Zukunft der Pflegeversicherung
Interview aus Rheinland-Pfalz
Kathrin Anklam-Trapp, pflegepolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz, beantwortet unsere Fragen zur Zukunft der Pflegeversicherung.

TK: Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) wies zuletzt ein Finanzdefizit von 2,2 Milliarden Euro aus. Bundesgesundheitsminister Lauterbach kündigte bis Juli 2023 ein Reformgesetz an, dass die Finanzierung der SPV wieder stabilisieren soll. Um Beitragssatzsteigerungen käme man aber nicht umhin, warnte der Minister bereits. Wäre nicht die Erhöhung des Steuerzuschusses für die Pflegeversicherung als verlässliche Finanzierung sinnvoller, als die Lohnnebenkosten der Bürgerinnen und Bürger weiter in die Höhe zu treiben?
Kathrin Anklam-Trapp: Die Tatsache, dass allein in Rheinland-Pfalz rund 240.000 Menschen einen Pflegegrad besitzen und sich die Leistungsausgaben der Pflegekassen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt haben, unterstreicht die Bedeutung eines soliden
finanziellen Fundaments der Pflegeversicherung.
Kathrin Anklam-Trapp MdL
Der Koalitionsvertrag auf Bundesebene sieht das Modell einer freiwilligen, paritätisch finanzierten Pflegevollversicherung vor. Dies ist für mich der richtige Weg.
Auf dem Weg dahin halte ich die Stärkung der sozialen Pflegeversicherung durch einen Mix aus Beitragssatzerhöhungen und Steuerzuschüssen aus Bundesmitteln für geboten.
Allerdings ist klar: Gerade angesichts der steigenden Belastungen für Bürgerinnen und Bürger müssen wir die Finanzierung dieser wichtigen sozialpolitischen Leistung nachhaltig weiterentwickeln. Ich bin froh, dass sich die Sozialministerinnen und -minister der Länder bereits mit eigenen Vorschlägen in Richtung Bund in diesen Prozess einbringen.
TK: Ein Aspekt der Strukturreform im Sommer soll auch die Umsetzung der vom Bundesverfassungsgerichts verlangten Staffelung des Beitragssatzes nach Kinderzahl sein. Wie sehen Sie dieses Urteil? Man kann ja auch kinderlose Menschen nicht über Gebühr strapazieren?
Anklam-Trapp: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat klaren Handlungsbedarf aufgezeigt. Nun ist der Bundesgesetzgeber am Zug, die entsprechenden Schritte einzuleiten. Das Thema ist Teil des Reformprozesses unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums, der sich gerade im Verfahren befindet. Sobald die Vorschläge vorliegen, werden wir diese bewerten und konstruktiv begleiten können.
TK: Nach Angaben des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek) beträgt die finanzielle Belastung von Pflegebedürftigen in der stationären Pflege seit dem 1. Januar 2023 im Schnitt 2.499 Euro pro Monat. Hiervon beziffert sich der Investitionskostenanteil allein auf 457 Euro. Die TK fordert, dass die Bundesländer Heimbewohner nachhaltig entlasten sollten, indem sie die Investitionskosten der Heime übernehmen. Wie sehen Sie diese Position?
Anklam-Trapp: Zweifelsohne erleben wir gerade eine gesteigerte Dynamik bei den Pflegekosten. Die Treiber sind dabei zwar bislang weniger die Entgelte für Investitionsaufwendungen als vorrangig die Personalkosten für Pflegekräfte und - aktuell - die Verbraucherpreise. Dementsprechend sollte finanzielle Entlastung dort ansetzen, wo die größte Kostendynamik besteht. Initiativen zur Digitalisierung oder zur Energieeffizienz können hier erste Ansätze bieten.
Im Ergebnis ist aber klar, dass wir im Sinne der Pflegebedürftigen sowie ihrer Angehörigen zu Strukturen kommen müssen, die die finanzielle Belastung in einem vertretbaren Rahmen halten. Der Weg hierhin führt meines Erachtens wie gesagt über eine nachhaltig und gerecht finanzierte soziale Pflegeversicherung.
TK: Landespflegekammerpräsident Dr. Markus Mai betonte jüngst, dass die "Ökonomisierung" in der Altenpflege "Gift" sei. Auch er forderte eine Anhebung der Steuermittel. Sind Ihrer Meinung nach "Share-Holder-Values" mit sozialer Verantwortung in Einklang zu bringen?
Anklam-Trapp: Zunächst muss man feststellen, dass die Struktur privater Träger von Pflegeeinrichtungen heterogen ist. Inhabergeführte Einrichtungen stehen großen Betreiberkonzernen gegenüber, den privaten Betreiber gibt es nicht. Zur Wahrheit gehört auch, dass große Betreiberkonzerne über Ressourcen verfügen, die auch positive Auswirkungen auf die Qualität der Pflege haben können.
Aber: Schwierig ist es, wenn Renditeziele zu Lasten der Versorgung pflegebedürftiger Menschen gehen. Die Politik ist gefragt, geeignete Leitplanken zu setzen. Das betrifft die Verhandlung der Entgelte, genauso wie die externe Qualitätssicherung im Auftrag der Pflegekassen und auf ordnungsrechtlicher Basis.
Handlungsbedarf sehe ich außerdem im Falle von Finanzinvestoren. Rheinland-Pfalz hat das schon früh erkannt und ist 2013 an die Bundesregierung herangetreten, Maßnahmen zu ergreifen, um Gewinnerwartungen in der Pflege zu begrenzen. Weitere Initiativen folgten.
Sozialminister Schweitzer hat zuletzt im Januar dieses Jahres den Bundesgesundheitsminister Lauterbach gebeten, den Zugang von Finanzinvestoren in den Pflegemarkt einzudämmen. Dieses Thema muss und wird uns weiter beschäftigen.
TK: Bereits im Frühjahr will Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Digitalisierungsstrategie fürs Gesundheitswesen und die Pflege vorstellen. Die TK ist der Ansicht, dass die Pflege Teil der Digitalstrategie sein muss, um eine wesentliche Entlastung in diesem Bereich herzustellen, z.B. durch Heimplatzfindung per App. Wie sehen Sie das?
Anklam-Trapp: Digitale Technologien gewinnen in der Pflege enorm an Bedeutung. Wir beobachten dabei, dass das Potenzial noch nicht voll ausgeschöpft wird. Dabei ist der potenzielle Nutzen enorm. So können digitale Tools zur Entlastung der Pflegekräfte beitragen. Ich denke hier etwa an die Zeitfresser Pflegedokumentation oder Dienstplangestaltung. Die Landesregierung hat Chancen und Herausforderungen ebenfalls erkannt. Ich finde es gut, dass bei uns in Rheinland-Pfalz derzeit im Rahmen der Landesstudie "digi2care" genau das untersucht wird.
Wichtig ist insbesondere, die Beschäftigten mitzunehmen. Auch da tut sich im Land einiges. So soll etwa mit einer digitalen Bildungsoffensive in den Pflegeschulen die Digitalisierung in der Aus- und Fortbildung verankert werden.
TK: Die Kommunen sollen bei der Sicherstellung der Pflegestrukturplanung bei der Umsetzung eine Schlüsselrolle erhalten, so will das Land die Kommunen dabei unterstützen, einen landeseinheitlichen "Musterpflegestrukturplan" zu erstellen. Können Sie ausführen, was damit gemeint ist und welches Ziel hiermit verfolgt wird?
Anklam-Trapp: Im Koalitionsvertrag für Rheinland-Pfalz ist vereinbart: "Für uns spielen die Kommunen in der Daseinsvorsorge in der Pflege eine Schlüsselrolle. Um frühzeitig auf veränderte pflegerische Angebotsstrukturen reagieren zu können, werden wir den Sicherstellungauftrag zur Pflegestruktur durch die Kommunen konkretisieren und das Berichtswesen auf neue Füße stellen. Wir werden die Kommunen unterstützen und stellen einen landeseinheitlichen Musterpflegestrukturplan zur Verfügung."
Nach dem Landesgesetz zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der pflegerischen Angebotsstruktur sind die Landkreise und kreisfreien Städte verpflichtet, eine pflegerische Angebotsstruktur sicherzustellen und weiterzuentwickeln. Dieser Aufgabe kommen unsere Kommunen überall im Land schon sehr gut nach. Die kommunalen Pflegestrukturplaner*innen leisten eine wertvolle Arbeit.
Das Ziel ist klar: der kommunalen Pflegestrukturplanung die richtigen Werkzeuge an die Hand geben und die Landkreise und kreisfreien Städte dabei unterstützen, den Bereich kommunaler Pflege- und Versorgungsstrukturen aktiv zu gestalten. Es muss gemeinsam erarbeitet werden, wie ein Musterpflegestrukturplan auszugestalten ist, um das händische Auswerten von Zahlen überflüssig und stattdessen in wenigen Arbeitsschritten die Zahlenbasis für den Planungsprozess verfügbar zu machen.