TK: Frau Dr. Bischoff, Sie haben selbst langjährige Erfahrung als Tele-Ärztin. Was raten Sie Kolleginnen und Kollegen, die mit dieser Form von Arzt-Patienten-Kontakt noch "fremdeln"?

Dr. Martina Bischoff: Die Telekommunikation ist eine neue Form des Arzt-Patienten-Kontakts, die erlernt werden kann, indem man sich sozusagen Kompetenzen des ärztlichen "Handwerks" via digitaler Kommunikation aneignet. Kennt man die Dos and Don´ts der Telekommunikation, schätzt man diese Form der Patientenversorgung und baut Vorurteile ab.

Dr. Martina Bischoff

Portrait von Dr. Martina Bischoff, Fachärztin für Telemedizin, Universität Freiburg Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Institut für Medizinische Biometrie und Statistik (IMBS), Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Es wird von den Kollegen häufig angezweifelt, dass wir unsere Patienten auf diesem Weg mit allen Sinnen wahrnehmen können. Dem widerspreche ich, denn auch die Telemedizin ist ein Patienten-Kontakt mit allen Sinnen: Ich höre dem Patienten konzentriert zu, sehe ihn selbst im Video oder Detailfotos, die mir geschickt werden. Ich kann sogar die Bauchdecke über die Hände des Patienten tasten, oder lasse mir Gerüche beschreiben.

Mit der Telekonsultation stärken wir außerdem die Selbstwahrnehmung der Patienten. Dies erlebe ich häufig bei Tele-Folgekonsultationen, wenn Patienten schon von sich aus im Gespräch beschreiben, was sie bei der Selbstuntersuchung herausgefunden haben. So habe ich es mit mündigen, kompetenten Patienten zu tun - denen ich auf Augenhöhe begegnen kann. Die klassische Arzt-Patienten-Beziehung ist definitiv in Transformation.

TK: Sie koordinieren die ärztliche Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin in in Freiburg für den Raum Südbaden - wie ist hier der Stand bei der Digitalisierung?

Bischoff: In Baden-Württemberg haben wir durch das Kompetenzzentrum Weiterbildung Baden-Württemberg (KWBW) einen Verbund von mehr als 60 Kliniken und knapp 400 Praxen für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄIW) geschaffen, die auch untereinander vernetzt sind.

In der Pandemiephase haben wir unsere gesamten Weiterbildungsseminare auf Online-Seminare umgestellt, um so die qualitativ hochwertige Weiterbildung der ÄIW kontinuierlich zu gewährleisten. Ebenso haben wir unsere allgemeinmedizinische, studentische Lehre an der Universitätsklinik Freiburg, sofern möglich, auf Hybridmodelle und digitale Lehre umgestellt.

Die digitale Vernetzung der Praxen als Forschungs-und Ausbildungspraxen ist bereits über das Forschungspraxen-Netz BW und das KWBW-Portal für die Weiterbildungspraxen etabliert. Das Mentoring, also der Wissenstransfer von den Praktikern zu den ÄIW, haben wir auf eMentoring umgestellt, sodass wir sowohl Gruppen- als auch Einzelgespräche online anbieten können.

TK: Wo müssen wir hin in Sachen digitale Allgemeinmedizin und welchen Beitrag kann hier das Projekt Südbaden Life leisten?

Bischoff: Das Projekt  Südbaden Life konzentriert sich neben Mentoring-Angeboten auf den Ausbau vor allem digitaler Strukturen in unterversorgten Regionen Südbadens, welche die Attraktivität der medizinischen Ausbildung, der späteren Weiterbildung und der langfristigen Existenz in diesen Gebieten deutlich erhöhen sollen. Der interdisziplinäre kollegiale Austausch und langfristig auch die Routineversorgung soll durch eHealth optimiert werden.  

Ein Beispiel für den Aufbau von eStrukturen zur kooperativen intersektoralen Versorgung ist POCUS (Point of care Ultraschall): Mit mobilen Handheld-Ultraschallgeräten wird der Patient vor Ort untersucht und ein Spezialist kann live zugeschaltet werden, um seine Expertise einzubringen. Die Erkenntnisse, die aus solchen Projekten gewonnen werden können, sollen helfen später eine flächendeckende Vernetzung von Versorgern aus Allgemeinmedizin und anderen Fachabteilungen zu erleichtern.

TK: Und was müssen die Universitäten tun, um Medizinstudierende auf ein digitalisiertes Arbeitsumfeld vorzubereiten bzw. sie dafür zu begeistern?

Bischoff: Bisher beenden die Studierenden ihr Studium, ohne gezielt auf die digitalen Herausforderungen des Allgemeinmedizinalltags vorbereitet zu sein. Wir streben an, dass mit der kommenden Ausbildungsordnung die digitalen ärztlichen Kompetenzen ein Teil des Medizinstudiums werden - auch die Telekommunikation mit dem Patienten.

Ausgebildet werden soll außerdem der kompetente Umgang mit Wissensplattformen und die Befähigung  zur Einschätzung von Gütekriterien digitaler Anwendungen, zum Beispiel unterstützender Systeme mit künstlicher Intelligenz oder von Gesundheitsapps. Die Regularien und die Umsetzung des Datenschutzes werden fester Bestandteil des Telemedizincurriculums werden. Die Wirkung der Digitalisierung auf die Arzt-Patienten-Beziehung wird erfahrbar gemacht und ethische Grundsätze des digitalen Umgangs  besprochen. Ganz wichtig ist, dass bei der Erstellung eines digitalen Curriculums interdisziplinär und interprofessionell zusammengearbeitet wird - Patientenvertreter und Studierende müssen mit dabei sein.

Ich bin zuversichtlich, dass die kommenden Studierenden gut auf die digitale medizinische Praxis vorbereitet sein werden.

Zur Person

Dr. Martina Bischoff hat Humanmedizin an der Universität Würzburg studiert. Sie ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und als Lehrkoordinatorin für Allgemeinmedizin und Versorgungsforscherin an der Universität Freiburg tätig. Außerdem fungiert sie als Koordinatorin des Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin am Standort Freiburg (KWBW) und arbeitet in der Versorgung als Teleärztin für Medgate in Basel.