Worauf es bei dem Vorhaben der Regierung ankommt, erläutert Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Direktor des Hamburg Center für Health Economics (HCHE) der Universität Hamburg und Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit, im Interview.

TK: Herr Professor Schreyögg, welche Inhalte sollten aus Ihrer Sicht in einem Gesundheitsdatennutzungsgesetz enthalten sein?

Prof. Dr. Jonas Schreyögg: Dieses Gesetz sollte Rechtssicherheit für die Nutzung und die Verknüpfung von Gesundheitsdaten für die Forschung, aber auch Ärzte, Krankenkassen bis hin zur Industrie schaffen. Natürlich muss es für die unterschiedlichen Stakeholder auch unterschiedliche Regeln geben. Momentan existiert bei allen eine hohe Rechtsunsicherheit, die dann von Behörden oftmals so ausgelegt wird, dass ein Zugang nicht oder nur mit hohen Bürokratiehürden möglich ist. Dabei muss das Ziel sein, dass das Gesetz dem Patientenwohl dient, aber gleichzeitig auch den Persönlichkeitsschutz gewährleistet.

Prof. Dr. Jonas Schreyögg

Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Hamburg Center for Health Economics (HCHE) an der Universität Hamburg

Für viele politische Entscheidungen in der Corona-Pandemie wurde auf Studien aus England, Israel und den USA zurückgegriffen, wo die Datenzugänge unbürokratisch und schnell sind. Prof. Dr. Jonas Schreyögg

TK: Welchen Nutzen könnte die geplante dezentrale Forschungsdateninfrastruktur für das Gesundheitswesen haben?

Prof. Schreyögg: Wir sehen in anderen Ländern (z.B. England oder Finnland), dass eine nachhaltig finanzierte zentrale Datenintegrationsstelle erforderlich ist. Diese Stelle sollte in der Lage sein, für Forschende Datenzugänge zu ermöglichen und vor allem verschiedene Datensätze, die dezentral vorliegen, zu verknüpfen. Diese Stelle greift also im Auftrag von Forschenden auf eine dezentrale Forschungsdateninfrastruktur zurück. Diese Konstruktion hat ein gewaltiges Potenzial, um die Wirtschaftlichkeit und Qualität des deutschen Gesundheitswesens zu verbessern. Zu oft wissen wir in Deutschland nicht, wie bestimmte Reformen im Gesundheitswesen wirken, weil wir schlicht keinen Zugang zu den entsprechenden Daten haben.

TK: Wären wir in der Corona-Pandemie bereits weiter, wenn wir aktuell Gesundheitsdaten besser nutzen könnten? 

Prof. Schreyögg: In der Corona-Pandemie konnten wir besonders gut beobachten, was es bedeutet, wenn der Zugang zu den entsprechenden Daten nicht möglich ist oder die Prozesse für den Datenzugang zu lange dauern. Für viele politische Entscheidungen wurde daher auf Studien aus England, Israel und den USA zurückgegriffen, wo die Datenzugänge unbürokratisch und schnell sind. Beispielsweise fehlte in Deutschland - anders als in anderen Ländern - ein unique identifier zur Verknüpfung der Daten aus der Impfsurveillance des RKI mit Krankenkassenroutinedaten. Durch eine Verknüpfung könnte man die Wirkung der Impfung, aber auch deren Nebenwirkungen für Deutschland viel besser quantifizieren, was auch das Vertrauen der Bevölkerung stärken dürfte.

TK: Können wir hier vielleicht von anderen Ländern lernen?

Prof. Schreyögg: Hier könnte man ganz viele Länder nennen. In der Corona-Pandemie stachen England, Israel und die USA heraus. Zum Beispiel wurde eine viel beachtete Studie aus Israel zur Effektivität des Biontech-Impfstoffs, eine Verknüpfung aus Routinedaten und elektronischer Patientenakte (ePA) einer Krankenkasse, im Zeitraum 20.12.2020 bis 01.02.2021 durchgeführt und nur 23 Tage danach bereits in einem hochrangigen Journal veröffentlicht. Genau solche schnellen Zugänge und Auswertungen werden in der Pandemie benötigt, um evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen. Wir können aber generell auch von anderen EU-Ländern (z.B. Finnland und Dänemark) lernen, wie Datenzugänge nutzerorientiert gestaltet werden können. In der Regel wird dort ein Antrag von Forschenden oder anderen Stakeholdern zur Nutzung von Gesundheitsdaten gestellt. Dann berät ein zentrales Use-&-Access Committee und entscheidet in kurzer Frist, ob und in welcher Form der Datensatz für die jeweiligen Antragsteller bereitgestellt wird.