"Ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt ...", singt das von Astrid Lindgren erdachte starke Mädchen mit den Sommersprossen und roten Zöpfen. Eine verlockende Idee. Für die ambulante und stationäre ärztliche Versorgung in Thüringen hätten wir bitte gern jährlich 1.250 zusätzliche Pflegekräfte, 300 weitere Ärzte und mindestens 100.000.000 Euro, um die Kliniken des Freistaats in allen Fachbereichen auf den aktuellen Stand der medizinischen Versorgung zu bringen - inklusive der nötigen und sinnvollen Digitalisierung.

Natürlich ist das überzogen. Und es ist noch nicht einmal hilfreich, zum Beispiel weil sich die Versorgungsmöglichkeiten so rasant ändern, dass sich die Wunsch-Finanzspritze wahrscheinlich wöchentlich erhöht. Das Wichtigste jedoch: Selbst wenn wir wollten, kann niemand so viel Fachpersonal bereitstellen, wie nötig wäre, um die bestehenden Strukturen aufrechtzuerhalten. Es gibt eine Realität, an der niemand in Thüringen vorbeiplanen sollte - auch nicht für die im kommenden Jahr anstehende Krankenhausplanung. Ab 2023 soll der 8. Thüringer Krankenhausplan gelten.

Ein Landkreis als aktuelles Brennglas

Nehmen wir als Beispiel die Versorgung im Saale-Orla-Kreis, weil die Kliniken dort in der medialen Berichterstattung das offensichtlichste Sorgenkind sind, vor allem das Kreiskrankenhaus Schleiz als Tochtergesellschaft des Krankenhauses Greiz. Nebenbei bemerkt: Andere Kreise wie der Unstrut-Hainich-Kreis würden sich auch als Beispiele eignen. Im Februar dieses Jahres musste die Geburtenstation in Schleiz geschlossen werden - wegen Ärztemangel. Aus demselben Grund schloss die Notaufnahme Ende Juli und Anfang August für ein paar Tage. Auch nach der Wiedereröffnung klagte der Rettungsdienst über eine zu geringe Besetzung von Notaufnahme und Chirurgie. Anfang August waren auf der Internetpräsenz des Klinikums sieben Arztstellen zur sofortigen Besetzung ausgeschrieben. Außerdem wurden Pflegekräfte gesucht, auch für die Notaufnahme.

Gegen die geschlossene Notaufnahme protestierte das Gesundheitsministerium. Gegen die geschlossene Geburtsstation protestierten vor allem die Schleizer und dem zufolge auch lokale Politiker. Aber ist es vertretbar, fernab von emotionalem Wert und dem menschlich verständlichen Bedürfnis, den Wunsch seiner Wähler zu entsprechen, eine Geburtsstation zu halten, in der etwa 300 Geburten im Jahr stattfinden, also nicht einmal eine Geburt täglich? Könnten die wenigen Geburten und das knappe Personal dazu beigetragen haben, dass die Kaiserschnittrate in Schleiz 2019 so hoch war wie in keinem anderen Thüringer Krankenhaus? Weil Kaiserschnitte und damit das nötige Personal besser zu organisieren und zu planen sind als Spontangeburten? Wäre ein hebammen-geleitetes Geburtshaus für die jungen Frauen aus Schleiz und zukünftigen Neugeborenen vielleicht hilfreicher als eine Geburtsstation mit entsprechenden personellen und finanziellen Zwängen?

Im Vergleich zu 1999 lebte 2019 ein Fünftel weniger Menschen im Saale-Orla-Kreis. Im Schuljahr 2018/2019 verließ mit 764 jungen Menschen knapp die Hälfte weniger Schüler die allgemeinbildenden Schulen als zehn Jahre zuvor.

Die Idee für den Schwerpunkt Altersmedizin in Schleiz kommt nicht zufällig. Gleichzeitig plädiert die TK dafür, dass eine bedarfsorientierte Versorgungsplanung viel weitergeht, als einen neuen Klinikschwerpunkt zu setzen.

