TK: Sie sind der App-Entwickler. Vor gut einem Jahr haben Sie mit Unterstützung der TK für die Selbsthilfekontaktstellen in Rostock und Güstrow die erste Selbsthilfe-App für Mecklenburg-Vorpommern "MV Mitte" entwickelt. Wie kam es zu diesem Projekt?

Uwe Große-Wortmann: Gestatten Sie mir vorab bitte ein paar grundsätzliche Dinge zu unseren Selbsthilfe Apps. Wir verstehen uns hier nicht als rein technischer Entwickler, sondern gestalten ein stückweit auch die Inhalte mit. Wir drehen Videos, führen Interviews, begleiten mit der Kamera Gruppentreffen und Veranstaltungen und versuchen die Nutzer für diese neue Art der Kommunikation zu sensibilisieren. Ziel ist es, gerade ältere Menschen die Scheu zu nehmen und sie zu ermutigen, aktiv ihr App-Projekt mitzugestalten. Es gibt so keine räumlichen Grenzen mehr für Kontakte jedweder Art. Nicht nur in Corona Zeiten kann die App gegen gefühlte Isolation und Vereinsamung, beinahe Wunder wirken.

Die Selbsthilfe App für Rostock und Güstrow ist ein Ergebnis unserer Bestrebungen, Deutschland flächendeckend mit regionalen Selbsthilfe Apps zu vernetzen und auf diese Weise völlig neue Synergien zu schaffen. MV ist neben Brandenburg und Sachsen-Anhalt das dritte Bundesland. Schleswig Holstein, Niedersachen und Berlin sind wie auch Österreich unsere nächsten Verknüpfungspunkte. Corona bedingt allerdings inzwischen leider mit etwas Verspätung. Übrigens, bei all diesen Apps war die TK bislang unser Partner.

Uwe Große-Wort­mann

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Geschäftsführender Gesellschafter der Media Foundation GmbH

Zur Person

Uwe Große-Wortmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Media Foundation GmbH. Die Firma produziert Filme und Apps und arbeitet strategisch beratend für Unternehmen und Verbände. Der gelernte Journalist und Kaufmann ist seit 25 Jahren selbstständig. Aktuell ist Uwe Große-Wortmann Kreistagsabgeordneter und Vorsitzender eines Kultur-Fördervereins. Sein Engagement für die Selbsthilfe entstand zunächst im persönlichen Umfeld, bevor er es vor fünf Jahren auch zu einem beruflichen Standbein machte.

TK: Können Sie etwas zur Nutzung sagen bzw. bekommen Sie auch Rückmeldungen von Anwendern?

Große-Wortmann: Es gibt die unterschiedlichsten Resonanzen der User. Am häufigsten sind es selbst erstellte Beitrage, die wir dann ins Netzwerk implementieren. Oft kommen Videos bei uns an, häufig auch Texte, die wir bei uns im Tonstudio aufnehmen und in die App einstellen. So soll es sein, dass ist der Sinn der App - sich gegenseitig kennenzulernen, die eigene Geschichte zu erzählen und sich einander zu unterstützen. Natürlich gibt es auch technische Fragen - je komplexer die App wird. In Corona freien Zeiten treffen wir deshalb mehr oder weniger regelmäßig die Gruppen zu einem, na wie soll ich sagen, „technischen Kaffee trinken“ und können dort eigentlich immer die kleinen Probleme im Umgang mit bestimmten Funktionen lösen.

Wie so eine App wirken kann war vor gut einem Jahr schön zu sehen, als sich ein Tanzveranstaltung aus Eberswalde ihren Weg über Potsdam bis in den Harz bahnte und nun in Braunschweig stattfindet. Dabei haben wir in Braunschweig noch gar keine App….

Über 25.000 Nutzer haben bislang auf die zahlreichen Beiträge geklickt. Wir haben auch einen Top 10 bezüglich der häufigsten Aufrufe. Platz Eins ist dabei erstaunlicherweise ein Audio-Beitrag und kein Video. Mehr wird aber nicht verraten. Die professionellen Videos der Selbsthilfe Potsdam „Dann eben anders“ haben wir übrigens nicht in diese Statistik aufgenommen. Damit wären es über 600.000 mehr.

