Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit der TK viele innovative Projekte auf den Weg gebracht. Wir haben mit Kathleen Schluricke über den Einsatz von Chatbots und die Zukunftsperspektiven der Alzheimergesellschaft in unserem Bundesland gesprochen.

TK: Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern hat in den vergangenen Jahren viele innovative Projekte auf den Weg gebracht. Bei einigen Vorhaben durften wir als TK Sie im Rahmen der Selbsthilfeförderung unterstützen. Welches Projekt liegt Ihnen besonders am Herzen?

Kathleen Schluricke: Mich hat jede einzelne Idee begeistert. Es gibt nicht das eine Lieblingsprojekt. Das Besondere an diesen Projekten ist nicht nur der innovative Charakter, sondern auch, dass es junge Menschen sind, die sich mit der Thematik auseinandersetzen und neue Lösungen kreieren. Die Motivation dahinter ist: Es gibt ein Problem, hier ist eine Lösung! So zielen die Projekte auf sehr unterschiedliche Problemlösungen ab – das Memoboard hilft verbummelte Gegenstände leichter wiederzufinden, das multimediale Licht-Naturerlebnis wirkt der Isolation von immobilen Bewohnern entgegen und der Chatbot erweitert das Informations- und Beratungsangebot. Jedes Projekt steht für sich und ist großartig. All die Projekte verbessern den Alltag von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen und das ist einfach toll!

TK: Im Jahr 2018 entwickelten und erstellten Sie den Prototypen eines mobilen multimedialen Licht-Naturerlebnisstandes für Menschen mit Demenz. Dieser kam bzw. kommt heute Bewohnern einer stationären Pflegeeinrichtung in Neubrandenburg zu Gute. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse haben Sie aus diesem Projekt mitgenommen?

Kath­leen Schlu­ricke

Kathleen Schluricke, 1. Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft M-V Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
1. Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft M-V

Schluricke: Die Idee wurde damals von einem sehr engagierten jungen Studenten der Hochschule Neubrandenburg an uns herangetragen. Anfangs war es nur eine Idee. Der Erfolg dieses Projektes bestätigt mich persönlich einmal mehr, wie wichtig es ist, Ideen offen und kreativ zu begegnen und somit das Potenzial zu erkennen. Der Erkenntnisgewinn liegt darin, dass auch kleine, innovative Ideen dazu beitragen können, die Lebensumstände der Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen zu verbessern. Tatsächlich hat sich aus diesem Projekt heraus sogar ein Anschlussprojekt entwickelt. Es ist die Weiterentwicklung des vorhandenen Prototyps also vom relativ großen, mobilen System für stationäre Einrichtungen hin zu einem praktikableren kleineren mobilen Gerät für die Anwendung in der Häuslichkeit. Gemeinsam laut denken, kreativ sein und somit neue Möglichkeiten und Wege aufdecken, macht mir sehr viel Spaß. 

TK: Zusammen mit mehreren Partnern, u. a. der Hochschule Stralsund und der BioCon Valley GmbH wurde das Memoboard entwickelt. Eine technische Alltagshilfe, um verlorene Gegenstände wiederfinden zu können. Die Selbstständigkeit von Menschen mit Demenz soll so möglichst lange gewahrt bleiben. Nach der Produktentwicklung sollte der Markteinstieg angepeilt und das Produkt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wo steht das Projekt heute?

Schluricke: Die Entwicklung eines Prototyps oder auch Versuchsmodells ist immer nur der erste Schritt in Richtung eines funktionsfähigen und schließlich marktreifen Produktes. Die folgenden notwendigen Funktionstests dienen der Optimierung des entwickelten technischen Systems. Das Memoboard befindet sich derzeit in der Phase der Verbesserung der technischen Leistungsfähigkeit, hier gibt es noch Optimierungsbedarf. Die jungen Entwickler des Memoboards studieren noch und sind in vielen Gremien und Arbeitskreisen aktiv, wie z. B. im Jugendbeirat der DAlzG LV M-V oder im Arbeitskreis Digitalisierung des Bundesverbandes der DAlzG. Für die Weiterentwicklung des Prototyps bis zur Marktreife wollen die Jungs das EXIST-Gründerstipendium beantragen. Dafür müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Sie werden auf jeden Fall ihre Idee bzw. das Vorhaben weiter vorantreiben. Ich finde es beeindruckend, wie engagiert und leidenschaftlich sich diese jungen Menschen für das Thema Demenz einsetzen.  

TK: Seit dem vergangenen Jahr arbeiten Sie an der Etablierung eines lernenden Online-Beratungs-Chats für (pflegende) Angehörige von Menschen mit Demenz (Chatbot). Was hat Sie zu diesem innovativen Projekt bewegt? Was versprechen Sie sich von diesem Beratungs- und Informationsangebot?

Schluricke: Menschen, die Angehörige mit der Diagnose Demenz betreuen, fühlen sich oft allein gelassen und überfordert. Kann ich meine an Demenz erkrankte Mutter tagsüber allein zu Hause lassen? Lässt sich die schleichende Erkrankung aufhalten? Wie gehe ich mit Verhaltensauffälligkeiten um? Diese und viele andere Fragen stellen sich sorgende Angehörige, Freunde und Nachbarn. 
Wo aber findet man erste Informationen und Orientierung? Wir bieten telefonische und persönliche Beratung während der Büroarbeitszeiten an. Was aber, wenn ich als Familienmitglied berufstätig oder den Tag über mit der Pflege beschäftigt bin, so dass ich erst am Abend Zeit finde, mich ausführlich zu informieren und auf die Suche nach Hilfs- und Unterstützungsangeboten zu machen. Die Idee, einen zusätzlichen Beratungszugang zu schaffen, der rund um die Uhr verfügbar ist, lag somit auf der Hand.

