Die Web-App wurde im Forschungsprojekt TeamBaby entwickelt. Bei dieser vom Innovationsfonds geförderten Studie ist die TK ein sehr wichtiger Projektpartner. TeamBaby verfolgt das Ziel, die Kommunikation in der Geburtshilfe zu verbessern und dadurch die Sicherheit von Mutter und Kind vor, während und nach der Geburt zu erhöhen. 

Im Rahmen des TeamBaby-Projekts wurden zunächst alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geburtshilfe - an den zwei Studienorten Frankfurt und Ulm - weitergebildet, damit ihre interprofessionellen Kommunikationskompetenzen rund um die Geburt noch effektiver und vertrauensvoller wirken können. Werdenden Eltern wurden Kleingruppenschulungen in einem Onlineformat angeboten, um bequem und infektionssicher von zu Hause aus die eigenen Kommunikationskompetenzen zu verbessern. Insgesamt haben über 220 werdende Mütter und fast 70 Begleitpersonen die Online-Trainings absolviert. 
Wir haben Professor Frank Louwen, Leiter der Geburtshilfe am Frankfurter Universitätsklinikum, zu ersten Erfahrungen mit den Kommunikationstrainings und den Erwartungen an die Web-App befragt.

TK: Welche Verbesserungen in der Patientensicherheit hoffen Sie mit einer besseren Kommunikation bei der Geburt zu erreichen?

Professor Frank Louwen: Wir erhoffen uns, dass sich die Frauen bei uns im Haus noch besser aufgehoben fühlen und sich während der ganzen Geburtsphase noch sicherer fühlen. Ganz klar erwarten wir uns eine Reduktion sogenannter "vermeidbar unerwünschter Ereignisse". Das ist ein Fachausdruck für Geschehnisse, die zu körperlichen und seelischen Nachteilen für die Mutter führen können. Die meisten Probleme, die Frauen und ihre Begleitpersonen während der Geburt erleben, entstehen durch zwischenmenschliche Missverständnisse. Diese Gefahrenquelle gehen wir mit unserem Projekt an unserem Klinikum an!

TK: Beobachten Sie und Ihre Geburtshilfeteams aufgrund der Kommunikationstrainings schon heute spürbare Veränderungen während der Geburt?

Prof. Louwen: Durch die Kommunikationstrainings wurden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Team für das eigene Kommunikationsverhalten und in der Zusammenarbeit, besonders mit anderen Berufsgruppen sensibilisiert. Gegenüber den werdenden Müttern ist es unser Ziel, die Schwangerenperspektive einzunehmen. Wir versuchen, uns in sie hineinzuversetzen und unsere Behandlungsschritte klar, eindeutig und gut verständlich zu vermitteln.

Fachbegriffe nutzen wir nur, wenn wir sie nachvollziehbar erklären und sie dem Informationsbedarf der jeweiligen Frau entspricht - denn die Bedürfnisse und das Vorwissen unserer Schwangeren unterscheiden sich. Erfreulicherweise melden uns die Studienteilnehmerinnen zurück, dass das gut funktioniert. Außerdem fühlen sich die Frauen durch unsere Trainings besser auf die Geburt vorbereitet. Unter den aktuellen Unsicherheiten in der Coronapandemie ist es noch wichtiger geworden!

TK: Was waren für Ihre Mitarbeitenden die wichtigsten - und vielleicht auch erstaunlichsten - Erkenntnisse aus diesen Trainings?

Prof. Louwen: Ganz klar die sogenannte "Speaking-Up Thematik" - diese offen anzugehen hat uns als interdisziplinäres Team tatsächlich weitergebracht. "Speaking Up" heißt zu reagieren und auszusprechen, wenn einem etwas auffällt, was die Sicherheit der werdenden Mütter oder der Babys gefährden könnte - und zwar unabhängig von der beruflichen Hierarchiestufe, auf der sich der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin befindet. Studien zeigen, dass Speaking Up viel zu selten erfolgt. Ich finde es beeindruckend, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach den Trainings eigeninitiativ im Personalraum ein Speaking Up Plakat aufgehängt haben. So werden an jedem Arbeitstag alle daran erinnert, dass gegenseitige Unterstützung wichtig ist, um Fehler zu reduzieren. 

