TK: Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) wies zuletzt ein Finanzdefizit von 2,2 Milliarden Euro aus. Bundesgesundheitsminister Lauterbach kündigte bis Juli 2023 ein Reformgesetz an, dass die Finanzierung der SPV wieder stabilisieren soll. Um Beitragssatzsteigerungen käme man aber nicht umhin, warnte der Minister bereits. Wäre nicht die Erhöhung des Steuerzuschusses für die Pflegeversicherung als verlässliche Finanzierung sinnvoller, als die Lohnnebenkosten der Bürgerinnen und Bürger weiter in die Höhe zu treiben?

Michael Wäschenbach: Eine Reform der sozialen Pflegeversicherung ist unumgänglich, sie steht vor dem Kollaps. Es muss eine gerechte, sozialverträgliche Form gefunden werden, die allen Akteuren im Gesundheitswesen z.B. bei der Dokumentation spürbare Entlastung im Arbeitsalltag bringt, sowie die Kosten des Verwaltungsapparates und der Bürokratie so gering wie möglich hält. Zudem klafft die Demografie-Schere der Beitragspflichtigen und der Bezugsempfänger weiter auseinander. Ob eine zunehmend steuerfinanzierte Versicherung, die zur Entlastung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern beiträgt und die Wettbewerbsfähigkeit und attraktive Arbeitsplätze begünstigt, die richtige Lösung ist, ist genauso eine gesellschaftspolitische Zukunftsfrage, wie ein Eigenanteil (Teilkaskolösung).

Michael Wäschen­bach MdL

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Pflegepolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion

TK: Ein Aspekt der Strukturreform im Sommer soll auch die Umsetzung der vom Bundesverfassungsgerichts verlangten Staffelung des Beitragssatzes nach Kinderzahl sein. Wie sehen Sie dieses Urteil? Man kann ja auch kinderlose Menschen nicht über Gebühr strapazieren?

Wäschenbach: Eine einseitige Mehrbelastung ungewollt kinderloser Paare oder unverheirateter Menschen ist auch nicht gerecht. Dennoch ist dies meines Erachtens notwendig, da das Gemeinwesen auch vom Generationenvertrag lebt, nach dem die jüngere Generation im aktiven Berufsleben für die ältere Generation die Pflege mitbezahlt. Die Staffelung des Beitragssatzes nach Kinderzahl ist angemessen, da Mehrkinderfamilien höhere Kosten haben. 

TK: Nach Angaben des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek) beträgt die finanzielle Belastung von Pflegebedürftigen in der stationären Pflege seit dem 1. Januar 2023 im Schnitt 2.499 Euro pro Monat. Hiervon beziffert sich der Investitionskostenanteil allein auf 457 Euro. Die TK fordert, dass die Bundesländer Heimbewohner nachhaltig entlasten sollten, indem sie die Investitionskosten der Heime übernehmen. Wie sehen Sie diese Position?

Wäschenbach: Die CDU-Landtagsfraktion fordert schon seit vielen Jahren die Entlastung der Angehörigen durch eine Beteiligung des Landes an den Investitionskosten. Rheinland-Pfalz ist eins von lediglich drei Bundesländern, welches sich nicht an diesen Kosten beteiligt. Für pflegebedürftige Bürgerinnen und Bürger aus Rheinland-Pfalz ist die Pflege dadurch teurer als in anderen Bundesländern. In 2022 betrugen die Eigenanteile 235 Euro mehr als im Vorjahr, dadurch stieg die Quote der Sozialhilfebedürftigen. Die SPD-geführte Landesregierung hat unsere Vorhaben und Forderungen als Opposition leider seit Jahren stets zu Lasten der Pflegebedürftigen abgeschmettert.

TK: Landespflegekammerpräsident Dr. Markus Mai betonte jüngst, dass die "Ökonomisierung" in der Altenpflege "Gift" sei. Auch er forderte eine Anhebung der Steuermittel. Sind Ihrer Meinung nach "Share-Holder-Values" mit sozialer Verantwortung in Einklang zu bringen?

Wäschenbach: Ich stimme der Meinung der Pflegekammer zu. Die Ökonomisierung, die es nicht nur in der Altenpflege gibt, sondern im Gesundheitswesen generell, setzt falsche Anreize und sieht meist nicht den Menschen im Mittelpunkt. Einige medizinische und ethische Aspekte finden kaum mehr Beachtung. Wir sehen gerade die fatalen Auswirkungen der marktwirtschaftlich getriebenen Leiharbeit in der Pflege, die das System noch mehr ins Wanken bringt. 

TK: Bereits im Frühjahr will Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Digitalisierungsstrategie fürs Gesundheitswesen und die Pflege vorstellen. Die TK ist der Ansicht, dass die Pflege Teil der Digitalstrategie sein muss, um eine wesentliche Entlastung in diesem Bereich herzustellen, z.B. durch Heimplatzfindung per App. Wie sehen Sie das?

Wäschenbach: Eine Heimplatzfindung per App ist trivial und sollte selbstverständlich sein. Es ist ein Armutszeugnis, dass wir bei der Digitalisierung so schlecht vorankommen. Auch im Kontext des Arbeitskräftemangels ist der sehr niedrige digitale Reifegrad von Pflegeeinrichtungen nicht hinnehmbar. Auch sollten die Bürger erkennen, dass die Digitalisierung kein unkontrollierter datenschutzrechtlicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist, sondern die große Chance bietet, die Gesundheitsversorgung für jeden einzelnen Patienten zu verbessern, zum Beispiel durch Zeitgewinne für das Pflegepersonal und die unterstützungsbedürftigen Menschen durch eine automatisierte Pflegedokumentation. Alle Akteure und Betroffenen im Gesundheitswesen sollten sich bewusst sein, dass der Einsatz von KI für die personalisierte Patientenversorgung ein großer medizinischer Gewinn ist.

TK: Die Kommunen sollen bei der Sicherstellung der Pflegestrukturplanung bei der Umsetzung eine Schlüsselrolle erhalten, so will das Land die Kommunen dabei unterstützen, einen landeseinheitlichen "Musterpflegestrukturplan" zu erstellen. Können Sie ausführen, was damit gemeint ist und welches Ziel hiermit verfolgt wird?

Wäschenbach: Mir ist das Projekt der Regierung nicht genau bekannt. Ich sehe die Schlüsselrolle schon jetzt bei den Kommunen. Die kommunale Selbstverwaltung und die regionalen Besonderheiten sind ein hohes Gut in unserem Land. Man sollte die Angebotsvielfalt erhalten, aber auch für Gleichwertigkeit der Angebote in der Stadt und auf dem Land sorgen. Die Servicestelle beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung sollte unbürokratischer, z.B. über Best-Practice Hinweise weitere Arbeitshilfen zur Verfügung stellen. Kernpunkt ist, die Bürokratisierung in der Pflege und in der Vorbeugung und Prävention von Pflege deutlich zu reduzieren und zum Beispiel niedrigschwellige Nachbarschaftshilfen zu erstatten. Zentrales Ziel eines Musterpflegestrukturplans sollte die Gewährleistung einer weitgehenden Autonomie der alten Menschen am Lebensende sein.