Streit um die Finanzierung der Krankenhäuser, Mangel an Pflegekräften, Gesundheitsämter, die statt mit dem Computer noch immer mit dem Fax arbeiten - die Liste der Baustellen in der Berliner Gesundheitspolitik ist lang. Reichlich Zündstoff also für eine virtuelle Podiumsdiskussion, zu der die TK Berlin Brandenburg am 31. März Expertinnen und Experten geladen hatte. 

Unter dem Motto "100 Tage im Amt" diskutierten rund 90 Minuten lang:

 •    Dr. Thomas Götz (Bündnis 90/Die Grünen), Staatssekretär für Gesundheit und Pflege der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung
•    Prof. Dr. Beate Jochimsen, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der HWR Berlin und Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit
•    Christian Zander, MdA und gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Berlin
•    Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft
•    Susanne Hertzer, Leiterin der TK in Berlin und Brandenburg

In der lebhaften Diskussion, moderiert von Ingo Bach, Verantwortlicher Redakteur Gesundheit beim Berliner Tagesspiegel, gingen die Meinungen mitunter deutlich auseinander.

Digitalisierung

"Neben dem Personalproblem muss die Digitalisierung gleichwertig in den Fokus gerückt werden", forderte Prof. Dr. Beate Jochimsen. Ihr Vorwurf: Während der Coronapandemie wurden viele Vorgänge noch per Fax erledigt - zu langsam, zu umständlich. Jochimsen: "Auch bei der einrichtungsbezogenen Impfflicht läuft die Meldung von Arbeitgebern an das LAGeSo und an die Gesundheitsämter immer noch per Fax."
Ein Problem, das auch der Staatssekretär sieht. Dr. Thomas Götz: "Wir müssen bei der Digitalisierung weiterkommen und auch die digitale Teilhabe sicherstellen. Datenschutz und Datensicherheit sind wichtig - sie dürfen aber nicht als Knockout-Argument genutzt werden." Daten seien nicht unbedingt sicherer, wenn sie über ein Faxgerät kommuniziert werden.

Neben dem Personalproblem muss die Digitalisierung gleichwertig in den Fokus gerückt werden.  Prof. Dr. Beate Jochimsen

Krankenhausfinanzierung 

Die Finanzierung der Krankenhäuser - naturgemäß das Hauptthema von Marc Schreiner. Am 21. März hat die Berliner Krankenhausgesellschaft gemeinsam mit den Ersatzkassen und der AOK einen Brandbrief an das Berliner Abgeordnetenhaus verschickt, darin 350 Millionen Euro für Berlins Kliniken gefordert. 

Marc Schreiner: "Im Haushaltsentwurf werden die Krankenhäuser mit 150 Millionen Euro abgespeist. Wir sind kollektiv sprachlos über diesen Vorschlag des Senats, der rund 200 Millionen Euro hinter dem errechneten, nachgewiesenen Bedarf zurückbleibt." Und er erinnerte an alte Versprechen: "Frau Giffey hatte als Wahlkämpferin noch angekündigt, dass Krankenhausinvestitionen das Flaggschiff der neuen Koalition werden. Mit dem Vorschlag sind wir eher in der Kategorie Ruderboot."

Unterstützung gab es von der Opposition. CDU-Gesundheitsexperte Christian Zander: "Die Kostenaufstellung, die die Berliner Krankenhausgesellschaft erstellt hat, stammt aus dem letzten Jahr. Wenn ich jetzt sehe, wie viel teurer Bauen geworden ist und was wir für Gesetze in Berlin erlassen haben, die das Bauen noch teurer machen, scheint mir die Summe von 350 Millionen Euro schon konservativ geschätzt." 

Wir sind kollektiv sprachlos über diesen Vorschlag des Senats, der rund 200 Millionen Euro hinter dem errechneten, nachgewiesenen Bedarf zurückbleibt. Marc Schreiner

Keine leichte Position für den Senatsvertreter. Götz: "Die Investitionen entsprechen dem deutschen Mittelwert!" Der Senatsvorschlag sei im Übrigen nur eine Empfehlung, sein Haus durchaus mit höheren Forderungen in die Verhandlungen eingestiegen, die Ressourcen seien allerdings begrenzt. Der Ball liege nun beim Parlament. Angesichts höherer Kosten in den kommenden Jahren sieht er vor allem "einen Bedarf, neue Versorgungsformen zu erproben, Stichwort Ambulantisierung".

TK-Diskussionsrunde zu "100 Tage im Amt"
Diskutierten über die Politik des neuen Berliner Senats: Dr. Thomas Götz, Prof. Dr. Beate Jochimsen, Christian Zander (obere Reihe v.l.), Marc Schreiner, Susanne Hertzer, Ingo Bach (untere Reihe v.l.)

Sektorenübergreifende Versorgung

Statt eines Miteinanders von stationärem und ambulanten Bereich findet sich zu oft ein Neben- oder gar Gegeneinander - nicht nur in Berlin. 