Sektorenübergreifend, digital, kooperativ

Besonders vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der Fachkräftewirklichkeit müssen die ambulante und stationäre Versorgung noch stärker zusammengedacht werden. Vernetzungsmöglichkeiten und neue Angebote, die besonders durch Digitalisierung und Telemedizin ermöglich werden, sind zu nutzen. Gleichzeitig sind (lokal)politische Interessen zwar zu berücksichtigen, dürfen aber nicht ausschlaggebend für Entscheidungen sein.

Was aber heißen diese grundsätzlichen Forderungen konkret? Wie wäre die Gesundheitsversorgung zum Beispiel im Saale-Orla-Kreis für die Menschen vor Ort sinnvoll und gleichzeitig realistisch zu gestalten? Dafür braucht Thüringen bis zum nächsten Krankenhausplan Antworten! 

TK-Antrag im zuständigen Landesgremium

Die TK stellt deswegen im sogenannten 90a-Gremium den Antrag, modellhaft für den Saale-Orla-Kreis eine Versorgungsplanung zu erarbeiten, die realistisch an den aktuellen Gegebenheiten UND Szenarien der Zukunft orientiert ist und nicht von den klassischen Sektoren heute oder politischen Interessen begrenzt wird.

Denn genau dafür gibt es das Gemeinsame Landesgremium, in dem Vertreter des Thüringer Gesundheitsministerium, der hiesigen Kassenärztlichen Vereinigung, der Landeskrankenhausgesellschaft und der Landesärztekammer sowie des Thüringischen Landkreistags und der Krankenkassen vertreten sind. Laut Gesetz hat es folgende Aufgabe: "Das Gemeinsame Landesgremium behandelt grundsätzliche Fragen der der bedarfsgerechten, flächendeckenden und sektorenübergreifenden Versorgung und entwickelt Vorschläge für auf die Regionen bezogene sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen. Hierbei sind Aspekte der fachspezifischen Versorgungslücken und der demografischen Entwicklung zu berücksichtigen."

In den vergangenen Jahren wurde dem 90a-Gremium in Thüringen eine zu geringe Bedeutung für die Analyse und Bearbeitung der zentralen Fragen und Probleme in der medizinischen Versorgung des Landes beigemessen. Es hat sich kaum mit den vielerorts im Land drängenden Fragen zur künftigen sektorenübergreifenden Versorgung an gefährdeten Krankenhausstandorten befasst. Hier bietet das Gremium geeignete Möglichkeiten, um über die Sicherung einer langfristig zukunftsfesten Krankenhaus- und Versorgungsstruktur mit den zuständigen Beteiligten aller Versorgungsebenen rechtzeitig ins Gespräch zu kommen und sinnvolle Lösungen zu entwickeln.

Lernen in Sachsen

Dass es anders gehen kann und auch sinnvoll ist, zeigt ein Blick nach Sachsen. In unserem Nachbarfreistaat wird im 90a-Gremium lebendig diskutiert und die Versorgung aktiv gestaltet. Zuletzt wurde das im "Zwischenbericht 2019" belegt. Arbeitsgebiete des Gremiums waren und sind zum Beispiel die notärztliche Versorgung, die sektorenübergreifende schmerztherapeutische Versorgung und die passgenaue Gesundheitsversorgung in Modellregionen. Weil wir kein starkes, fröhliches Mädchen haben, das Herausforderungen - auch der Gesundheitsversorgung - auf seine Art für uns löst, sollten wir endlich konkret tätig werden. Das 90a-Gremium bietet dafür alle Voraussetzungen.

Info 90a-Gremium

Paragraf 90a Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) besagt, dass in jedem Bundesland ein gemeinsames Gremium aus Vertretern des Landes, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Landesverbände der Krankenkassen sowie der Ersatzkassen und der Landeskrankenhausgesellschaft sowie weiteren Beteiligten gebildet werden kann. Das sogenannte 90a-Gremium. Es kann Empfehlungen zu sektorenübergreifenden Versorgungsfragen abgeben. Da Vertreter verschiedenster Interessengruppen beteiligt sind, ist das Gremium optimal geeignet, um konkrete Versorgungsprobleme zu analysieren und zu bearbeiten. In Thüringen gehören zusätzlich zu den genannten Institutionen der Landkreistag und die Landesärztekammer dem Gremium an.