Ich bin stolz, dass wir aktiv daran arbeiten, eine sicherere Kultur zu entwickeln, in der sich jeder traut, Bedenken zu äußern. Im "Willkommenspaket" für unsere neuen Hebammen ist in einem Büchlein als Visitenkarte unsere "TeamBaby Speaking Up Karte" (die zum Speaking Up ermutigt) integriert. Dies zeigt für mich, dass mein Team immer bereit ist, die eigene Arbeit zu hinterfragen, um die Versorgungsqualität zu verbessern und damit die Patientensicherheit zu erhöhen.

TK: Welche Anliegen wurden von den werdenden Müttern in den Online-Schulungen häufig angesprochen?

Prof. Louwen: Die Online-Schulungen wurden von erfahrenen Kommunikationstrainern aus der Geburtshilfe (von einer Hebamme und einem Arzt) in einer virtuellen Kleingruppe mit Schwangeren und Begleitpersonen durchgeführt. In den Trainings haben die Studien-Teilnehmerinnen und ihre Angehörigen ihre bisherigen Erfahrungen, Wünsche, Fragen und Ängste miteinander geteilt.

Spannend war immer wieder die Zusammensetzung der werdenden Mütter in den Schulungen, darunter Erstgebärende, Zweitgebärende, Mehrgebärende. Hinzu kamen deren Begleitpersonen, in der Regel waren das die werdenden Väter. Diese Vielfalt und der Austausch untereinander waren ein großer Mehrwert für die Trainings. Da die Teilnehmerinnen naturgemäß jüngeren Altersgruppen angehören, sind sie alle online erfahren und konnten sich problemlos in dieses Format einbringen. So haben sie sich keinen Ansteckungsrisiken ausgesetzt und konnten zudem - gerade bei einer fortgeschrittenen Schwangerschaft - auf einen vielleicht mühsamen Anfahrtsweg verzichten.

TK: Werden die Frauen künftig mit der Web-App eine vergleichbar gute Unterstützung bekommen? 

Prof. Louwen: Auch die Web-App bietet eine tolle Möglichkeit, ganz flexibel und mit Spaß die Kommunikation rund um die Geburt zu trainieren. Sie steht sowohl unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch den Schwangeren und ihren Angehörigen zur Verfügung. 

Die Nutzerinnen und Nutzer durchlaufen in der App verschiedene Übungseinheiten und lernen dabei ebenso wie in den Online-Trainings, wie sie ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse erfolgreich einbringen können, also sich beispielsweise besser verständlich machen und ihre Bedürfnisse klar artikulieren. Nicht zuletzt hat die App gegenüber den Online-Schulungen den Vorteil, dass die werdenden Mütter nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt online gehen müssen, in dem sie sich vielleicht mit ihren anderen Kindern beschäftigen müssen. Sie können die App zu einem Zeitpunkt nutzen, der für sie persönlich günstig ist.

Ich bin begeistert, wie schön und spannend so eine Schulung digital funktionieren kann. Hier haben vor allem unsere Partner der Jacobs-University Bremen und die Techniker Krankenkasse viel Kreativität und Energie reingesteckt, um unsere Präsenz- und Onlinetrainings digital umzusetzen.

TK: Das Forschungsprojekt ist ja zeitlich befristet. Wie soll es danach weitergehen?

Prof. Louwen: Ich bin sehr optimistisch, dass die Anregungen durch die Personalschulungen dauerhaft die Zusammenarbeit in unseren Geburtshilfeteams verbessern und die positiven Erfahrungen auch an neue Kolleginnen und Kollegen weitergegeben werden. Es würde mich sehr freuen, wenn die Web-App - möglicherweise im Rahmen eines besonderen Versorgungsvertrags - einer breiteren Öffentlichkeit angeboten werden könnte.