Mit dem GKV Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) will die Berliner-Koalition das für 2023 erwartete Defizit von 17 Milliarden Euro ausgleichen und starke Zusatzbeitragssteigerungen verhindern. Einige Expertinnen und Experten erwarten gar noch größere Finanzierungslücken. Welche Auswirkungen die Reformpläne auf die Beitragszahlenden hätten, erläutert Manon Austenat-Wied im Interview.

TK: Frau Austenat-Wied, der Griff in die Reserven der Krankenkassen und in die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds soll die finanziellen Probleme im Gesundheitswesen lösen. Ist dies aus ihrer Sicht der richtige Weg?

Manon Austenat-Wied: Wir als TK erwarten, dass die geplanten Maßnahmen die zu erwartende Finanzierungslücke nicht schließen und auch die strukturellen Ursachen dadurch nicht beseitigt werden. Es handelt sich bei dem absehbaren Defizit übrigens nicht (nur) um eine unmittelbare Corona-Auswirkung. Auch teuren Gesetzesreformen der Vergangenheit holen das Gesundheitswesen nun ein. Problematisch ist außerdem, dass eine Vielzahl der mit dem GKV-FinStG geplanten Maßnahmen zu Lasten der Beitragszahlenden geht.

TK: Können Sie etwas konkreter werden?

Austenat-Wied: Durch die weitere drastische Abschmelzung der Finanzreserven der Krankenkassen verhindert die Koalition eine solide, wirtschaftliche und krisenresistente Haushaltsführung der Kassen. Die Krankenkassen müssen im laufenden Jahr bereits die bestehenden Vorgaben zum schrittweisen Reserveabbau umsetzen. Viele Krankenkassen werden somit 2022 ein Defizit ausweisen. Infolgedessen wird ein erheblicher Teil der zu Jahresbeginn bestehenden Reserven zum Jahresende abgebaut sein. Der im "GKV-FinStG" als Stichtag festgelegte 31. Dezember 2021 suggeriert jedoch, dass den Kassen diese Reservemittel im Jahr 2022 konstant zur Verfügung stehen. Dies ist schlichtweg falsch. 

Die Versicherten betrifft dies ganz unmittelbar bei der Planung von Satzungsleistungen und auch die Entscheidung über den kassenindividuellen Zusatzbeitragssatz für 2023 wird vom "GKV-FinStG" maßgeblich beeinflusst. Ein System, das effiziente und vorrausschauend wirtschaftende Krankenkassen benachteiligt, ist unfair und wettbewerbsverzerrend. 

TK: Welche Auswirkungen wird dies in Mecklenburg-Vorpommern haben?

Austenat-Wied: Unsere Versicherten sind in Mecklenburg-Vorpommern von diesen Entwicklungen ebenso betroffen wie im restlichen Bundesgebiet. Aufgrund der geringeren Arbeitseinkommen in unserem Bundesland, würden weiter steigende Kosten im Gesundheitswesen die Bevölkerung allerdings deutlich härter treffen. Und besonders problematisch: Mit den Maßnahmen des "GKV-FinStG" sind die Probleme nicht behoben. Strukturelle Änderungen, um das zu erwartende höhere Defizit in den kommenden Jahren aufzufangen, fehlen fast gänzlich.

TK: Gibt es aus ihrer Sicht langfristig wirksame finanzielle Entlastungsmöglichkeiten?

Austenat-Wied:  Arzneimittel sind ein Bereich, in dem die Kosten sehr stark ansteigen - im Jahr 2021 sind die GKV-Ausgaben in diesem Bereich im Vergleich zum Vorjahr bundesweit um 7,8 Prozent auf 46,7 Milliarden Euro gestiegen. Besonders die Preise der patentgeschützten Arzneimittel treiben die Ausgaben. Zwar ist nur etwas mehr als jedes zehnte eingesetzte Präparat patentgeschützt,  aber mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben entfallen auf die Gruppe dieser Medikamente.

Wir benötigen dringend Maßnahmen, um die Kostenlast zu reduzieren und vor allem zu fairen Arzneimittelpreisen zu kommen. Das Ziel muss deshalb sein, die Preisfindung für neue, patentgeschützte Arzneimittel anzupassen. Eine weitere wichtige Maßnahme, die kurzfristig umsetzbar ist, ist die Senkung der Mehrwertsteuer. Es ist unverständlich, dass der ermäßigte Satz von sieben Prozent für Grundnahrungsmittel, Blumen oder kulturelle Leistungen gilt, für Medikamente aber nicht. 

Schade ist besonders, dass die Berliner-Koalition ihre im Koalitionsvertrag fixierten Pläne nicht umsetzt. Dies wären u. a. eine regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses für die GKV und die Zahlung kostendeckender GKV-Beiträge für ALG-II-Beziehende.

Manon Auste­nat-Wied

Manon Austenat-Wied, Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern