Die Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen werden spätestens seit Beginn der Pandemie von niemandem mehr in Frage gestellt. In der Realität bleibt Hessen, wie Deutschland insgesamt, allerdings noch weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Es gilt daher, in Hessen ein Klima zu schaffen, in dem neue innovative Ideen entstehen, vorhandene Ansätze weiterentwickelt und eHealth-Anwendungen dauerhaft etabliert werden können.

Der Appell der TK: Nicht nur über Digitalisierung reden, sondern Digitalisierung machen! In Hessen sollten wir nicht warten, bis der Bund die Richtung vorgibt. Auf Bundesebene werden die Rahmenbedingungen vorgegeben; die Umsetzung konkreter Projekte erfolgt aber immer vor Ort. Hessen hat hier die Möglichkeit, voranzugehen und zum Vorbild zu werden.

Auch bei Digitalisierung gilt: Anschubfinanzierung hilft

Sowohl auf Bundesebene als auch in Hessen gibt es unterschiedliche Fördertöpfe für Innovationen. Im Bund ist hier insbesondere der Innovationsfonds zu nennen, mit dem mittlerweile mehr als 170 Projekte gefördert werden beziehungsweise wurden. Hessen befindet sich hier allerdings im Ländervergleich auf den hinteren Plätzen, was die Anzahl von geförderten Projekten angeht. Auf Landesebene gibt es das beim Hessischen Digitalisierungsministerium angesiedelte Programm "Distr@l", mit dessen Mitteln unter anderem auch Digitalisierungsprojekte aus dem Bereich eHealth finanziert werden könnten.

Tatsächlich aber wurden über dieses Programm bisher kaum Projekte mit Gesundheitsbezug finanziell bezuschusst. In Hessen existierte darüber hinaus von 2017 bis 2021 im Rahmen der "eHealth Initiative Hessen" ein eigener Fördertopf des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration (HMSI) mit einer jährlichen Fördersumme von sechs Millionen Euro. Leider wurde diese Fördermöglichkeit bereits eingestellt, noch bevor damit eine nennenswerte Anzahl von Projekten gefördert werden konnte. Um Innovationen voranzubringen, muss in Hessen nachgebessert werden - indem der eHealth-Topf reaktiviert oder "Distr@l" ausgebaut und stärker auf Projekte mit Gesundheitsbezug ausgerichtet wird.

Es kommt aber nicht nur darauf an, Gelder zur Verfügung zu stellen; auch die Förderbedingungen müssen stimmen. Ein Problem stellen in diesem Zusammenhang zu geringe und starr festgelegte Förderzeiträume und die oftmalige Beschränkung bei der Projektfinanzierung auf die technischen Aspekte von Innovationen dar. Das reine Finanzieren von Anschaffungen ist nicht ausreichend, um Innovationen dauerhaft zu etablieren. Auch darf die Förderdauer nicht bereits enden, noch bevor die Projekte richtig ins Rollen gekommen sind. Bis sich eine Innovation durchsetzt, braucht es nicht nur Geld, sondern auch Geduld. Den Anwenderinnen und Anwendern, seien es Kliniken, Arztpraxen oder die Patientinnen und Patienten, muss die Chance gegeben werden, sich intensiv mit der Innovation auseinanderzusetzen. Es bedarf der Möglichkeit, Projekte gegebenenfalls im Praxisalltag auf tatsächliche oder neue Begebenheiten anzupassen.

Nicht immer sind alle Ideen, die in der Theorie sinnvoll erschienen, auch sofort praxistauglich. Hier braucht es Zeit und Flexibilität für alle beteiligten Akteure. Oftmals endet eine Förderung jedoch zu schnell, sodass keine Zeit mehr für Anpassungen bleibt. So drohen selbst gute und sinnvolle Projekte im Nichts zu versanden.

So endete beispielsweise das vom HMSI maßgeblich mitfinanzierte Projekt "Wart's Ab" - eine App, mit der es den Patientinnen und Patienten ermöglicht wurde, Wartezeiten außerhalb der Arztpraxen zu verbringen - im Juni 2021 ohne Perspektive. Der Grund: Durch die im Frühjahr 2021 gestarteten Corona-Impfungen in Arztpraxen geriet die Umsetzung des Projekts in einen zeitlichen Verzug, der nicht mehr rechtzeitig vor dem Ablauf der Förderfrist aufgefangen werden konnte. Das ist sehr bedauerlich, denn "Wart's Ab" hätte gerade in der Pandemie einen wertvollen Beitrag dazu leisten können, Kontakte in Wartezimmern zu reduzieren. Dieses Beispiel zeigt, dass es flexiblere Förderfristen braucht, um guten Ideen nicht zu früh die Finanzierungsgrundlage zu entziehen. 

Alle Beteiligten an einen Tisch bringen

Die Einbeziehung aller Akteurinnen und Akteure, die eine Innovation direkt oder indirekt betrifft, ist für den Erfolg eines Projektes enorm wichtig. Alle müssen über die Vorteile und die Funktionsweisen einer neuen eHealth-Anwendung umfassend aufgeklärt und informiert werden. Wird dabei nicht die Perspektive von allen Beteiligten eingeholt und berücksichtigt, stoßen Projekte auf unerwartete Widerstände. Es müssen also alle Player bereits in einer frühen Projektphase an einen Tisch. Denn nur so kann Akzeptanz geschaffen und können Probleme sowie Wünsche frühzeitig geäußert wer-den. 

Ein neutraler Koordinator als Erfolgsfaktor

Projektpartner sind oft gleichzeitig auch Interessenvertreter, die ihre Anliegen und Vorstellungen stärker gewichten als das gemeinsame Ziel. Damit sich digitale Gesundheitsprojekte durchsetzen, kann eine moderierende beziehungsweise koordinierende Stelle, die vermittelt und Projekte begleitet, deshalb enorm förderlich sein. Diese Rolle könnte zum Beispiel das Land übernehmen - als neutrale und von allen Beteiligten akzeptierte Stelle. In Hessen haben wir mit dem Kompetenzzentrum für Telemedizin und eHealth der Landesregierung bereits eine Institution, die diese Aufgabe übernehmen könnte. Das Zentrum befasst sich aktuell vor allem mit der Digitalisierung von Arztpraxen und unterstützt diese beispielsweise bei der Einführung von Videosprechstunden, der elektronischen Patientenakte oder Fragen zum Datenschutz. Das ist auch weiterhin sinnvoll. Dennoch könnte das Zentrum darüber hinaus weitere Aufgaben übernehmen und künftig eHealth-Projekte koordinieren.

Das Zentrum könnte zudem dabei unterstützten, mehr Innovationsfonds-Projekte nach Hessen zu holen. Für das Land kann dies durchaus lukrativ sein: Zum einen finanziell, denn so müssten weniger Landesmittel zur Verfügung gestellt werden. Zum anderen würde es Hessen als Bundesland mit hohem Anspruch gut zu Gesicht stehen, wenn es mit mehr innovativen Projekten aus dem Bereich eHealth aufwarten könnte.

Alles in allem hat Hessen strukturell sehr gute Voraussetzungen: Mit einer reformierten finanziellen Förderung, einem Kompetenzzentrum, das bei der Umsetzung von Projekten assistieren könnte, und engagierten, ideenreichen und motivierten Playern im Gesundheitswesen könnte Hessen bundesweit Vorbild werden.