Zur Sache: Neuer Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg
Interview aus Hamburg
Im Oktober 2021 hat die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) ihren neuen Vorstand gewählt. Neuer KV-Vorstandsvorsitzender ist seit April 2022 der bisherige KV-Geschäftsbereichsleiter für das "Operative Geschäft", John Afful. Caroline Roos besetzt weiterhin die Position der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden. Die KVH setzt sich für die Interessen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten in Hamburg ein.

Ihr Vorgänger Walter Plassmann hatte seit 2004, also 18 Jahre lang, die Geschicke der KVH geleitet, erst im hauptamtlichen KV-Vorstand und seit 2013 als Vorstandsvorsitzender. Im Interview berichten John Afful und Caroline Roos über die künftigen Pläne der KVH.
TK: Herr Afful, Frau Roos, auch wenn die Wahl schon ein halbes Jahr zurückliegt, zunächst noch einmal herzlichen Glückwunsch an Sie Beide! Das war ja eine recht lange Übergangszeit. Gleich an Tag 1 nach der offiziellen Verabschiedung von Herrn Plassmann haben Sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung einen leidenschaftlichen Appell an die Politik gerichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die den Verkauf von Praxen an Finanzinvestoren verhindern sollen. Ist das aktuell das drängendste Thema für die KV Hamburg?
John Afful: Das Thema Private Equity wird uns in der Tat intensiv beschäftigen. Immer mehr nicht-medizinische Investoren kaufen Praxen auf, auch in Hamburg, wodurch Gelder aus dem solidarischen Gesundheitssystem in die Taschen von privaten Unternehmen fließen, die mit der vertragsärztlichen Versorgung nichts zu tun haben. Das hat auch Auswirkungen auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten, da in diesen investorengetriebenen Praxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) vor allem honorarstarke Leistungen skaliert werden.
In investorengetriebenen Praxen und MVZ werden vor allem honorarstarke Leistungen skaliert.
Caroline Roos: Ja, das Thema drängt sehr. Die Renditeerwartungen der Finanzinvestoren führen für Patienten zu einem eingeschränkten Leistungsspektrum in diesen Praxen. Das erhöht im Gegenzug das Patientenaufkommen bei den Praxen, in denen dann verstärkt die Basisversorgung der jeweiligen Fachgruppen gesucht wird. Es ist davon auszugehen, dass das die Wartezeiten auf Termine in den betroffenen ärztlichen Fachgruppen erhöhen wird. Damit könnten wir als KV letztlich die Sicherstellung der Basisversorgung nicht mehr über unsere Mitglieder gewährleisten, sondern müssten quasi Verhandlungen mit den MVZ-Trägern führen. Meines Erachtens ist das Thema seitens der Politik nicht zu Ende gedacht.
Ist der lukrative Bereich des ambulanten Gesundheitswesens erst einmal ausverkauft, lässt sich das nicht mehr zurückdrehen. Deshalb fordern wir von der Politik, diese Entwicklung zu stoppen und zudem die MVZ zu verpflichten, die Eigentümerstrukturen offenzulegen. Die Patientinnen und Patienten sollten wissen, wem eigentlich die Praxis gehört, die sie gerade aufsuchen.
Wir fordern von der Politik, diese Entwicklung zu stoppen und zudem die MVZ zu verpflichten, die Eigentümerstrukturen offenzulegen.
John Afful
TK: Welche Themen werden darüber hinaus besondere Aufmerksamkeit benötigen?
Afful: Ein weiteres Thema, das wir verfolgen werden, ist die Sicherung der haus- und kinderärztlichen Grundversorgung in Hamburg. Wir sehen, dass es Regionen gibt, in denen die Versorgungsdichte nicht mehr so gegeben ist, wie es wünschenswert wäre; etwa, weil neue Wohnviertel entstehen oder weil für Arztsitze zum Teil nur schwer Nachfolger gefunden werden. Hier müssen wir gemeinsam mit der Politik und unseren Selbstverwaltungspartnern individuelle Sicherstellungslösungen anbieten. Die Forderung nach einer klein- oder kleinsträumigen Bedarfsplanung mag für viele verlockend klingen, leistet aber keinen substanziellen Beitrag zur Lösung des Problems.
