Eine von einem Therapeuten begleitete Internet-Beratung kann leichte bis mittelschwere Depressionen wirksam bekämpfen. Das zeigen die Ergebnisse eines Pilotprojekts, das die Techniker Krankenkasse gemeinsam mit der Freien Universität (FU) Berlin durchgeführt hat. Von April 2014 bis Mai 2015 haben fast 1.100 TK-Versicherte mit depressiven Symptomen an einer Online-Beratung durch den TK-DepressionsCoach, einem internetbasierten Beratungs- und Trainingsprogramm teilgenommen. Im Verlauf der Beratung haben sich die Symptome der Teilnehmer im Durchschnitt von einem mittelschweren Belastungsgrad auf einen klinisch nicht mehr bedeutsamen Wert verbessert. "Dieser Erfolg ist vergleichbar mit dem einer ambulanten Behandlung bei einem Verhaltenstherapeuten", sagt Dr. Barbara Voß, Leiterin der TK-Landesvertretung in Hessen. Aufgrund der guten Ergebnisse wird der TK-DepressionsCoach für Menschen mit Depressionen zur Jahresmitte 2016 in einer überarbeiteten Fassung erneut an den Start gehen.

"Online-Beratung bei depressiven Symptomen ist ein sehr gut überprüfter Ansatz und für betroffene Menschen eine gute Möglichkeit, unkompliziert Hilfe zu bekommen. Der TK-Coach verbindet wirksame Komponenten der herkömmlichen psychologischen Beratung mit den neuen Medien", erklärt Studienleiterin Christine Knaevelsrud, Professorin für Klinisch-Psychologische Intervention an der FU Berlin.

Individuelle Begleitung ist erfolgreicher

Doch wie funktioniert eine Online-Beratung am Computer? Die Teilnehmer am DepressionsCoach beantworteten zunächst einen standardisierten Fragebogen, in dem sie ihre seelische Belastung selbst einschätzten. Das Psychologen-Team, das hinter dem Programm steht, prüfte auf der Basis dieser Selbstauskünfte, ob die Online-Beratung für die individuelle Belastungssituation der Teilnehmer tatsächlich geeignet ist. Im nächsten Schritt folgte ein ausführliches Telefonat der Berater mit jedem einzelnen Teilnehmer. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden die Nutzer anschließend in zwei Gruppen eingeteilt, um die Wirksamkeit und Wirkungsweise der Online-Beratung am PC auch im Vergleich überprüfen zu können.

Ein Teil der Nutzer absolvierte eine Variante des Online-Coaches, in der sie in ständigem Kontakt mit einem psychologischen Berater oder einer Beraterin standen, die individuell auf das Verhalten und die aktuelle Situation der Teilnehmer eingehen konnten. Die anderen Teilnehmer durchliefen eine weitgehend automatisierte Version des Programms. Ein regelmäßiger Kontakt mit den Beratern war nicht vorgesehen, konnte von den Teilnehmern jedoch auf Wunsch oder in krisenhaften Situationen hergestellt werden. Im Rahmen der Online-Beratung erhielten die Teilnehmer beider Gruppen einmal wöchentlich ein Beratungsmodul zur Bearbeitung. Ausführlich wurde ihnen dabei erläutert, welchen Sinn jede einzelne Übung hat und welche Bedeutung bestimmten Reaktionen der Teilnehmer zukommt. Zudem erhielten die Nutzer umfassende Informationen über die Symptome einer Depression.

Im ersten Aufgabenpaket wurden die Teilnehmer beispielsweise aufgefordert, in einem digitalen Brief von den Anfängen ihrer niedergeschlagenen Stimmung zu berichten und ihre Erlebnisse, Gedanken und Gefühle zu schildern. Von Woche zu Woche wurden weitere Funktionen freigeschaltet, wie etwa ein onlinebasiertes Tagebuch oder ein wöchentlicher Überblick über den individuellen Stimmungsverlauf. In Hörbeiträgen und Videoschulungen, die typische Situationen etwa aus dem Arbeitsalltag zeigten, wurden die Teilnehmer aufgefordert, diese Alltagssituationen zu bewerten. Den Teilnehmern wurden dabei typisch depressive Denkmuster bewusst; spielerisch haben sie alternative Bewertungsmöglichkeiten erarbeitet.

Ziel aller Übungen war es, dass die Teilnehmer negative, verzerrte Wahrnehmungen selbst bearbeiten und zu einer neutralen, positiveren Betrachtung von Alltagssituationen kommen. So wurde das Befinden der Teilnehmer verbessert und ihre persönlichen Ressourcen gestärkt. Selbstständig entwickelten die Nutzer im Verlauf des Online-Programms Problemlösestrategien, die sie in ihren Alltag übertragen konnten. Im Verlauf des Coachings konnten sie überprüfen, ob sich ihre negativen Denkmuster im Verlauf geändert haben.

Obwohl die Nutzer beider Ansätze inhaltlich die gleichen Informationen erhalten haben, zeigte sich bei der Evaluation des Pilotprojekts, dass die schriftlichen Rückmeldungen der Therapeuten wesentlich zum Erfolg der Beratung beigetragen haben: In beiden Gruppen hat sich die Depression gebessert, aber der schriftliche Austausch mit den Therapeuten hat zu besseren Ergebnissen geführt. Beispielsweise haben bei der automatisierten Variante 76 Prozent der Teilnehmer das Programm bis zum Ende durchlaufen, in der Gruppe mit der individuellen Beratung waren es 84 Prozent. In der individuellen Variante war auch der Anteil der Teilnehmer, die mit dem Angebot zufrieden waren (89 Prozent), höher als in der automatischen Variante (79 Prozent). Aufgrund dieser Ergebnisse wird - wenn der TK-DepressionsCoach 2016 erneut startet - ausschließlich eine therapeutisch begleitete Variante online gehen. 

Niedrigschwellige Behandlung im Netz hat viele Vorteile

Auf den ersten Blick mag es überraschend sein, dass etwas so Persönliches wie eine psychologische Beratung über den Computer stattfinden kann und außerdem sehr erfolgreich ist. Tatsächlich hat das niedrigschwellige Angebot einer Behandlung im Netz aber viele Vorteile: Die Teilnehmer können bequem von zu Hause aus daran arbeiten, ihre Belastungen in den Griff zu bekommen. Das heißt, im eigenen Umfeld und eigenen Tempo und unabhängig von Wartezeiten auf einen Therapieplatz. Sie arbeiten selbstständig und müssen sich kontinuierlich mit ihrer Depression auseinandersetzen, werden dabei aber nicht allein gelassen.

Knaevelsrud: "Von Vorteil kann eine Online-Beratung gerade auch für Menschen sein, für die der Gang zum Therapeuten eine Hürde darstellt. Ihnen fällt es am heimischen Computer leichter, sich zu öffnen. Zudem ist der Online-Coach auch in Regionen leicht zugänglich, in denen die psychotherapeutische Versorgung eher ungünstig ist." Die Wissenschaftlerin weist aber auch darauf hin, dass der PC keine nonverbale Kommunikation erlaubt: Der Computer kann nicht lächeln oder die Stirn runzeln, und Missverständnisse können erst zeitversetzt geklärt werden.

Andere Länder, wie beispielsweise die Niederlande, verzeichnen mit internetgestützten Behandlungsangeboten bereits große Erfolge. Daher würde es die TK befürworten, dass sich entsprechende Angebote langfristig auch in Deutschland etablieren werden.