TK: Sehr geehrte Frau Austenat-Wied, zu Beginn des Jahres haben wir intensiv über die zahlreichen Herausforderungen im Gesundheitswesen gesprochen. Das Jahr 2022 neigt sich nun dem Ende entgegen. Sind aus ihrer Sicht die richtigen Entscheidungen getroffen worden, damit die Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern langfristig sicher ist?

Manon Austenat-Wied: Die Zahl der Herausforderungen im Gesundheitswesen war und ist enorm. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass sie trotz unserer engagierten Tätigkeiten im ablaufenden Jahr nicht geringer geworden ist. Ein Hauptproblem ist, dass die anlaufenden Legislaturperioden auf Bundes- und Landesebene dazu geführt haben, dass die in diesem Jahr verabschiedeten politischen Regelungen häufig nur die Problemlagen im aktuellen Kalenderjahr kurieren. Ein gutes Beispiel dafür ist das auf Bundesebene beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Mit den eingeführten Regelungen lösen wir das Finanzproblem der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht nachhaltig. Zudem sind einige Regelungen in ihrer Wirkungsintensität nicht vorhersehbar. Wir werden uns also auch im kommenden Jahr wieder intensiv mit Fragen der GKV-Finanzierung beschäftigen müssen, dann hoffentlich mit nachhaltigeren Lösungsansätzen. 

Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch mit Blick auf die Versorgungslage in den ländlichen Regionen. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Sport Mecklenburg-Vorpommern hat mit der Gesundheitskommission und den dazugehörigen Gremien einen klugen Prozess auf den Weg gebracht, um gemeinschaftlich Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu entwickeln. Allerdings werden wir erst im kommenden Jahr in die Umsetzungsphase einsteigen und auch erst dann können wir beurteilen, wie gut und nachhaltig unsere Ideen und Pläne sind. Ich möchte diese Chefinsache auch nutzen, um einen Appell an die Teilnehmenden zu richten. Lassen Sie uns gemeinschaftlich und couragiert, fernab von Partikularinteressen, an der Versorgungssituation der Menschen in unserem Bundesland arbeiten. Dazu müssen wir alte Denk- und Handlungsmuster abstreifen und zuweilen auch innovative und unkonventionelle Wege gehen.

TK:  Innovation ist das Stichwort. Wie innovativ müssen wir im Gesundheitswesen zukünftig sein?

Austenat-Wied: Innovationen sind immer eine Antwort auf Anforderungen, die von bestehenden Produkten oder Strukturen nicht mehr bewältigt werden können. Insofern war und ist der Innovationsbedarf im Gesundheitswesen natürlich enorm. Ein praktisches Beispiel dazu: Viele kleinere Krankenhäuser im ländlichen Raum beklagen wirtschaftliche Schwierigkeiten und gleichzeitig können zahlreiche ambulante Kassenarztsitze in den gleichen Regionen nicht besetzt werden. Die Patientinnen und Patienten können aber für ihre ambulante Behandlung nicht einfach ins Krankenhaus gehen, da Krankenhausärzte in der Regel keine ambulanten medizinischen Leistungen erbringen dürfen. Mit einer stärkeren sektorenübergreifenden Ausrichtung der Leistungserbringung könnte es uns hier gelingen, die Patientenanliegen besser zu adressieren. Dafür braucht es strukturelle, prozessuale und organisatorische Innovationen. Gegenwärtig erarbeiten wir mit zahlreichen Partnern ein Konzept für die bedarfsorientierte Weiterentwicklung eines Krankenhausstandortes im Schweriner Süden. Dort wollen wir, im Optimalfall gefördert durch den Innovationsfonds, die sektorenübergreifende Versorgung etablieren und gleichzeitig den telemedizinischen Netzwerkaufbau vorantreiben. Mit dem positiven Bescheid zur Ausfertigung eines Vollantrages beim Gemeinsamen Bundesausschuss haben wir in diesem Jahr eine wichtige Hürde genommen. Wir setzen darauf, dass wir den entscheidenden Innovationsausschuss mit unserem Vollantrag überzeugen und im kommenden Jahr mit der Patientenversorgung starten können.

TK:  In ihren Erwartungen für das Jahr 2022 sprachen Sie auch von einer landesweiten telemedizinischen Plattform. Ist diese bereits im Aufbau?

Austenat-Wied: Die Mitglieder der "Enquete-Kommission zur Zukunft der medizinischen Versorgung" haben sich in der vergangenen Legislaturperiode auf einige Maßnahmen zur Stabilisierung der Versorgung in Mecklenburg-Vorpommern geeinigt. Eine davon ist die Einrichtung einer landesweiten Telemedizin-Plattform. Mit der Gesundheitskommission befinden wir uns gegenwärtig im Ausarbeitungsprozess dazu. Zunächst analysieren wir dazu die versorgungspolitischen Auswirkung der Plattform und diskutieren unterschiedliche Finanzierungswege, damit das Angebot langfristig erhalten bleibt. Ich halte eine telekonsiliarische Beratungsplattform für Medizinerinnen und Mediziner für einen wichtigen Eckpfeiler, um die qualitativ hochwertige und ortsunabhängige Versorgung im Bundesland aufrechtzuerhalten. Denn damit entstünde  unabhängig vom Leistungsbereich ein digitales Kompetenznetzwerk. Die fachärztliche Expertise aus den Maximalversorgern und von weiteren ärztlichen Spezialistinnen und Spezialisten, könnte über diesen Weg unkompliziert landesweit verfügbar gemacht werden. Ich bin zuversichtlich, dass wir diesen gegenwärtigen strategischen Prozess im ersten Quartal des kommenden Jahres auch operativ starten. 

TK: Sie blicken schon in Richtung des kommenden Jahres. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welche Reform würden Sie im Gesundheitswesen als erstes umsetzen? 

Austenat-Wied: Wie oben kurz dargelegt, gibt es viele Handlungsbedarfe im Gesundheitswesen. Eine langfristig gedachte Verbesserung der GKV-Finanzierung wäre ein wichtiges Fundament, damit alle weiteren Reformen auch nachhaltig umgesetzt werden können. Außerdem würden so etwaige finanzielle Unsicherheiten bei den Versicherten abgebaut werden. Die Schwachstellen der gegenwärtigen Reformbemühungen und bessere Lösungsmöglichkeiten haben wir auf unserer Themenseite ausgearbeitet.

Mit intensiverem Blick auf die Versorgungssituation im Land denke ich, dass eine Reform des Krankenhausbereichs ebenso dringend erforderlich ist. Ich hoffe hier auf eine erhebliche Veränderungsbereitschaft bei den einzelnen Häusern, um einerseits ihr wirtschaftliches Fundament und andererseits die Patientenversorgung in den ländlichen Regionen zu festigen. Die Veränderungen sollten dabei sowohl die Krankenhausplanung als auch das individuelle Leistungsportfolio vor Ort betreffen.

Manon Auste­nat-Wied

Manon Austenat-Wied, Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Leiterin der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern