Zwei BAG-Urteile: Wann Urlaubansprüche nicht verfallen dürfen
Wer seinen bezahlten Jahresurlaub nicht nimmt, muss damit rechnen, dass er nach einiger Zeit verjährt. Doch wann beginnt die Verjährungsfrist genau und wie müssen sich Arbeitgeber verhalten? Was ist, wenn Mitarbeiter erkranken? Dazu gibt es zwei aktuelle BAG-Urteile.
Immer dann, wenn Arbeitgeber ihren Hinweis- und Informationspflichten nicht nachkommen, kann dies dazu führen, dass Urlaubsansprüche nicht verjähren und noch lange rückwirkend geltend gemacht werden können. Dazu gab es Ende 2022 zwei Urteile vom Bundesarbeitsgericht:
Fall 1: Urlaub musste abgegolten werden
In dem einen verhandelten Fall ging es um eine Arbeitnehmerin, die zwischen 1996 und 2017 bei einem Unternehmen beschäftigt war. Nach Ende des Arbeitsverhältnisses zahlte ihr der Arbeitgeber den restlichen Urlaub aus. Dabei berücksichtigte er die Tage nicht, die aus seiner Sicht bereits verjährt waren, womit die Arbeitnehmerin nicht einverstanden war.
Während das Arbeitsgericht in erster Instanz die eingereichte Klage abwies, sprach das Landesarbeitsgericht in der Berufungsinstanz der Arbeitnehmerin weitere Urlaubstage zur Abgeltung zu. Den Einwand des Arbeitgebers, dass die Urlaubsansprüche mittlerweile verjährt seien, akzeptierte das LAG nicht.
Das wollte der Arbeitgeber nicht hinnehmen. Seine Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte jedoch keinen Erfolg. Zwar befanden die BAG-Richter, dass die Vorschriften über die Verjährung auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung finden (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB).
Allerdings urteilten sie, dass die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres beginne, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat und in dem der Arbeitnehmer den Urlaub trotzdem nicht genommen hat.
Vorgaben des EuGH umgesetzt
Das Bundesarbeitsgericht hat damit die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22. September 2022 (Az. C-120/21) umgesetzt. Demnach hat der Urlaubsanspruch Vorrang, weil er die Gesundheit eines Mitarbeiters schützen kann. Dahinter tritt die Verjährung, deren Zweck ja die Gewährleistung von Rechtssicherheit ist, zurück.
Arbeitgeber können Rechtssicherheit herstellen, indem sie ihre Arbeitnehmer auf ihre Urlaubsansprüche hinweisen. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweispflichten versäumt und die Beschäftigte damit nicht in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen.
Deswegen sind die Ansprüche nicht am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen. Sie verjährten auch nicht während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren. Die Arbeitnehmerin hat den Anspruch auf Urlaubsabgeltung also noch innerhalb der Verjährungsfristen erhoben.
Fall 2: Auch bei langen AU-Zeiten können Urlaubsansprüche erhalten bleiben
Im anderen Fall konnte ein Arbeitnehmer wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen keine Arbeitsleistung erbringen und dadurch auch seinen Urlaub nicht nehmen. Den daraus entstandenen Resturlaub wollte er gerichtlich geltend machen, obwohl dieser bereits verjährt war. Als Begründung gab er an, dass der Arbeitgeber seiner Pflicht nicht nachgekommen war, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken.
Zunächst hatte der Arbeitnehmer keinen Erfolg, die Vorinstanzen wiesen seine Klage ab. In der Revision wurde dann überwiegend zu seinen Gunsten entschieden: Tatsächlich verfiel der Urlaubsanspruch nicht, weil der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweispflichten nicht nachgekommen war und ihn damit nicht in die Lage versetzt hatte, den Urlaub zu nehmen.
Bisher wurde dies anders gehandhabt. Wenn Arbeitnehmer ihren Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnten, verfiel der Anspruch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres ("15-Monats-Frist").
Es kommt darauf an, ob im Urlaubsjahr noch gearbeitet wurde
Das BAG hat diese Rechtsprechung nun aufgrund der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 22. September 2022 weiterentwickelt.
Weiterhin gilt: Der Urlaubsanspruch verfällt mit Ablauf der 15-Monats-Frist, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub während der gesamten Frist aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnte. Dann kommt es auch nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten nachgekommen ist, weil sein Hinweis nicht dazu geführt hätte, dass der erkrankte Arbeitnehmer den Urlaub hätte nehmen können.
Neu: Anders verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich noch gearbeitet hat, bevor er arbeitsunfähig geworden ist. In diesem Fall verfällt der Urlaubsanspruch nur dann, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.
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