Zur Sache: Reformbaustellen im Gesundheitswesen
Interview aus Hamburg
Die Liste der Baustellen im Gesundheitswesen wird immer länger. So ist eine Lösung für eine nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin nicht in Sicht. Der Fachkräftemangel macht sich mittlerweile in allen Versorgungsbereichen im Gesundheitswesen bemerkbar, und auch die angekündigte Krankenhausreform scheint schwerer umsetzbar als gedacht. Um nur einige der ganz großen Themen zu nennen.

Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, wirbt dafür, das Gesundheitswesen schnellstmöglich auf solide Füße zu stellen, um die Versorgung zu sichern und für künftige Krisen gut aufgestellt zu sein.
TK: Frau Puttfarcken, bis Ende des Monats Mai muss Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einen Vorschlag für die künftige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorlegen. Worauf kommt es aus TK-Sicht dabei an?
Maren Puttfarcken: Wir benötigen für die Finanzierung der GKV echte Lösungsansätze. Die bisherigen Maßnahmen greifen zu kurz: Sie wirken nur punktuell, konzentrieren sich vor allem auf die Einnahmenseite und belasten somit die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler - etwa durch die Anhebung des Zusatzbeitrags und die Abschmelzung der Rücklagen.
Künftig muss viel stärker auch die Ausgabenseite berücksichtigt werden. Hier ist in den vergangenen Jahren der Handlungsbedarf größer geworden. Die Jahre, in denen der Geldhahn immer sprudelte, sind vorbei. Jetzt müssen wir versuchen, den stetigen Ausgabenanstieg zumindest zu verlangsamen. Zum Beispiel im Bereich Hilfsmittel: Hier sind die Ausgaben in den vergangenen Jahren immens hoch gegangen, auch weil Krankenkassen die Versorgung nicht mehr ausschreiben dürfen. Dabei sind Ausschreibungen ein transparenter Weg zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Deshalb sollten wir aus unserer Sicht bei geeigneten Produkten zum Ausschreibungsverfahren zurückkehren.
Insgesamt müssen wir genau hinschauen, wofür Beitragsgelder ausgegeben werden. Fließen sie in die notwendige Versorgung oder versickern sie in überflüssigen Strukturen, Doppeluntersuchungen, in hohen Gewinnen von Pharmaunternehmen oder in Aufgaben, die eigentlich dem Staat obliegen? Wichtig ist daher auch, dass der Bund seiner Pflicht nachkommt, die Krankenversicherungsbeiträge für Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II vollständig zu übernehmen. Im Ampel-Koalitionsvertrag wurde zumindest eine höhere Kostenbeteiligung versprochen. Die wurde aber bisher nicht umgesetzt.
Insgesamt müssen wir genau hinschauen, wofür Beitragsgelder ausgegeben werden. Fließen sie in die notwendige Versorgung oder versickern sie in überflüssigen Strukturen, Doppeluntersuchungen, in hohen Gewinnen von Pharmaunternehmen oder in Aufgaben, die eigentlich dem Staat obliegen?
TK: Der größte Kostenblock ist aktuell die stationäre Versorgung. Wie optimistisch blicken Sie auf die laufende Gesetzgebung für eine Krankenhausreform?
Puttfarcken: Wir haben bei der Krankenhausreform die Chance, die stationäre Versorgung für die Patientinnen und Patienten nachhaltig zu verbessern. Auch wenn Kompromisse im Prozess dazu gehören, hoffe ich, dass dies am Ende gelingen wird. Wichtig bleibt aber, dass bundeseinheitliche Kriterien festgelegt werden, die dann die Grundlage für die Krankenhausplanung in den Ländern bilden.
Ein zweiter Punkt: Die Einführung von Vorhaltekosten, um den ökonomischen Druck auf die Kliniken zu verringern, ist ein richtiger Schritt. Doch zuerst muss die Politik die Strukturen der Krankenhauslandschaft ändern. Wenn wir das nicht in diese Reihenfolge machen, sondern bereits vor einer Reform der Strukturen mit der Zahlung von Vorhaltekosten beginnen, besteht das große Risiko, dass wir die bestehende Über- und Fehlversorgung zementieren. Das darf auf keinen Fall passieren!
Maren Puttfarcken
Weiterhin muss die Reform das Investitionsproblem lösen. Die Bundesländer kommen ihren Verpflichtungen zur Finanzierung der Krankenhausinvestitionen seit Längerem nur unzureichend nach. Dadurch passiert es, dass Krankenhäuser ihre Innovationen - etwa einen neuen OP-Saal oder Maßnahmen der Digitalisierung - quersubventionieren, und zwar durch die von den Krankenkassen getragenen Betriebskosten. Dafür sind sie aber nicht vorgesehen - diese Gelder sollen die Behandlungen der Patientinnen und Patienten finanzieren!
TK: Ein großes Problem ist auch der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Neben den Pflegekräften wird es auch in anderen Versorgungsbereichen immer schwerer, Personal zu finden. Welche Lösungsansätze gibt es hier?
Puttfarcken: Wir sehen seit langem, dass professionell Pflegende eine hohe Belastung und hohe Fehlzeiten haben. Der fordernde Arbeitsalltag, Personalmangel und die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben die Entwicklung noch verstärkt. Im stationären Bereich könnte die Krankenhausreform eine Entlastung bringen, wenn sie, wie geplant, umgesetzt würde. Denn damit würden Leistungen an weniger Standorten konzentriert. Das vorhandene Personal könnte so gezielter verteilt werden, was die Belastung der einzelnen Kräfte verringern würde. Bis dahin unterstützen wir als TK zum Beispiel Pflegeeinrichtungen dabei, gesundheitsfördernde Maßnahmen und Strukturen zu schaffen. Doch auch die Strukturen im Gesundheitswesen und Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet werden, dass das Gesundheitspersonal besser unterstützt wird.
Einzelmaßnahmen wie das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz werden die Probleme im Pflegebereich nicht lösen. Im Gegenteil: Statt neuer Kolleginnen und Kollegen wird die Pflegepersonalbemessung 2.0 den Pflegekräften jede Menge zusätzlichen Aufwand an Bürokratie bescheren. Das macht keinen Sinn: Zur Personalbemessung gibt es längst eine gesetzliche, von allen Seiten akzeptierte Lösung. Die gemeinsame Selbstverwaltung hatte bereits begonnen, diese umzusetzen. Das wird aus unserer Sicht nun durch falschen Aktionismus ausgebremst, während andere, sinnvolle Reformen weiter warten müssen.
Darüber hinaus müssen wir als Gemeinschaft auch stärker öffentlich diskutieren, wie die Arbeitsbedingungen mit den Wünschen der angehenden Pflegekräfte oder Ärztinnen und Ärzte zusammengebracht werden können. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das angestellte Arbeiten oder Arbeit in Teilzeit sind mit der derzeitigen Struktur nicht immer oder nur sehr schwer vereinbar. Ich hoffe, dass wir hierzu lieber morgen als zu spät mit der Diskussion beginnen!