TK: Im Januar 2021 ist die elektronische Patientenakte gestartet. Wie viele Versicherte nutzen mittlerweile TK-Safe?

Daniel Cardinal: Mehr als 300.000 Versicherte nutzen derzeit TK-Safe . Die Systeme laufen stabil und wenn man bedenkt, dass das Ganze nach den gesetzlichen Vorgaben und in der Spezifikation der gematik tatsächlich in nur eineinhalb Jahren entwickelt worden ist, dann ist das ein Riesenerfolg.

TK: Die TK setzt sich seit Jahren für die Digitalisierung ein und hat schon früh mit der Erprobung einer digitalen Akte für ihre Versicherten begonnen. Inwiefern kann man dieses Wissen und die Erfahrungen im Austausch mit Leistungserbringern und anderen Krankenkassen nutzen, um den digitalen Gesundheitsmarkt voranzubringen?

Daniel Cardinal

Daniel Cardinal (Leiter des TK-Geschäftsbereiches Innovation und ambulante Versorgung) auf einem Porträtfoto. Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Leiter des Geschäftsbereichs Innovation & ambulante Versorgung der Techniker Krankenkasse

Cardinal: Ich würde sagen, man kann dieses Wissen nicht nur nutzen, man muss es sogar nutzen. Und das ist auch unser Selbstverständnis in der Entwicklung von digitalen Produkten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Klar ist aus unserer Perspektive, dass die Digitalisierung der GKV nur funktionieren kann, wenn es ein Standard ist. Das Gesundheitssystem muss digitale Angebote vorhalten, damit sich dann der Wettbewerb um die kundenfreundlichsten und versorgungsrelevantesten Angebote entwickeln kann.

Wir wollen, dass von dem, was wir entwickeln, die gesamte GKV profitiert.
Daniel Cardinal

Und deswegen sind wir frühzeitig auf das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zugegangen und haben, als wir damals TK-Safe als erste Kasse entwickelt haben, mit dem BMG darüber gesprochen, wie so eine Akte denn auch für die GKV aussehen kann. Und letztendlich ist die Grundidee von TK-Safe jetzt das, was als ePA in der Pflichtanwendung für alle Kassen gekommen ist.

Und so machen wir es auch mit allen anderen digitalen Produkten. Wir schauen, ob wir sinnvolle Produkte für die GKV definieren können, und beteiligen alle anderen daran. Wir wollen, dass von dem, was wir entwickeln, die gesamte GKV profitiert, damit es keine Insellösungen mehr gibt.

Außerdem schmieden wir Allianzen mit Gleichgesinnten, mit anderen Krankenkassen, der Wissenschaft und mit Leistungserbringern wie Ärztinnen, Ärzten und Kliniken. Denn die Digitalisierung bietet aus unserer Sicht vor allem eines: Die Chance für eine bessere Versorgung kranker Menschen. Und das schaffen wir nur gemeinsam.

TK: Dennoch haben viele potenzielle Nutzerinnen und Nutzer, darunter auch Ärztevertreterinnen und -vertreter, hinsichtlich der elektronischen Patientenakte Bedenken. Muss man die mehr mitnehmen oder besser aufklären?

Cardinal: Ja, das muss man. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass man nicht nur besser aufklären muss, sondern dass auch viele Halbwahrheiten zum Beispiel zum Thema Datenschutz verbreitet werden. Auf die Akte hat nur eine Person Zugriff, nämlich die Nutzerin beziehungsweise der Nutzer und nur die beziehungsweise der bestimmt, wer sozusagen weiter Zugriff auf die Akte haben kann und was mit der Akte überhaupt passiert. Das gilt auch für die Nutzung und Freigabe bestimmter medizinischer Unterlagen. Und das Allerwichtigste: Die Akte ist freiwillig. Das heißt, wenn ich tatsächlich datenschutzrechtliche Bedenken habe als Patient oder als Patientin, dann muss ich die Akte nicht nutzen.

Die Digitalisierung bietet vor allem eines: Die Chance für eine bessere Versorgung kranker Menschen.
Daniel Cardinal

TK: Um es noch einmal zusammenzufassen: Wo werden die Daten gespeichert und was hat man bezüglich der Datensicherheit der ePA unternommen?

