Interview aus Hamburg
Zur Sache: Pflegefinanzierung neu gestalten
Mehr als 63.100 Menschen in Hamburg beziehen laut Statistischem Bundesamt Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Mit Blick auf die demografische Entwicklung wird die Zahl künftig noch weiter steigen. Darüber hinaus sorgen nicht nur verbesserte Pflegeleistungen, sondern auch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte dafür, dass die Ausgaben der gesetzlichen Pflegeversicherung kontinuierlich steigen.

Auch die Corona-Pandemie führt zu Mehrausgaben in der Pflegeversicherung, unter anderem in der stationären Pflege. Diese Sonderleistungen waren richtig und wichtig. Allerdings muss die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung perspektivisch neu gestaltet werden, damit die zu pflegenden Menschen die Mehrausgaben nicht alleine über steigende Beiträge oder Eigenanteile stemmen müssen.
Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, erläutert die aktuellen Entwicklungen und welche Vorschläge die TK hat, damit die Pflegeversicherung ihre Funktion auch nach der Krise weiter erfüllen kann.
TK: Frau Puttfarcken, erstmals in ihrer 25-jährigen Geschichte erhält die Pflegeversicherung einen Bundeszuschuss von 1,8 Milliarden Euro. Reicht dies aus?
Maren Puttfarcken: Der Zuschuss ist zum jetzigen Zeitpunkt richtig und notwendig. Nur so können die durch die Corona-Pandemie gestiegenen Kosten ausgeglichen werden. Damit die Pflegeversicherung künftig - auch mit Blick auf die grundsätzlichen Mehrbelastungen - ihre Aufgabe erfüllen kann, darf es bei einer einmaligen Finanzspritze aus dem Bundeshaushalt aber nicht bleiben.
Maren Puttfarcken
Um Pflegebedürftige zu entlasten, müssen die Eigenanteile stabilisiert und der Druck von den Beitragszahlern genommen werden.
TK: Welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren, die zu den Mehrbelastungen führen werden?
Puttfarcken: Bereits jetzt gibt es in Hamburg mehr als 63.100 Menschen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen - mit steigender Tendenz. Dadurch wird sich der Fachkräftemangel in der Pflege voraussichtlich noch verschärfen. Um dem entgegenzuwirken, müssen attraktivere Arbeitsbedingungen für professionelle Pflegekräfte geschaffen werden. Die Einführung des veränderten Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017 hat den Kreis derjenigen, die einen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherungen haben, zusätzlich erweitert. Das alles wird deutliche Mehrkosten verursachen, die sich mit der aktuellen Finanzierungsregelung nicht decken lassen. Bereits jetzt sind viele Pflegebedürftige und deren Familien mit finanziellen Eigenanteilen konfrontiert, die sie nur schwer stemmen können. In Hamburg beispielsweise beträgt die monatliche Eigenleistung, die von jedem Bewohner eines Pflegeheims selbst zu tragen ist, etwa 2.100 Euro pro Monat. Immer häufiger sind Pflegebedürftige deshalb auf Sozialhilfe angewiesen.
TK: Wie sollte eine Neuordnung der Pflegefinanzierung konkret aussehen?
Puttfarcken: Um Pflegebedürftige zu entlasten, müssen die Eigenanteile stabilisiert und der Druck von den Beitragszahlern genommen werden. Deshalb fordern wir, die Leistungsbeträge, die Pflegebedürftige je nach Pflegegrad erhalten, einmalig anzuheben und die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige künftig direkt aus dem Bundeshaushalt zu begleichen. Weiterhin müssten die Leistungen der gesetzlichen Pflegefinanzierung künftig jährlich angepasst und die Mehrausgaben durch einen dauerhaften Steuerzuschuss ausgeglichen werden. Zusätzlich würde ein Finanzausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung das Pflegerisiko gerechter verteilen. Würden zudem die Bundesländer gesetzlich dazu verpflichtet, die bei ihnen verorteten Investitionskosten auch tatsächlich zu tragen, könnten Pflegebedürftige und Sozialhilfeträger entlastet werden.