TK: Was ist für Sie das Besondere an diesem Forschungsvorhaben? Warum setzen Sie sich gerade für dieses Thema so engagiert ein?

Dr. Anja Bieber: Mich begeistert am Projekt PraWiDem die Zusammenarbeit von Pflegepraxis und Wissenschaft im Themenfeld Demenz. Als Altenpflegerin mit Berufserfahrungen in der Pflege älterer Menschen mit und ohne Demenz und als Wissenschaftlerin im Themenfeld Demenz kenne ich beide Welten und auch das Trennende zwischen den Welten. In der Pflege und Versorgung ist es längst nicht selbstverständlich, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen und nach Alternativen für Althergebrachtes zu suchen. In der Wissenschaft fällt es schwer, Erkenntnisse aus Studien und Projekten praxistauglich zur Verfügung zu stellen. 

Mit dem Projekt PraWiDem ändern wir die Richtung. Nicht die Wissenschaft versucht Erkenntnisse in die Pflegepraxis zu bringen, vielmehr wird in der Praxis entschieden, welches Thema wichtig für die Einrichtung ist. Das wird dann gemeinsam von Verbindungspersonen (sogenannten Linking Pins) aus Praxis und Wissenschaft bearbeitet. 

Neben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einrichtungen, die unmittelbar mit den pflegebedürftigen Menschen arbeiten, sollen sich Menschen mit Demenz und Angehörige aktiv einbringen können. Dafür suchen wir im Projekt nach ganz konkreten Möglichkeiten der Beteiligung. In wenigen Tagen starten wir eine Befragung der relevanten Gruppen, wie die Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft gelingen kann und wo förderliche Faktoren, aber auch Hindernisse zu erwarten sind.

Dr. Anja Bieber

Dr. Anja Bieber, Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

TK: Wie schätzen Sie die langfristige Rolle und Nachhaltigkeit von PraWiDem in Forschung und Praxis ein?

Bieber: Der Living Lab Ansatz als Methode der kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen Pflegepraxis und Wissenschaft hat sich im Nachbarland Niederlande seit mehr als 20 Jahren bewährt. Unsere Kolleginnen und Kollegen der Universität Maastricht, die den Ansatz entwickelt haben, verweisen auf die Notwendigkeit der kleinen, aber beständigen Schritte für die Entwicklung eines nachhaltigen Ansatzes. Das soll vor falschen Erwartungen schützen, wonach sich mit wenig Aufwand schnelle Erfolge erzielen lassen könnten. 

Von daher sind wir jetzt auf unser dreijähriges Projekt fokussiert, ohne aber mittel- und langfristige Ziele über die Laufzeit hinaus aus dem Blick zu verlieren. Wir arbeiten an einem Living Lab Demenz Ansatz, der sich auch nach dem Projekt weiterentwickeln kann und dauerhaft sowie an verschiedenen Stellen zur Verbesserung der Pflege und Versorgung bei Demenz beiträgt. 

TK: Welche Aufgaben werden aktuell bearbeitet und mit welchen Herausforderungen ist das verbunden?

Bieber: Wir arbeiten jetzt in der ersten Stufe des Projekts an den konzeptionellen Grundlagen für die Praxisphase. Diese basieren auf einer Recherche internationaler Erkenntnisse bezüglich der erfolgreichen Zusammenarbeit von Pflegepraxis und Wissenschaft sowie aus den Ergebnissen aus Interviews, welche die Thematik aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Die konzeptionellen Grundlagen dienen dem Aufbau der einrichtungsbezogenen Living Labs. Sie helfen Fragen zu beantworten wie zum Beispiel:  Wie können sich Pflegende, aber auch Menschen mit Demenz aktiv in den Living Labs einbringen? Was sind Themen, die von den Linking Pins bearbeitet werden können, wie beispielsweise Alltagsgestaltung bei Demenz, Umgang mit Schmerz oder eingeschränkten Möglichkeiten der Kommunikation? 

Enge Kooperationen mit der Uni Maastricht und mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft helfen uns, einerseits von bisherigen Erfahrungen in der Arbeit mit Living Labs zu lernen und andererseits nicht für, sondern mit Menschen mit Demenz unser Projekt voranzubringen. Herausfordernd sind unter anderem die pandemiebedingten Einschränkungen, die reale Kontakte nur begrenzt ermöglichen, aber wichtig sind, um vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, die ein Erfolgsfaktor vernetzter Arbeit darstellen. 

Zur Person

Dr. Anja Bieber ist seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie ist examinierte Altenpflegerin und hat an der Erstellung des Nationalen Expertenstandards zur Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz mitgearbeitet. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Themenbereich Pflege und Versorgung bei Demenz.