"Hier müssen wir neue Konzepte finden, vielleicht mal andere Wege gehen, vielleicht eine neue Form der Finanzierung finden. Was wir im Moment sehen, ist das Doktern an Symptomen, aber keine Veränderung von Strukturen", so Susanne Hertzer. Hinderlich bei einer besseren Verzahnung von Klink- und Praxisbereichen sei die unterschiedliche Vergütung, wie der aktuelle Streit in der Notfallmedizin zeige. Hertzer: "Solange wir zwei getrennte Töpfe haben, wo es natürlich immer Umverteilungsbewegungen gibt, ist es normal, dass KV und Klinken versuchen für ihre Position das Beste zu erreichen."

Was wir im Moment sehen, ist das Doktern an Symptomen, aber keine Veränderung von Strukturen. Susanne Hertzer

Auch die Tatsache, dass sich in Bezirken wie Lichtenberg, Köpenick oder Marzahn-Hellersdorf zu wenige Ärztinnen und Ärzte niederlassen, fordere ein Umdenken. Susanne Hertzer: "Wir müssen uns dort neue Modelle ausdenken."
Der Staatssekretär verweist auf die Ziele des Koalitionsvertrags "Ambulant vor stationär", so Götz: "Wir haben dazu schon Gespräche geführt." Unter anderem gehe es dabei darum, den Studiengang der Community Health Nurse zu etablieren.

Öffentlicher Gesundheitsdienst

"Wir brauchen einen starken Öffentlichen Gesundheitsdienst", ist Götz überzeugt. Der Senat habe deshalb bereits 220 Stellen geschaffen, rund 85 Prozent davon seien auch besetzt. Bei den Ärztinnen und Ärzten gebe es allerdings mit einer Besetzungsquote von 78 Prozent noch "Luft nach oben". Sein Credo: "Wir müssen den ÖGD schon im Studium bekannter und attraktiver machen." Dazu müsse man die Arbeitsbedingungen verbessern und auch an der Bezahlung dranbleiben.

Wir müssen den Öffentlichen Gesundheitsdienst schon im Studium bekannter und attraktiver machen. Dr. Thomas Götz

Bei der Opposition rennt er damit offene Türen ein. "Wir brauchen eine bessere Bezahlung, mehr Digitalisierung und wir müssen bessere Arbeitsbedingungen schaffen", sagt auch Zander. Er bleibt allerdings skeptisch, was die zeitnahe Besetzung der offenen Stellen in den Gesundheitsämtern angeht: "Ein Problem ist, dass wir in Berlin eine große Konkurrenzsituation haben." In 20 Jahren Kommunalpolitik habe er zudem schon viele Diskussionen über Stellenbesetzungen geführt und leider immer wieder erlebt, dass ehrgeizige Pläne am Ende wieder in der Schublade verschwanden.

Pandemie und Fluchtbewegung aus der Ukraine

Dem neuen Senat blieb angesichts der aktuellen politischen Lage wenig Zeit zur Einarbeitung. "Coronapandemie und Ukraine - wir kommen aus dem Krisenmodus nicht heraus", so Staatssekretär Götz. Beides demonstriere aber einmal mehr, "dass wir ein resilientes Gesundheitssystem brauchen". Dem Senat sei "wichtig, dass die Gesundheitsversorgung alle in Berlin lebenden Menschen einbezieht".

Doch wie sieht es mit der Integration medizinischer Fachkräfte in Kliniken und Praxen aus? Können ukrainische Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte das Personalproblem in Berlin lösen?

Wichtig sei, die dafür in Deutschland geforderten Prüfungen häufiger durchzuführen, so die Forderung von Zander. 
"Die Krankenhäuser stehen bereit, um qualifiziertes Personal zu integrieren", so Schreiner. Allerdings sei zu erwarten, dass viele Menschen nach Ende des Krieges wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Es bleibe daher "unsere ureigenste Aufgabe, mit guten Arbeitsbedingungen für gute Arbeit zu sorgen. Das geht nur mit angemessenen Investitionen!" Zander mahnte zudem die Einführung einer Pflegekammer an, um Pflegenden mehr Gehör zu verschaffen und ihre Interessen besser zu vertreten.

Der Senat muss endlich das Thema Pflegekammer angehen, um Pflegenden eine starke Stimme zu geben. Christian Zander

Um Pflegende zu gewinnen, brauche es nicht nur ein anständiges Gehalt, sondern vor allem auch eine bessere Arbeitsorganisation und Wertschätzung", ist Susanne Hertzer überzeugt. Die TK Berlin und Brandenburg hat ihre Vorstellungen zum Thema Pflege in einem Positionspapier dargelegt.

Viele Themen, viele Meinungen: Die ebenso interessante wie faire Diskussion soll nur der Anfang weiterer Gesprächsrunden sein. Susanne Hertzer in ihrem Schlusswort: "Ich wünsche mir, dass wir mehr kommunizieren und in einen guten und strukturierten Dialog treten."

Den Mitschnitt der Veranstaltung finden Sie hier:

Die TK-Veran­stal­tung zum Rein­schauen

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