Roos: Die Hamburger Vertragspraxen und der Arztruf Hamburg haben in den vergangenen zwei Jahren einen enormen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie geleistet. Allein mit unserem fahrenden Notdienst, dem "Arztruf Hamburg", wurden seit Beginn der Pandemie mehr als 400.000 PCR-Abstriche genommen, in den Vertragsarzt-Praxen wurden über zwei Millionen Impfungen durchgeführt. Jetzt gilt es - obwohl wir Corona weiterhin wachsam im Auge behalten werden -, wieder ein Stück weit zur Normalität zurückzukehren - sowohl in den Praxen als auch im "Arztruf Hamburg", der sich wieder auf seine originäre Aufgabe konzentrieren wird, die ärztliche Notfallversorgung erkrankter Menschen. Trotzdem werden wir uns für den Fall der Fälle im Herbst bereithalten.
Caroline Roos
Wir haben immer mehr angestellte Mitglieder - denen wollen wir Mut machen, auch selbst eine Praxis zu übernehmen.
TK: Herr Afful, auch wenn Ihr Name bisher eher nur Eingeweihten bekannt war, sind Sie in der KV selbst tief verwurzelt. Wie bereits Ihr Vorgänger sind auch Sie - im Gegensatz zu ihren Kollegen in anderen KVen - kein Arzt. Welche Erfahrungen bringen Sie aus Ihrer langjährigen Tätigkeit in der KVH in die neue Position ein?
Afful: Ich habe 1994 als Assistent des damaligen Geschäftsführers Dieter Bollmann in der KVH angefangen. Eine meiner zentralen Aufgaben war unter anderem, ihn sowohl in internen als auch externen Angelegenheiten zu vertreten. Dadurch bin ich schon früh mit den vielen verschiedenen vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Themen konfrontiert worden - ich kenne das KV-System also schon sehr lange. Später als Leiter der Abrechnung und als Geschäftsführer für den Bereich Operatives Geschäft stand ich kontinuierlich im direkten Austausch mit unseren Mitgliedern und habe mit den Jahren gelernt, welche Themen besonders relevant sind. Dieses Wissen möchte ich in meiner neuen Position weiter ausbauen, um für die Zukunft der KV Hamburg neue Impulse zu geben und neue Ideen umzusetzen. Wichtige Ziele werden hierbei sein, die Selbstverwaltung weiter zu stärken, also auch die Identifikation unserer Mitglieder mit dem solidarischen gemeinwohl-orientierten KV-System zu befördern und die Service-Mentalität unserer Institution weiter auszubauen. Hierzu zählt auch die komplexe Beratung unserer Mitglieder in allen relevanten Fragen der Praxisführung und der Versorgungsgestaltung. Wir haben immer mehr angestellte Mitglieder - denen wollen wir Mut machen, auch selbst eine Praxis zu übernehmen.
Höchstes Ziel der Digitalisierung muss sein, Prozesse in der Praxis und in der Kommunikation mit anderen Playern - bis hin zur intersektoralen Zusammenarbeit - effizienter zu machen.
TK: Frau Roos, die Digitalisierung im Gesundheitswesen hat nach Jahren des Stillstands zuletzt deutlich Fahrt aufgenommen. Auch die KH Hamburg hat hier in den vergangenen Jahren viel getan. Wo sehen Sie sich heute beim Thema - und was sind die größten Baustellen?
Roos: Wir wollen, dass die Digitalisierung funktioniert - das tut sie aber bislang nicht. Die Digitalisierungsbestrebungen des Gesetzgebers werden nach wie vor zu Recht von vielen Praxen als Ärgernis wahrgenommen. Zu viele Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) funktionieren nicht, die Technik streikt, Industrie und Systemhäuser halten dem enormen Zeitdruck nicht stand, der von der Politik aufgebaut worden ist. Und wenn es dann nicht klappt, werden die Praxen mit Sanktionen belegt. Daher fordern wir, dass die Digitalisierung tatsächlich die Verbesserung der Versorgung im Auge hat, und nur Anwendungen ausgerollt werden, deren Funktionalität sicher ist. Höchstes Ziel muss sein, Prozesse in der Praxis und in der Kommunikation mit anderen Playern - bis hin zur intersektoralen Zusammenarbeit - effizienter zu machen. Ansonsten ist leider damit zu rechnen, dass die KV-Mitglieder der TI weiterhin sehr skeptisch gegenüberstehen werden.