Die geschröpften Beitragszahler - oder: die finanzielle Stabilisierung der GKV
Position aus Rheinland-Pfalz
Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler sollen einen Großteil der 17 Milliarden Finanzlücke aus eigener Tasche zahlen. Ein Standpunkt von Jörn Simon, Leiter der TK-Landesvertretung Rheinland-Pfalz.

17 Milliarden Euro - darauf beläuft sich (mindestens) das aktuelle finanzielle Defizit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland. Dieser erhebliche Finanzbedarf hat auf politischer Ebene deutlichen Handlungsdruck erzeugt, so dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) knapp vor der Sommerpause das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, kurz GKV-FinStG, vorgelegt hat. Es wurde im Juli vom Kabinett verabschiedet und wird nach der Sommerpause dann dem parlamentarischen Verfahren zugeleitet.
Jörn Simon
Die gesetzgeberische Herangehensweise ist Folgende: die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler werden belastet. Diese finanzieren laut den Plänen 12 der 17 Milliarden aus eigener Tasche und schließen so die Finanzierungslücke.
Krisenfest sieht anders aus
Zunächst soll der durchschnittliche Zusatzbeitrag um 0,3 Prozentpunkte angehoben werden, um fünf Milliarden Euro einzunehmen. Als weitere Maßnahmen sind unter anderem ein um zwei Milliarden Euro erhöhter Steuerzuschuss sowie ein Darlehen des Bundes an den Gesundheitsfonds in Höhe von einer Milliarde Euro geplant. Darüber hinaus müssen die gesetzlichen Krankenkassen ihre Reserven auf ein Minimum abschmelzen. Auch aus dem Gesundheitsfonds bedient sich der Gesetzgeber - satte 2,4 Milliarden Euro wird er als "Reserveeinzug" aus dem Fonds nehmen. Auch dabei handelt es sich um Beitragsgelder.
Die Koalition verhindert durch diese neuerliche drastische Abschmelzung der Finanzreserven eine solide, wirtschaftliche und krisenresistente Haushaltsführung der Krankenkassen. Dabei hat gerade die Corona-Pandemie gezeigt, wie wichtig es ist, Reserven vorzuhalten. Wenn es nicht mehr möglich ist, ausreichend und verlässlich Vorsorge zu tragen, dann geht das zu Lasten der Leistungserbringenden und letztlich auch der Patientinnen und Patienten.
Die Reserven sind fast aufgebraucht - das Defizit bleibt
Der Umgang des BMG mit den Finanzreserven der Kassen und die Begrenzung der Verwaltungskosten unterhöhlen die wettbewerbliche Ausgestaltung des Systems. Die im Entwurf vorgesehenen Einmalmaßnahmen schließen erneut weder die erwartete Finanzierungslücke, noch lösen sie die strukturellen Ursachen des derzeit jährlich wiederkehrenden Defizits. Vielmehr verschiebt die Koalition die Probleme der GKV-Finanzierung auf Kosten der Beitragszahlenden um ein weiteres Jahr nach hinten.
Stattdessen wären nachhaltige Veränderungen im Gesundheitssystem angezeigt, wie eine Krankenhausstrukturreform und eine funktionierende und ressourcenschaffende Digitalisierung oder auch einen fairen finanziellen Ausgleich für versicherungsfremde Leistungen wie die Unterdeckung der GKV-Beiträge für die Empfängerinnen und Empfänger des Arbeitslosengeldes II. Abhilfe für diese Unterfinanzierung verspricht sogar der Koalitionsvertrag im Bund. Wann bitte schön, will man das Problem denn angehen, wenn nicht jetzt, da die Finanznot so groß ist? Wenn schon der Koalitionsvertrag so offensichtlich zum leeren Versprechen wird, muss man sich über Politikverdrossenheit nicht wundern.
Wo ist der politische Wille?
Es fehlt der Entschluss oder die politische Durchsetzungskraft, eine nachhaltige Reform der GKV-Finanzierung auf den Weg zu bringen. Darüber scheint es auch im Kanzleramt Unmut zu geben, weshalb dem BMG auferlegt wurde, für 2024 Vorschläge für eine nachhaltige Finanzreform zu machen. Zunächst hieß es, dass dafür eine Regierungskommission gebildet werden sollte. Nun wird im Gesetz ein konkreter Auftrag an das BMG formuliert: Bis zum 31.5.2023 soll es Vorschläge liefern. Was soll da aber verkündet werden, was man nicht jetzt schon für 2023 angehen könnte?