Mainz, 17. Mai 2022. Digitale Gesundheitsanwendungen, kurz "DiGA" bieten große Chancen für die Gesundheitsversorgung. Darüber sind sich Politik, Kassen und Hersteller einig. Um die Erstattungsfähigkeit durch die gesetzliche Krankenversicherung möglichst schnell zu ermöglichen, hat man sich vor rund anderthalb Jahren auf ein zügiges Verfahren, dem sogenannten "Fast Track" beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), verständigt. Nachdem das BfArM die DiGA hinsichtlich verschiedener Kriterien wie etwa Sicherheit, Qualität und Datenschutz geprüft und eine Aufnahme in das Verzeichnis bewilligt hat, folgt meist (wenn noch keine Daten vorliegen) eine einjährige Erprobungsphase, in welcher der DiGA- Hersteller beweisen muss, dass das Produkt tatsächlich wirksam ist.

"Aktuell bedeutet das, dass die Versichertengemeinschaft die Kosten für DiGA übernimmt, obwohl der Nutzen für Patientinnen und Patienten noch in Frage steht und vielleicht sogar überhaupt nicht erbracht werden kann. Es ist daher dringend erforderlich, bei den Bewertungskriterien des BfArM nachzuschärfen und Anpassungen vorzunehmen", fordert der Landesvertretungsleiter der Techniker Krankenkasse (TK) in Rheinland-Pfalz, Jörn Simon, anlässlich der 9. Medtech des Wirtschaftsministeriums Rheinland-Pfalz, bei der Simon zu dem Thema referiert. Bei einer DiGA-Zulassung muss der Nutzen für die Versicherten im Vordergrund stehen, ist Simon überzeugt. 

Fristverlängerung ist eher Regel als Ausnahme

Tatsächlich haben nur einige der DiGA-Hersteller bislang binnen der einjährigen Erprobungsphase den nötigen Nutzennachweis erbracht. Eine Fristverlängerung durch das BfArM ist daher aktuell eher die Regel als die Ausnahme. "Ergo erstattet die GKV seit zwei Jahren digitale Anwendungen ohne hinreichende Evidenz. Vergleicht man dies mit den Hürden, die bei der Einführung neuer Medikamente oder auch für neue Impfstoffe zu nehmen sind, sind hier doch stärkere Regulierungs- und Kontrollmechanismen notwendig", so Simon. Denn die Preise, welche DiGA-Hersteller bisweilen aufrufen, sind kaum angemessen: Im ersten Jahr kostet eine DiGA durchschnittlich rund 475 Euro für 90 Tage - die teuerste unter ihnen bringt es auf über 740 Euro. Das ist weitaus mehr, als manche analoge Behandlung für die entsprechende Erkrankung kosten würde. "Letztere sollten aber idealerweise bei der Preisfindung zur Orientierung dienen", betont Simon.

Preisniveau: Es braucht wirksamere Mechanismen

Im Dezember 2021 wurde zwar eine Höchstpreisbremse eingeführt, diese greift allerdings erst ab 2.001 Verordnungen und führt nach ersten Modellrechnungen lediglich zu einer Preisreduktion von 6,6 Prozent", gibt Simon zu bedenken. Daher braucht es dringend wirksamere Mechanismen zur Festlegung des Preisniveaus, fordert Simon.

DiGA: Es braucht mehr wissenschaftliche Bewertungen

Aktuell werden erst im zweiten Jahr die Preise für eine DiGA zwischen den Kassen und den Herstellern verhandelt. Bisher wurde lediglich in vier Fällen - via Schiedsstelle - eine Einigung erzielt: Die festgesetzten Preise lagen über 50 Prozent unter jenem der Hersteller im ersten Verordnungsjahr. Am Beispiel der DiGA M-Sense zeigt sich außerdem, welche Auswirkungen die freie Preisfestsetzung im ersten Jahr haben kann. Die DiGA wurde am 16.12.2020 in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen und wurde im April 2022 mangels Nutzens wieder aus dem Verzeichnis genommen. Die Kosten für M-Sense wurden somit 15 Monate ohne einen Nutzennachweis von den Krankenkassen erstattet. Für die gesamte GKV sind dadurch Kosten von mehreren Millionen Euro entstanden.

"Das verdeutlicht, dass die Erprobungsphase nur in Ausnahmefällen und mit aussagekräftiger Begründung verlängert werden darf", sagt der TK-Landeschef. Wichtig sei zudem, DiGA im Erprobungsjahr stärker durch wissenschaftliche Evaluationen zu begleiten. Auch die Hersteller selbst sollten verpflichtet werden, Analysen zur Nutzungshäufigkeit und Therapietreue durchzuführen und eventuell Anpassungen vorzunehmen.