Cardinal: Die Daten werden auf deutschen Servern gespeichert. Diese sind mit einer End-to-End-Verschlüsselungstechnik gesichert, das heißt jede einzelne Akte besitzt einen zufallsgenerierten einzigartigen Schlüssel. Außerdem unterliegen die Daten einer besonderen Abkapselung innerhalb der Rechenzentren, in denen sie gespeichert werden. Und zwar ist diese Abkapselung die sogenannte vertrauenswürdige Ausführungsumgebung. Und die sind noch einmal auf extra Partitionen der Server in den Rechenzentren besonders gesichert.

Für den Kunden selbst ist der Zugang über eine Zwei-Faktor-Authentifizierung abgesichert, also dem registrierten Smartphone (= Faktor Besitz) und dem Passwort für die App (= Faktor Wissen). Und ganz am Anfang, also beim Einrichten der Akte, muss ich mich einmal, beispielsweise mit dem Ausweis, eindeutig identifizieren.

Weder die TK noch die IBM Deutschland können die Daten einsehen. TK-Safe ermöglicht es dem Versicherten beziehungsweise der Versicherten, seine oder ihre Informationen so lange zu speichern wie er oder sie es möchte. Dadurch kann man eine langfristige Historie seines Gesundheitsverlaufes aufbauen. Und es ist garantiert, dass alle Informationen, die der oder die Versicherte besitzt, in sein oder ihr Eigentum übergehen und dass er oder sie seine beziehungsweise ihre Daten bei einem Krankenkassenwechsel mitnehmen kann.

TK: Jetzt lassen Sie uns mal über die Vorteile von Gesundheitsdaten sprechen. Darin steckt ja ein riesiges Potenzial, oder?

Cardinal: Ich würde sagen, das Potenzial ist unendlich. Dr. Baas hat einmal gesagt: Der nächste medizinische Fortschritt ist nicht irgendein Forschungsdurchbruch, sondern das Zusammenführen von Daten und damit das Personalisieren von Behandlung. Und genau das wird passieren. 

Wir werden von uns selbst einen Datenschatz anhäufen, über den wir selbst verfügen und mit dem wir dann Leistungserbringern, Kassen oder Dritten erlauben können, personalisierte und individualisierte Versorgungsangebote zuzuschneiden und zur Verfügung zu stellen. Das wird zu einer Qualitätsverbesserung in der Versorgung führen und es wird dort Lösungen und Angebote geben, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Dazu muss man aber in Zukunft auch pseudonymisierte Daten zur Verfügung stellen. Und dann gelingt es uns auf breiterer Datenbasis tatsächlich medizinische Forschung voranzutreiben.

TK: Bei dieser Diskussion steht uns aber auch der Datenschutz eher im Weg, oder? Da sind uns einige Länder voraus.

Cardinal: Datenschutz ist immer eine Risikoabwägung und die Diskussion muss man aktiv führen und ich glaube, wir sollten sie auch aktiv führen. Was uns nicht passieren darf, ist, dass Datenschutz sinnvollen Fortschritt verhindert, was aber auch nicht passieren darf, ist, dass man jedweden Fortschritt über die Bedarfe des Datenschutzes stellt. Aber dieses Paradoxon ist relativ leicht aufzuheben. Denn die Grenze ist ja spätestens dort erreicht, wo ich Dinge nicht tun kann, die Leben retten würden, weil ich die Daten nicht zusammenführen darf.

Wichtig ist jetzt, dass eine Vernetzung des Systems auf Basis der Telematikinfrastruktur stattfindet.
Daniel Cardinal

TK: Wer ein großes Interesse an digitalen Gesundheitsdaten hat, sind die großen Tech-Unternehmen, die vor einiger Zeit schon angekündigt hatten, dass sie das deutsche Gesundheitswesen oder den deutschen Gesundheitsmarkt erobern wollen. Hat man denen ein bisschen den Wind aus den Segeln genommen, dadurch dass die Politik und Player wie die TK das Thema Digitalisierung selbst in die Hand genommen haben?

Cardinal: Ich wünschte, es wäre so, ich sehe es aber nicht. Die Kundenschnittstelle ist und bleibt die wertvollste Schnittstelle im digitalen Ökosystem und Plattformen besetzen diese wichtige Schnittstelle zunehmend. Das sehen wir beim Einkaufen. Das sehen wir in allen anderen Lebensbereichen, die wir digital abbilden. Das gilt auch für die Gesundheitsversorgung. 

