Viele Probleme des deutschen Gesundheitssystems sind seit Langem bekannt. Die unterschiedlichen Krisen haben sie nun wie in einem Brennglas sichtbarer gemacht. Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, wirft im Interview einen Blick zurück auf das vergangene Jahr und gibt gleichzeitig einen Ausblick, was im kommenden Jahr angegangen werden muss.

TK: Frau Puttfarcken, wenn sie auf das Jahr 2022 zurückschauen, wie sieht Ihr erstes Fazit aus? 

Maren Puttfarcken: Das Jahr 2022 war von Krisen geprägt: Gestartet mitten in der Corona-Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine - und die damit verbundene Energiepreis-Krise. All diese großen Krisen haben sich auch auf unser Gesundheitssystem in Deutschland ausgewirkt. Strukturelle Probleme und Baustellen im Gesundheitswesen, die in den vergangenen Jahren ignoriert worden sind, wurden nun mit aller Härte offengelegt. 

Die Bundesregierung ist im Dezember 2021 ambitioniert gestartet. Es hatte zunächst den Anschein, als wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach der Mut für echte Reformen fehlen würde. Mit der nun erfolgten Ankündigung zur Krankenhausreform sehen wir Bewegung im Bereich der stationären Versorgung. Die vorgelegten Reformvorschläge beinhalten sehr vielversprechende Aspekte, wie zum Beispiel die Staffelung der Krankenhäuser nach Versorgungsgrad. Doch einiges könnte sich auch nachteilig auf die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen auswirken. Spannend wird auch, wie die Vorschläge in den einzelnen Bundesländern bewertet werden. Ohne die Länder wird es nicht gehen. Das wird in den nächsten Wochen eine spannende Debatte. 

Wir hatten uns als Krankenkasse auch gewünscht, dass die Finanzierungsprobleme der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bereits in diesem Jahr angegangenen worden wären. Mit dem am 12. November 2022 in Kraft getretenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wurden aber keine strukturellen Probleme gelöst, sondern nur um ein Jahr verschoben. Im nächsten Jahr sind die Ausgangsbedingungen dann vermutlich sogar noch schlechter, da infolge der Gesetzgebung kaum noch Rücklagen zur Verfügung stehen. Damit die Beiträge für die Versicherten nicht noch weiter steigen, brauchen wir im kommenden Jahr strukturelle Maßnahmen auf Einnahmenseite mit einem dynamischen Steuerzuschuss und fairen Ausgleichszahlungen etwa für ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger, vor allem muss aber auch die Ausgabenseite angegangen werden, zum Beispiel brauchen wir faire Preise für neue Arzneimittel.

Damit die Beiträge für die Versicherten nicht noch weiter steigen, brauchen wir im kommenden Jahr strukturelle Maßnahmen auf Einnahmenseite. Maren Puttfarcken

Eine weitere Baustelle bleibt die Digitalisierung. Wir hatten gehofft, dass die gematik beim E-Rezept in diesem Jahr einen Schritt weiter geht. Aber ein Testlauf in den Modellregionen wurde abgebrochen. Darüber hinaus muss der Prozess nutzerfreundlicher werden. Es ist kein Vorteil, wenn das Rezept über einen QR-Code am Schluss doch wieder ausgedruckt wird. Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Politik mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz (KHPflEG) den Weg geebnet hätte, das E-Rezept in die millionenfach genutzten Apps der Krankenkassen zu integrieren.

Auch die elektronische Patientenakte (ePA) zeigt leider noch zu wenig praktischen Nutzen für die Versicherten und Leistungserbringende. Hier hoffen wir, dass die angedachte Opt-out-Regelung einen Schub bringt. Die gematik wird diesen Weg prüfen. Wir sind davon überzeugt, dass die ePA schlussendlich für mehr Effizienz und Transparenz im Gesundheitswesen sorgen wird. 

TK: Wenn wir auf die angekündigte Krankenhausreform schauen, was muss sich dort ändern?