Der Chatbot kann und soll nicht die persönliche und telefonische Beratung ersetzen. Der Chatbot ist ein zusätzliches Angebot und kann erste allgemeingültige Fragen beantworten, erste Infos vermitteln, einen ersten Zugang zum Thema ermöglichen. Noch dazu zu jeder Tages- und Nachtzeit, wann immer Fragen auftauchen. Auf eine sehr individuelle persönliche Situation mit all den damit verbundenen Emotionen kann ein Bot niemals eingehen. Hier sollte dann unbedingt weiterhin das persönliche Gespräch in Anspruch genommen werden.

TK: Das Projekt war von Beginn an für einen Zeitraum von 1 1/2 Jahren ausgelegt. Wo lagen und liegen die besonderen Herausforderungen?

Genau, es gab eine starke Verzögerung im Projektverlauf. Das lag vor allem daran, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Juli 2020 das transatlantische Datenschutzabkommen Privacy-Shield gekippt hat. In der Folge mussten wir uns einen anderen Chatbot-Anbieter mit Sitz in Deutschland suchen. Das war nicht ganz einfach, ist uns aber dennoch gelungen. Eine weitere Herausforderung liegt in der Komplexität der Thematik Demenz. Die Schwierigkeit besteht darin, eine sinnvolle Abgrenzung gegenüber möglichen weiterführenden Themen zu finden. Die unzähligen Möglichkeiten und Variationen, wie man eine Frage stellt oder aber welche synonymen Bezeichnungen es für eine Anfrage gibt, müssen vorgedacht werden. Das System muss in der Lage sein, all diese Variationen zu erkennen. Das bedeutet, dass wir hier zwei sehr unterschiedliche bzw. konträre Sichtweisen miteinander verknüpfen müssen: einmal die Sicht und Arbeitsweise des technischen Systems und einmal die Sicht und Umgangssprache der Nutzer. 

TK: Die Entwicklung des Chatbots ist bereits weit vorangeschritten und das Angebot kann gegenwärtig in einer Testphase erprobt werden? Welche Meilensteine liegen jetzt noch vor Ihnen?

Schluricke: Wir hoffen durch den Testlauf wertvolle Rückmeldungen zur Handhabbarkeit und Funktionalität zu erhalten. Dieses Feedback nutzen wir dann für die Weiterentwicklung. Unsere Hausaufgaben bestehen nunmehr darin, das System mit allen erdenklichen synonymen Begrifflichkeiten zu füttern. Außerdem müssen wir die einzelnen Fragestellungen mit entsprechenden Variationen erweitern. Das ist absolute Fleißarbeit, aber notwendig. Das System kann eben nur so gut sein, wie es mit Informationen bzw. Daten (von uns) ausgestattet wird.

Ab November soll der Chatbot online verfügbar sein. Das bedeutet aber nicht, dass er schon voll ausgereift ist. Es werden im Zeitverlauf neue Fragen entstehen, andere Themen in den Fokus geraten und Sachverhalte werden sich ändern, die dann in den Chatbot eingepflegt werden müssen. Die Entwicklung eines Chatbots ist ein dynamischer Prozess und wird daher auch nie abgeschlossen sein.


TK: Stichwort Verstetigung! Wie geht es nach dem Auslaufen der Förderung mit dem Chatbot weiter und wie soll er langfristig die Arbeit Ihres Landesverbandes ergänzen?

Schluricke: Wenn wir unsere Hausaufgaben erledigt haben, wird der Chatbot sich zunehmend verbessern und schließlich weitestgehend automatisch und autark arbeiten. Kann eine Frage nicht vom System beantwortet werden, gibt es eine Weiterleitung an den persönlichen Chat bzw. den Kontakt für die persönliche, telefonische Beratung. Der Chatbot ist also zukünftig eine sinnvolle Brücke zwischen allererster Rund-um-die-Uhr-Informationsvermittlung und hochindividueller persönlicher Beratung. Verstetigung bedeutet vor allem Finanzierung der Kosten für das Betreiben, die Pflege und Aktualisierung des Chatbots. Dazu bedarf es der Einwerbung weiterer Fördermittel, Spenden oder Sponsoring. Wir sind sehr zuversichtlich, dass eine Verstetigung gelingt.

TK: Vielen Dank für Ihre spannenden Ausführungen zu den Projekten der letzten Jahre. Haben Sie schon Vorstellungen und Pläne für zukünftige Vorhaben?

Schluricke: Alle Ideen bzw. Projekte, die die Belastungssituation der Angehörigen verringern und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern, sind willkommen. Momentan versuchen wir für die Zielgruppe der Menschen mit Demenz in der frühen Erkrankungsphase ein neues Teilhabeangebot zu schaffen. Das gibt es so noch nicht in M-V. Diese Zielgruppe ist meist gar nicht im Fokus. Es soll ein Sozialraum in Form eines Gartens geschaffen werden. Der Gedanke dahinter ist, eine Tagesstruktur zu schaffen, Freude und Gemeinschaft zu bieten und ganz nebenbei dem Krankheitsverlauf entgegen zu wirken. Darüber hinaus soll eine Selbsthilfegruppe, nicht für die Angehörigen, sondern für die frühphasenerkrankten Menschen selbst etabliert werden. Das tolle an derartigen Vorhaben ist die relativ einfache Übertragbarkeit auf andere Regionen. Wir freuen uns über jede neue Idee, die das Leben mit Demenz zu verbessern hilft, Normalität und Lebensfreude bringt.