Zukunft der Pflegeversicherung
Interview aus Rheinland-Pfalz
Josef Winkler, pflegepolitischer Sprecher der GRÜNE-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz, beantwortet unsere Fragen zur Zukunft der Pflegeversicherung.

TK: Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) wies zuletzt ein Finanzdefizit von 2,2 Milliarden Euro aus. Bundesgesundheitsminister Lauterbach kündigte bis Juli 2023 ein Reformgesetz an, dass die Finanzierung der SPV wieder stabilisieren soll. Um Beitragssatzsteigerungen käme man aber nicht umhin, warnte der Minister bereits. Wäre nicht die Erhöhung des Steuerzuschusses für die Pflegeversicherung als verlässliche Finanzierung sinnvoller, als die Lohnnebenkosten der Bürgerinnen und Bürger weiter in die Höhe zu treiben?
Josef Winkler: Natürlich sind Erhöhungen von Beiträgen nie eine angenehme Sache. Ich bitte aber zu bedenken: Die Lohnnebenkosten zu erhöhen wird überwiegend ebenfalls die Familien treffen, die auch von einer Erhöhung des Steuerzuschusses betroffen wären. Ich bitte auch zu beachten, dass sich die Bundesregierung ebenfalls Gedanken über Entlastungen gemacht hat. Und zwar wenn eine Person bereits pflegebedürftig ist.
Josef Winkler MdL
Menschen, die zu Hause gepflegt werden, haben bisher schon Anspruch auf Unterstützung. Der mögliche Betrag setzt sich zusammen aus dem einheitlichen Entlastungsbetrag sowie dem Pflegegeld, wenn die Pflege von Angehörigen geleistet wird, und den Pflegesachleistungen, wenn Pflegedienste diese Arbeit übernehmen.
So können Familien monatlich zwischen 125 Euro und 2.220 Euro Unterstützung erhalten. Der Entlastungsbetrag von bis zu 125 Euro muss vorgeleistet werden und wird dann rückerstattet. Dieses Geld kann verwendet werden zur Entlastung pflegender Angehöriger oder zur Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der pflegebedürftigen Personen in ihrem Alltag. Die Höhe von Pflegegeld und Pflegesachleistung ist abhängig vom zugeschriebenen Pflegegrad zwischen eins und fünf.
Auf Bundesebene hat man außerdem vor, die Kosten für die vollstationäre Pflege zukünftig zu minimieren, z. B. indem Ausbildungskosten für Pflegekräfte nicht mehr, wie bisher, teilweise von den Bewohnern einer Pflegeeinrichtung getragen werden müssen. Auch die Behandlung durch eine Ärztin oder einen Arzt in der vollstationären Pflege soll zukünftig die gesetzliche Krankenkasse finanzieren und die Wohngeldansprüche und Heizkostenzuschüsse sollen sich erhöhen. Mit dem Inkrafttreten der neuen Pflegereform sollen Bewohnerinnen und Bewohner einer vollstationären Einrichtung außerdem einen höheren Zuschuss erhalten.
TK: Ein Aspekt der Strukturreform im Sommer soll auch die Umsetzung der vom Bundesverfassungsgerichts verlangten Staffelung des Beitragssatzes nach Kinderzahl sein. Wie sehen Sie dieses Urteil? Man kann ja auch kinderlose Menschen nicht über Gebühr strapazieren?
Winkler: Es ist nicht die primäre Aufgabe von Politikerinnen und Politikern Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu bewerten, sondern vor allem sie umzusetzen.
Im Grunde wäre aber eine Pflegevollversicherung die gerechteste Lösung, weil die Lebenswirklichkeiten der Menschen so vielfältig sind, dass es schwierig ist diese vollständig im Recht nachzuvollziehen.
TK: Nach Angaben des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek) beträgt die finanzielle Belastung von Pflegebedürftigen in der stationären Pflege seit dem 1. Januar 2023 im Schnitt 2.499 Euro pro Monat. Hiervon beziffert sich der Investitionskostenanteil allein auf 457 Euro. Die TK fordert, dass die Bundesländer Heimbewohner nachhaltig entlasten sollten, indem sie die Investitionskosten der Heime übernehmen. Wie sehen Sie diese Position?
Winkler: Eine solche Änderung wäre mit sehr hohen Kosten für das Land verbunden. Und als Ergebnis hätte man dann nur wieder eine teilweise Entlastung der pflegebedürftigen Personen. Was es stattdessen braucht sind die notwendigen Schritte in Richtung Pflegevollversicherung. Mit dieser wäre eine nachhaltige Entlastung von Pflegebedürftigen und ihren Familien möglich.
TK: Landespflegekammerpräsident Dr. Markus Mai betonte jüngst, dass die "Ökonomisierung" in der Altenpflege "Gift" sei. Auch er forderte eine Anhebung der Steuermittel. Sind Ihrer Meinung nach "Share-Holder-Values" mit sozialer Verantwortung in Einklang zu bringen?
Winkler: Den Fokus auf ökonomische Prinzipien im Gesundheitssystem lehnen wir Grüne seit Jahren ab. Wir sind der Meinung, dass das im gesamten Gesundheitswesen eine Fehlentwicklung ist, der nun endlich Einhalt geboten werden muss. Und zwar überall im Bereich Gesundheit, nicht nur in der Pflege.
Eine Regierung hat dieser sozialen Verantwortung nachzukommen und zwar unabhängig von den "Share-Holder-Values". Die Bundesregierung plant das ja jetzt bereits mit ihrem groß angelegten Reformvorhaben.
TK: Bereits im Frühjahr will Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Digitalisierungsstrategie fürs Gesundheitswesen und die Pflege vorstellen. Die TK ist der Ansicht, dass die Pflege Teil der Digitalstrategie sein muss, um eine wesentliche Entlastung in diesem Bereich herzustellen, z.B. durch Heimplatzfindung per App. Wie sehen Sie das?
Winkler: Die Ausarbeitung von Apps zur Heimplatzfindung ist an sich schon einmal eine gute Idee. Die Digitalisierung des Gesundheitssystems ist insgesamt sowieso überfällig.
Denn die Pflege könnte von der Digitalisierung noch grundsätzlicher profitieren. Wenn es zum Beispiel um das Stellen von Diagnosen geht oder um einen verlässlichen Überblick bspw. über Wechselwirkungen bei Medikamenten. Aufgrund der häufig vorkommenden Multimorbidität bei pflegebedürftigen Personen wäre das besonders hilfreich.
TK: Die Kommunen sollen bei der Sicherstellung der Pflegestrukturplanung bei der Umsetzung eine Schlüsselrolle erhalten, so will das Land die Kommunen dabei unterstützen, einen landeseinheitlichen "Musterpflegestrukturplan" zu erstellen. Können Sie ausführen, was damit gemeint ist und welches Ziel hiermit verfolgt wird?
Winkler: Bisher hat Rheinland-Pfalz bereits 135 Pflegestützpunkte mit einer umfassenden Pflegeberatung z. B. durch Pflegemanager und Pflegemanagerinnen. Beratungs- und Koordinierungsstellen sollen nun aber noch stärker anhand der vorherrschenden Bevölkerungsstrukturen ausgerichtet werden.
Das Ziel ist die Daseinsvorsorge in der Pflege sicher zu stellen und die konkrete Umsetzung in den Kommunen durch festgelegte Strukturen weiter zu erleichtern.
Die festgelegten Strukturen sehen wie folgt aus: Die Kommunen erhalten, wie Sie ja bereits erwähnt haben, die Schlüsselrolle in der Umsetzung. Hier kann dann unmittelbar auf veränderte pflegerische Angebotsstrukturen reagiert werden. Hierfür erhalten die Kommunen dann auch mehr Kompetenzen. In kommunalen Pflegekonferenzen können sich Bürgerinnen und Bürger, Verbände und Pflegekassen beteiligen. Diese sollen verpflichtend und regelmäßig abgehalten werden.
Die Pflegeangebote sollen außerdem diverser werden, z. B. im Sinne von Pflegewohngemeinschaften, generationenübergreifender Wohnprojekte mit Pflegeleistungen im Bedarfsfall und Angebote speziell für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche zur Entlastung der Eltern. Außerdem soll durch diese Planung auch die Pflege zu Hause gefördert werden z.B. im Sinne fachpflegerischer Leistungen im eigenen Heim, komplementärer Angebote zum Aufrechterhalten des eigenen Haushalts und Förderung des Ehrenamts. Um Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu unterstützen können dann auch wieder die von Ihnen in Frage 5 angesprochenen Apps oder andere digitale Lösungen ins Spiel kommen.