CDU, CSU und SPD haben vor wenigen Tagen unter dem Titel "Verantwortung für Deutschland" den Koalitionsvertrag vorgelegt. Neun Seiten werden dem Thema "Gesundheit und Pflege" gewidmet. 

TK: Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag insgesamt?

Nadia Mussa: Die Koalition möchte Wartezeiten in der ambulanten Versorgung verringern und setzt dabei neben einem Primärarztsystem auch auf eine strukturierte digitale Ersteinschätzung. Dieser Schritt ist richtig, die TK hat hierzu auch Vorschläge unterbreitet. Gut finde ich auch, dass die Krankenhausreform umgesetzt werden soll und der Transformationsfonds nun doch nicht aus den Mitteln der GKV finanziert wird. 

Nadia Mussa

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Leiterin der TK Landesvertretung Baden-Württemberg

Allerdings sieht der Koalitionsvertrag weitere Veränderungen an der Krankenhausreform vor. Einige davon sind allein aus technischen Gründen notwendig. Die Türen sind aber auch geöffnet für weitergehende Anpassungen. 

Es ist wichtig, weiterhin an einer hohen Qualität der Krankenhausversorgung festzuhalten. Nadia Mussa

Deshalb ist es wichtig, weiterhin an einer hohen Qualität der Krankenhausversorgung festzuhalten und Krankenhäusern bestimmte Leistungen nicht zu erlauben, wenn sie die Qualitätsstandards dauerhaft nicht erfüllen.

Völlig unbefriedigend ist, dass die zentrale Frage nicht beantwortet wird - nämlich wie die Gesundheit in Zukunft sicher finanziert werden kann. Es sind weder konkrete Maßnahmen zur Kostendämpfung vorgesehen noch sind Ansätze zu erkennen, staatliche Aufgaben mit Steuermitteln zu bezahlen anstatt aus den Beiträgen der gesetzlich Versicherten.  Die in der Vereinbarung formulierten Absichtserklärungen reichen nicht aus. Konkrete Vorschläge soll eine Expertenkommission erarbeiten, doch erst bis zum Frühjahr 2027. Das ist viel zu spät. Bis die Vorschläge greifen, ist dieses Jahrzehnt vermutlich vorbei. Die Lage ist so dramatisch, dass jetzt wirksame Maßnahmen benötigt werden.

TK: Was bedeutet der Koalitionsvertrag für die Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Mussa: In der Digitalisierung setzt die neue Regierung auf die elektronische Patientenakte und Telemedizin. Das sind sehr wichtige Voraussetzungen dafür, Deutschland zumindest ins Mittelfeld beim Stand der Digitalisierung in länderübergreifenden Vergleichen zu bringen. Darüber hinaus werden keine Zielpunkte und Impulse definiert.

Ich hoffe, dass endlich eine gewisse Eigendynamik entsteht, die der ePA zum Durchbruch verhilft. Nadia Mussa

Anbieter von Software- und IT-Lösungen werden verpflichtet erst bis 2027 einen digitalen Datenaustausch auf der Basis einheitlicher Standards sicherzustellen, da befürchte ich, dass die Praxisverwaltungssysteme hier und da noch Probleme bereiten könnten. Gleichwohl hoffe ich, dass endlich eine gewisse Eigendynamik entsteht, die der ePA ungeachtet gesetzlicher Vorgaben zum Durchbruch verhilft.
      
TK: Welche Aspekte des Koalitionsvertrags sind aus baden-württembergischer Perspektive erwähnenswert?

Mussa: Die Aussage, die industrielle Gesundheitswirtschaft und die Medizintechnik zu stärken, kommt den vielen Unternehmen in Baden-Württemberg auf diesem Sektor sicher entgegen, obgleich keine konkreten Maßnahmen genannt werden. Angesichts der Tatsache, dass im Südwesten die Zahl der Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen stark zunimmt, ist die angekündigte große Pflegereform sicher positiv zu sehen, zumal die Bundesländer an der Erarbeitung der Reform beteiligt werden.

Doch auch hier drängt die Zeit. Deshalb soll die Bund-Länder-Arbeitsgruppe die notwendigen Reformen und strukturellen Veränderungen innerhalb von sechs Monaten bis Ende 2025 erarbeiten. Im Hinblick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr ist zu hoffen, dass die gesundheitspolitischen Aktivitäten der neuen Bundesregierung den Wahlkampf in Baden-Württemberg im positiven Sinne ankurbeln und zu neuen konstruktiven Ideen führen.