegzügen bislang eine zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung bis zur Veräußerung bzw. der Realisation von einigen Ersatztatbeständen, wird nunmehr eine Wegzugsteuer festgesetzt. Die Wegzugsteuer wird damit an steuerlicher Brisanz zunehmen. "Auch Unternehmer, die als Einzelunternehmer oder Personengesellschaft tätig sind, können einer Wegzugsteuer unterliegen. Dort greift die sogenannte Entstrickungsbesteuerung", so Helge Schubert.

Verkürzter Zeitraum für Steuerpflichtige

Der persönliche Anwendungsbereich der Wegzugsteuer liegt künftig bei Personen vor, die innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem Wegzug sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sind. 

Das ist Verschärfung und Erleichterung zugleich. Bis 2022 waren zehn Jahre erforderlich. Die konnten aber auch beispielsweise mit einer Kindheit in Deutschland erfüllt werden. Für Zuzügler greift die Wegzugsteuer künftig schneller. 

Keine Differenzierung bei Wegzug mehr

Nach bisheriger Rechtslage ist die geschuldete Steuer bei einem Wegzug in ein anderes Mitgliedsland der EU/EWR zeitlich unbegrenzt, unverzinslich und ohne Sicherheit zu stunden, solange der Steuerpflichtige Staatsangehöriger eines EU-/EWR-Staates ist und weiter seine Anteile hält. 

Achtung: Ab dem kommenden Jahr wird die dauerhafte Stundung abgeschafft. Die bis jetzt geltende Differenzierung zwischen einem Wegzug innerhalb der EU/EWR und einem Drittland wird aufgegeben. 

Die Ewigkeitsstundung wird durch eine Ratenzahlung ersetzt. Die festgesetzte Wegzugsteuer kann in sieben Jahresraten beglichen werden. "Die besonders häufigen Umzüge innerhalb der EU/EWR werden damit erheblich erschwert. Konnte bislang praktisch sorglos innerhalb der EU umgezogen werden, muss jetzt sehr genau geplant und gegebenenfalls auch gestaltet werden", erläutert Steuerexperte Hoffmann.

Weitere Änderungen bei Rückkehrwillen

Die Rückkehrregelung wird zugunsten der Steuerpflichtigen erweitert. Wie bisher entfällt der Steueranspruch bei Rückkehr, die Rückkehrfrist wird dabei von fünf auf sieben Jahre erweitert. Es bleibt eine Verlängerungsoption von fünf Jahren. Setze die Rückkehrregelung bislang die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Auswanderung aus beruflichen Gründen voraus, solle künftig die zutreffende Erklärung, man wolle nach Deutschland zurückkehren, ausreichen.

Keine Berücksichtigung von Wertminderungen

Wertminderungen nach Wegzug sollen künftig nicht mehr zu berücksichtigen sein - auch nicht im Stundungszeitraum. Dies ist eine ganz bedeutsame Verschärfung, die potenziell europarechtswidrig ist. 

Vermehrter Druck auf Steuerpflichtige

Angesichts der überwiegenden Verschärfungen nimmt der Druck auf Steuerpflichtige zu, vor dem Wegzug die Steuerfolgen genau zu durchdenken und gegebenenfalls auch durch Gestaltung das Besteuerungsrecht von Deutschland trotz Wegzug abzusichern, um erhebliche Steuerzahlungen ohne Liquiditätszufluss zu vermeiden.