Was wir geschafft haben, ist, dass wir über die guten Entwicklungen der letzten drei bis vier Jahre in der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem entsprechend rechtlichen Rahmen, den das BMG gesetzt hat, eine günstige Ausgangsposition für uns geschaffen haben. Für einen Weg, der eben nicht dem der amerikanischen Datenfreiheit oder der chinesischen Staatssteuerung unterliegt, sondern der praktisch ein deutscher, europäischer Sonderweg ist.

Und dort haben wir jetzt tatsächlich die Möglichkeit, die Weiterentwicklung auf das zu fokussieren, was nach unserem Wertekanon sinnvoll ist und was für die GKV in Deutschland gut ist. Das bedeutet, dass dann trotzdem irgendwann die anderen Angebote auf den Markt kommen. Aber dann geht es darum, wer hat die komfortablere Kundenschnittstelle und wer kann das bessere Gesamterlebnis anbieten.

Und da glauben wir, dass wir beispielsweise als TK mit der TK-App, dem TK-Safe und unseren weiteren digitalen Serviceangebot sehr gut aufgestellt sind und unseren Kundinnen und Kunden tatsächlich ein adäquates Angebot machen und sie nicht zwingen, zu Google zu gehen.

Wir unterstützen unsere Kunden außerdem auf dem Gebiet der digitalen Gesundheitskompetenz , weil es schwer zu erkennen ist, welche Interessen andere Anbieter mit ihren Gesundheits-Apps und digitalen Behandlungsangeboten verfolgen. Unsere Versicherten sollen mündige Patientinnen und Patienten bleiben, auch in Zeiten von digitalen Versorgungsangeboten und künstlicher Intelligenz.

Eines ist klar: Die Digitalisierung von Gesundheitsdaten ist nicht nur ein Markt, sie bietet vor allem eine Chance. Sie kann Lücken schließen, wo Ärztinnen und Ärzte fehlen. Sie kann im Notfall Informationen liefern, die der Patient oder die Patientin und sein Arzt oder seine Ärztin längst vergessen haben. Sie kann künstliche Intelligenz vorantreiben, damit Ärztinnen und Ärzte in Zukunft Diagnosen schneller stellen und Therapien genauer zuschneiden können. Und last but not least: In Pandemien kann sie die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten und vor Ansteckungen schützen, siehe das Thema Fernbehandlung.

TK: Und welche wichtigen Schritte sind jetzt hinsichtlich der Digitalisierung, im Gesundheitswesen und bei den ePAs zu tun, damit man die ePA wirklich richtig einsetzen kann?

Cardinal: Grundsätzlich müssen wir gar nichts mehr tun. Gesetzlich ist alles dafür angelegt, dass es funktionieren kann. Wichtig ist jetzt, dass die einzelnen Akteure ihrer gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen und dass eine Vernetzung des Systems auf Basis der Telematikinfrastruktur stattfindet. Nur so können die digitalen Angebote durch die Kundinnen und Kunden und durch die Leistungserbringer erlebt werden. Das wird die größte Herausforderung, vor der wir in den nächsten Jahren stehen.

TK: Nun ist der Zeitplan der ePA schon angelegt bis 2024. Glauben Sie denn, dass dieser weitere Entwicklungsprozess klappt? Es werden ja immer wieder Anwendungen verschoben. Und welches Ziel hat sich die TK derzeit bei der Weiterentwicklung ihrer ePA gesetzt?

Cardinal: Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt mir, dass wir bei der TK im Sprinttempo komplexe Produkte zum Laufen bekommen können. Und wenn wir jetzt nicht neue hohe Anforderungen, Veränderungen der Spezifikationen und Ähnliches kriegen, sondern wir bei dem großen Fahrplan bleiben, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch die ePA 4.0 rechtzeitig realisieren werden.

TK: Auf welche neuen digitalen Angebote oder Funktionen können sich TK-Versicherte freuen?

Cardinal: Wir bieten bereits jetzt für Studierende und Versicherte mit kardiologischen Erkrankungen personalisierte Inhalte in der TK-App an. Das heißt, wir machen jetzt schon für Kundinnen und Kunden Personalisierung erlebbar. Unser Ziel ist es immer zu schauen, was wollen Kundinnen und Kunden und was wollen sie nicht? Anhand dieser Wünsche entwickeln wir unsere Angebote weiter. Wir kommen so der Rolle des Gesundheitspartners immer näher. Und darüber hinaus haben wir viele digitale Produkte wie die Babyzeit-App , die App Husteblume oder auch ältere Anwendungen wie unsere Online-Coaches , die seit Jahren erfolgreich laufen.