TK: Herr Engelmann, so kurz vor der Wahl in Niedersachsen sollten wir uns die Gesundheitsversorgung in Niedersachsen anschauen, was sagen Sie: was läuft richtig gut in Niedersachsen?

Dirk Engelmann: Die Niedersächsinnen und Niedersachsen sind insgesamt sehr zufrieden mit der Gesundheitsversorgung im Land. Das zeigt eine Forsa-Umfrage, die repräsentativ für Niedersachsen im Auftrag der TK erstellt wurde. Demnach sind 89 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden. Das haben sich vor allem die Akteure im Gesundheitssystem erarbeitet. Aber auch die Politik hat das System auf Kurs gehalten. Ich glaube, dass bei aller z. T. berechtigten Kritik die Landesregierung das Land gut durch die Corona-Pandemie gebracht hat. Dies wird honoriert. Dass die Menschen heute zufrieden sind, muss aber nicht heißen, dass dies so bleibt. Nach Corona werden noch mehr harte Versorgungsthemen in den Vordergrund treten. Das wird herausfordernd.

TK: Natürlich kommt dann auch die Gegenfrage: Wo müssen wir in Niedersachsen ganz dringend anpacken und das System verbessern?

Engelmann: Die Landesregierung hat einige dicke Bretter im letzten Jahr bewegt. Ein ganz wesentlicher Erfolg ist die Krankenhausreform. Hier ist die Planungsgrundlage für eine zukunftsfeste Krankenhausstruktur geschaffen worden. Auch die erfolgreiche Umsetzung der "Konzertierten Aktion Pflege Niedersachen" (KAP.Ni) verdient Respekt und ist wichtig. Für die kommende Legislatur sehe ich drei Großbaustellen: Die Krankenhausreform muss entschlossen umgesetzt werden und nicht mehr notwendige Standorte müssen in bedarfsgerechte und zukunftsfeste Strukturen überführt werden. Damit geht auch einher, dass dort wo notwendig regionale Gesundheitszentren geschaffen werden, um die Versorgung langfristig und sektorenübergreifend zu sichern. Eine der größten Baustellen ist die Digitalisierung. Das muss auch als Landesaufgabe begriffen werden. Und ganz wichtig: Die Landesregierung sollte sich in Berlin massiv für eine zukunftsfähige Finanzierungsreform einsetzen. Es kann nicht das politische Ziel sein, während die Menschen massiv unter steigenden Lebenshaltungskosten leiden, zusätzlich die Beiträge zu erhöhen, weil man sich vor dringend notwendigen Leistungsreformen scheut. Politik muss endlich die Verantwortung für über 50 Millionen beitragszahlende Versicherte übernehmen ebenso wie für die Wirtschaft, die paritätisch diese Lasten schultern muss.

TK: Die meisten Menschen in Niedersachsen sind, laut einer Forsa-Befragung im Auftrag der TK, zufrieden mit der gesundheitlichen Versorgung, aber was stört die Bürgerinnen und Bürger im Land?

Engelmann: Ich glaube, viele Menschen machen sich Sorgen um die Frage, ob eine gute Gesundheitsversorgung auch in zehn Jahren noch flächendeckend gewährleistet werden kann. Schließlich ist nahezu wöchentlich von Ärzte- und Pflegepersonalmangel zu lesen. Ich stelle die These dagegen, dass wir auch in Zukunft genügend Personal haben, wenn wir es sinnvoll und am richtigen Ort einsetzen. Heute werden zu viele Ressourcen in unnötige Standorte und medizinisch nicht sinnvolle Leistungen gesteckt. Politik und Gesundheitssystem müssen jetzt umsteuern, damit es nicht aufgrund dieser hausgemachten Probleme in zehn Jahren tatsächlich zur Unterversorgung kommt. Ein Großteil der Aufgaben liegt übrigens in Berlin. Der Politik in Niedersachsen muss man attestieren, dass sie ihr Möglichstes bereits zu tun. Zum anderen sind die Menschen unzufrieden mit der Digitalisierung des Gesundheitssystems. Es ist niemandem mehr vermittelbar, dass es im Gesundheitssystem nicht die gleichen digitalen Standards gibt, wie in den meisten heutigen Lebensbereichen. Ich sehe aber auch bei vielen Ärztinnen und Ärzten, dass sich da endlich ein Kulturwandel vollzieht. Das ist gut. Wir arbeiten in dem Bereich zunehmend erfolgreich mit der Ärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) oder dem Hausärzteverband zusammen. Im Klinikbereich gibt es ebenso große Baustellen.

TK: Die TK versucht seit vielen Jahren die Digitalisierung mehr und mehr im deutschen Gesundheitswesen zu verankern, wo haben wir noch immer Nachholbedarf?

Engelmann: Digitalisierung im Gesundheitssystem muss auch als Ländersache begriffen werden. Dazu gehört ein schnellerer und flächendeckender Breitbandausbau sowie die zügige Ausschöpfung aller Fördertöpfe. Ebenso sollten Krankenhausinvestitionsmittel an die Digitalisierung der Häuser geknüpft werden. Die Gesundheitsregionen bieten darüber hinaus gute Plattformen, die digitale Vernetzung der Leistungserbringenden voranzubringen. Im Bund steht die gesetzliche Umsetzung von wichtigen Vorhaben der Koalition, wie das Opt-out der elektronischen Patientenakte (ePA), aus. Auch hier muss mehr Tempo reinkommen. 

TK: Die Bundespolitik spielt nicht erst seit Corona eine wesentliche Rolle im Gesundheitswesen, was sind auf Bundesebene die wichtigen Baustellen?

Engelmann: Fast alle wichtigen Reformen müssen bundespolitisch entschieden werden. Der Koalitionsvertrag enthält zahlreiche wichtige Reformvorhaben von der Finanzierung über die Klinikreform bis hin zur Digitalisierung und vielem mehr. Nach neun Monaten liegt bis auf ein Beitragserhöhungsgesetz kein wichtiges Vorhaben vor. Das wichtigste Ziel auf Bundesebene wäre daher: Beginnen!