TK: Frau Prof. Dr. Meyer, was steckt hinter dem Projekt "PraWiDem"? 

Prof. Dr. Gabriele Meyer: Das Akronym "PraWiDem" steht für das Projekt Vernetzung von Pflegepraxis und Wissenschaft durch den Living-Lab-Demenz-Ansatz. Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Gesundheit im Kontext der Nationalen Demenzstrategie. 

PraWiDem hat in der kompetitiven Ausschreibung zur Forschungsförderung überzeugt, da es durch ein sogenanntes Living Lab die Langzeitpflege von Menschen mit Demenz und die Pflegewissenschaft zusammenführen will. Verbindungspersonen aus der Praxis und Wissenschaft arbeiten eng zusammen, gewinnen Fragestellungen aus der täglichen Arbeit mit Menschen mit Demenz, bereiten Wissensbestände für die Pflegepraxis zur Implementierung auf. Das hört sich fast banal an, kann aber eine wirkungsvolle Strategie werden, um die Kluft zwischen Theorie und Praxis in der Pflege bei Demenz überwinden zu können und Wissen in beide Richtungen zu transferieren. Das Living-Lab-Modell ist von der Universität Maastricht im Bereich Langzeitpflege langjährig erprobt. PraWiDem beinhaltet eine Konzepterstellung, Erprobung und Evaluation mitsamt der Ableitung von Empfehlungen für die Langzeitimplementierung und Ausweitung.

PraWiDem wird von uns am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der MLU wissenschaftlich koordiniert. Kooperationspartner sind die Pflegewissenschaft der Universität zu Köln, die Allgemeinmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Praxispartner aus stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen sind die Paul-Riebeck-Stiftung Halle (Saale), der ambulante Pflegedienst ZION Aue und die Städtischen Seniorenheime Krefeld. Ein Gremium von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Krankenkassen und Betroffenenvertretung steht dem Projekt beratend zur Seite.

Prof. Dr. Gabriele Meyer

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Mitglied im SVR zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und Leiterin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

TK: Wie schätzen Sie die praktische und langfristige Wirksamkeit von PraWiDem ein?

Meyer: Durch die guten Vorarbeiten aus den Niederlanden und das regelmäßige Beratungsangebot der Maastrichter Kolleginnen und Kollegen erwarte ich, dass unsere Gruppe ein wissenschaftlich fundiertes, leistungsfähiges und in der Praxis der deutschen Langzeitpflege umsetzungsfähiges Konzept des Living Lab Demenz entwickelt. Ob PraWiDem langfristig wirken kann, ist nicht nur von der zeitlich befristeten Projektphase abhängig, sondern auch von der Bereitschaft der Akteure der Nationalen Demenzstrategie, den Ansatz zu verbreiten und natürlich auch von einer längerfristigen Finanzierungsmöglichkeit. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, überzeugende empirische Befunde zu generieren, die es aussichtsreich und geboten erscheinen lassen, diesen Ansatz als Arbeitsmodus des engen wechselseitigen Pflegepraxis-Pflegewissenschaft-Transfers im Bereich Pflege von Menschen mit Demenz zu nutzen. Die Niederlande haben es uns vorgemacht, denn hier ist das Living Lab inzwischen regelhaft staatlich gefördert.

TK: Was wünschen Sie sich als Pflegewissenschaftlerin von der Bundesregierung, um eine Pflegereform weiter voranzutreiben?

Meyer: Die Frage ist alles andere als trivial, denn es krankt in Bezug auf die Pflege an so vielen Ecken und prinzipiell gut gemeinte Initiativen haben bisher nicht wirklich Fahrt aufgenommen. Allen voran die Maßnahmen der Konzertierten Aktion Pflege. Als Leitung eines attraktiven primärqualifizierenden Studienganges mit Heilkundeübertragung interessiert mich an den Versprechungen im Koalitionsvertrag insbesondere die Aussage, die Regelungslücke der fehlenden Ausbildungsvergütung der Studierenden der Pflege schließen zu wollen. In der Tat ist kaum vermittelbar, wo der Vorzug eines Pflegestudiums liegen soll, wenn die Pflegestudierenden Seite an Seite mit den Auszubildenden der Pflege in den Praxiseinsätzen arbeiten, letztere ansehnlich vergütet werden, während die Studierenden maximal ein umschriebenes Praktikumsentgelt erhalten. Auch sind nach einem Studium kaum Stellenprofile verfügbar, in denen die erweiterte pflegerische Kompetenz des akademischen Werdegangs wirksam werden kann. 

Heilkundeübertragung an Pflegende muss mit allen Konsequenzen endlich konsequent und bundesweit umgesetzt werden, inklusive Verschreibungsmöglichkeit umschriebener Medikamente. Heilkundeübertragung macht meines Erachtens akademisch an Medizinischen Fakultäten erworbene Kompetenz vonnöten, vor allem aber auch regelmäßige Aneignung neuer Wissensbestände, um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten nicht zu gefährden. Damit komme ich zu einem wichtigen Punkt: Es fehlt die verbindliche Regelung beruflicher Weiterbildung in der Pflege.

Zur Person

Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer ist seit 2013 Leiterin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Forschungsschwerpunkte in der klinischen und epidemiologischen Pflegeforschung sind Versorgung und Pflege bei Demenz, Mobilität und Gelenkkontrakturen, Vermeidung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen sowie die Entwicklung und Evaluation komplexer Interventionen.