Das ist der Sinn der App - sich gegenseitig kennenzulernen, die eigene Geschichte zu erzählen und sich einander zu unterstützen.

TK: Die digitale Vernetzung ist sicherlich das Herzstück der App. Auch gerade jetzt in der aktuellen Corona-Pandemie. Im letzten Jahr förderte die TK eine Erweiterung der App: die Chatfunktion. Können Sie etwas zu dem Update sagen?

Große-Wortmann: Nachdem wir bereits sämtliche Selbsthilfe Apps mit einer Vorlesefunktion, einer Lupe und einer Schlagwortsuche barrierefrei gemacht hatten, war das erste große Update im letzten Jahr die Chatfunktion, die es ermöglich im Netzwerk miteinander, ähnlich wie What´s App, zu kommunizieren. Diese Funktion macht unsere Selbsthilfe Apps ziemlich komplett und wird  inzwischen überall gewünscht. Die App für Rostock und Güstrow war diesbezüglich der Erlkönig. Im Frühjahr folgen zunächst Sachsen-Anhalt und Potsdam, im Sommer Österreich. Das alles kriegt dann in der Masse noch einmal eine neue Dimension. Stellen Sie sich vor, Sie können Videos aus Cottbus schauen und mit Salzburg, Potsdam oder Merseburg darüber im Chat nebenan diskutieren, sich themenbezogen verabreden oder einfach nur neue Bekannte finden, die Ihr Krankheitsbild nachvollziehen können oder gar teilen. Und bevor jemand fragt: Natürlich passiert das anonym und unter strengster Beachtung der geltenden Datenschutz-Richtlinien für so ein Portal.

Die App für Rostock und Güstrow war diesbezüglich der Erlkönig.

TK: Was steht für 2021 an? Wird die App noch erweitert?

Große-Wortmann: Ja, in MV sogar noch in diesem Frühjahr. Zugegeben bin ich ein wenig von dieser speziellen Entwicklung überrascht, aber es zeigt, dass die App schon nach wenigen Monaten eine echte Relevanz hat. Wir werden in den nächsten Wochen einen neuen Chat-Kanal implementieren, der auch eine Video-Telefonie ermöglicht. Das Überraschende für mich ist dabei nicht der Wunsch als solches, sondern dass diese Bitte durch eine Gruppe pflegender Angehöriger von Demenz-Erkranken kam. Sie wollen sich auf diese Weise bundesweit austauschen. Wie man mir versicherte, besteht gerade bei den pflegenden Angehörigen ein großes Defizit an Kommunikation. Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass dieser Chat künftig noch viele untere Ebenen bekommt, in der pflegende Angehörige anderer Krankheitsbilder ihren Erfahrungsaustausch vollziehen und einander Tipps geben.

Im Übrigen ist es natürlich auch unser Ziel Mecklenburg-Vorpommern komplett zu vernetzen. Da ist im Westen und Osten noch einiges offen, was aber nicht auf das mangelnde Interesse der potentiellen Nutzer zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf verwaltungstechnische Unwägbarkeiten im Vorfeld eines solchen Projektes.

Es ist natürlich unser Ziel, Mecklenburg-Vorpommern komplett zu vernetzen.

TK: Uns zu guter Letzt: Sie sind mit Ihrer Firma Media Foundation bundesweit unterwegs. Was verbindet Sie mit unserem Bundesland?

Große-Wortmann: Ich habe vier wunderbare Jahre an der Seenplatte gewohnt und habe deshalb in Mecklenburg-Vorpommern Freunde und Bekannte, die ich mindestens einmal im Jahr treffe. Das ist immer ein Highlight, denn Mecklenburg-Vorpommern ist landschaftlich nicht zu toppen. Die Menschen sind angenehm gelassen. Dass ich als gebürtiger Bielefelder dann hier auch noch Apps entwicklen darf, hat wirklich viel Schönes.