Puttfarcken: In der ersten Dezemberwoche hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Ergebnisse der eingesetzten Krankenhauskommission vorgestellt. Wir sehen darin durchaus einige vielversprechende Aspekte. Die problematischen Strukturen werden adressiert, und es sollen endlich Versorgungsstufen eingeführt werden. Damit schaffen wir mehr Spezialisierung in den Kliniken, und das wird zu mehr Qualität in der Versorgung führen. Dass auch die Sicherstellung der Versorgung auf dem Land in den Blick genommen wird, ist ebenfalls wichtig.

Problematisch finden wir die Vorschläge, wie Vorhaltekosten eingeführt werden sollen. Wir brauchen diese unbedingt, das ist unbestritten. Doch wenn künftig ein beträchtlicher Anteil der Kassenausgaben für Krankenhäuser an der gemeinsamen Selbstverwaltung vorbei vom Staat verteilt wird, ist das faktisch eine Teilverstaatlichung des Gesundheitssystems.

 

Maren Puttfarcken

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Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg

TK: Nun den Blick auf unseren Stadtstaat - in Hamburg gab es Anfang Dezember einen Paukenschlag. Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher hat den Senat umgebaut. Danach wird Melanie Schlotzhauer Nachfolgerin von Dr. Melanie Leonhard als Sozial- und Gesundheitssenatorin. Erwarten Sie, dass es mit ihr neue Schwerpunkte in der Hamburger Gesundheitspolitik geben wird?

Puttfarcken: Natürlich verlieren wir mit Frau Dr. Melanie Leonhard eine sehr kompetente Sozialsenatorin an die Wirtschaftsbehörde. Wir haben gut zusammengearbeitet. Dafür möchte ich ihr danken. Die Sozialbehörde war auch schon vor der Eingliederung des Bereichs Gesundheit eine riesige Behörde. Trotzdem hatte Frau Leonhard für wichtige Anliegen aus dem Gesundheitsbereich zu jeder Zeit ein offenes Ohr und hat Hamburg in Richtung Bundespolitik stets gut vertreten. 

Mit Melanie Schlotzhauer als Nachfolgerin bekommen wir eine Senatorin, die die Sozialbehörde und vor allem den Bereich Gesundheit schon sehr gut kennt. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren bereits sehr vertrauensvoll mit ihr zusammengearbeitet. Daher gehe ich davon aus, dass sie mit den gesetzten Schwerpunkten im Bereich Gesundheit weiter machen wird. Wir wissen, dass der Schuh an vielen Stellen drückt: etwa bei der Krankenhaustruktur in Hamburg oder dem Schwerpunkt der Landeskonferenz Versorgung - der Kinder- und Jugendgesundheit. Insofern freue ich mich auch auf die weitere Zusammenarbeit. 

Mit Melanie Schlotzhauer als Nachfolgerin bekommen wir eine Senatorin, die die Sozialbehörde und vor allem den Bereich Gesundheit schon sehr gut kennt. Maren Puttfarcken

TK: Was wird im kommenden Jahr noch wichtig werden? 

Puttfarcken: Auch im nächsten Jahr wird das Thema Pflege mit all seinen Aspekten wichtig bleiben. Wir brauchen eine kluge Lösung für die Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung, wir müssen versuchen, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen weiter zu entlasten, und stehen weiterhin vor der Frage, wie sich der Mangel an Pflegekräften und ihre starke Belastung beheben lässt. 

Weiterhin findet am 31. Mai die Sozialwahl 2023 statt. Hier wählen die Mitglieder ihre Vertreterinnen und Vertreter in den Selbstverwaltungsorganen der gesetzlichen Sozialversicherungsträger. Damit werden nach sechs Jahren auch wieder die 30 Veraltungsräte der TK gewählt. Sie entscheiden unter anderem über Zusatzleistungen, legen den Haushalt fest, wählen den Vorstand und beschließen die Satzung. Jeweils 15 Mitglieder vertreten die Interessen der Versicherten und die der Arbeitgeber. Das ist für uns immer eine spannende Zeit!