Noch werden soziale Unterschiede in der Betroffenheit von COVID-19-Infektionen in Deutschland erst zaghaft analysiert und thematisiert. Die jüngsten Analysen des Robert-Koch-Instituts aus dem März 2021 zeigen jedoch sehr deutlich, dass seit Beginn der zweiten COVID-19-Infektionswelle sowohl das Infektionsrisiko als auch das Risiko für schwere Krankheitsverläufe sowie die Sterblichkeit ungleich in der Gesellschaft verteilt sind. Noch in der ersten Welle im Frühjahr 2020 sind in sozioökonomisch besser gestellten Regionen Deutschlands mehr laborbestätigte Infektionen gemeldet worden als in sozioökonomisch benachteiligten Regionen. Das Virus gelangte zu Beginn der Pandemie vor allem durch Geschäfts- und Privatreisen besser gestellter Bevölkerungsgruppen nach Deutschland. Mit der Verbreitung in der gesamten Bevölkerung zeigte sich im Dezember 2020 und Januar 2021 dann ein ganz anderes Bild: Inzwischen lag die COVID-19-Sterblichkeit in sozial stark benachteiligten Regionen um rund 50 bis 70 Prozent höher als in Regionen mit geringer sozialer Benachteiligung. 

Natürlich hängen die nun nachgewiesenen Ungleichheiten im Pandemiegeschehen auch mit anderen, bereits länger bekannten gesundheitlichen Ungleichheiten in der Bevölkerung zusammen. Als Hauptrisikofaktoren für schwere COVID-19-Verläufe gelten neben höherem Alter insbesondere Vorerkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische Lungenerkrankungen, Diabetes mellitus sowie Rauchverhalten und Adipositas. Doch für alle genannten Risikofaktoren zeigen nationale wie internationale Studien der letzten Jahrzehnte, dass sie sozial und ökonomisch benachteiligte Gruppen häufiger und intensiver betreffen. 

Thomas Altgeld

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Diplom-Psychologe, Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V.

Bis dato wurden auf Bundeslandebene lediglich in Bremen vergleichende sozialepidemiologische Studien vorgenommen. Diese wiesen bereits im November 2020 ein ungleich verteiltes Infektionsgeschehen in den Bremer Stadtteilen nach. Insbesondere in benachteiligten Quartieren liegen die Fallzahlen deutlich über dem Bremischen Durchschnitt. Als mögliche Ursachen hierfür gelten soziale Faktoren wie beispielsweise beengter Wohnraum und prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregelungen erschweren. Sprachliche Barrieren und der Bildungsstand wiederum beeinflussen zusätzlich die individuellen Möglichkeiten, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und letztlich anzuwenden. Gleichzeitig sind fundierte Informationen zu den Corona-Maßnahmen bislang für Menschen in benachteiligten Lebenslagen oft nur schwer zugänglich.

Noch Ende 2020 hat der Bremer Senat kurzfristig auf die Berichtslagen mit der Förderung stadtteilbezogener, präventiver Unterstützungsangebote reagiert. Diese Angebote sind in zwei Projekte untergliedert, die eng vernetzt miteinander arbeiten. Dabei handelt es sich um ein Informations- und Qualifizierungsangebot für Akteurinnen und Akteure in betroffenen Stadtteilen (IQ-Covid) und um die Installation von Gesundheitsfachkräften in benachteiligten Quartieren. Gemeinsames Ziel der Projekte ist es, passgenaue und niedrigschwellige gesundheitsbezogene Informationen für Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen, die bisher nicht oder nur unzureichend erreicht wurden. Beide Projekte werden von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V. (LVG & AFS) koordiniert.

Seit dem 1. März 2021 haben mittlerweile elf Gesundheitsfachkräfte nach einer Einstiegsqualifizierung ihre Arbeit in vierzehn sozial benachteiligten Quartieren aufgenommen. Die Gesundheitsfachkräfte sind in Einrichtungen direkt in den Quartieren angesiedelt, wo sie eng mit den Akteurinnen und Akteuren und Schlüsselpersonen vor Ort zusammenarbeiten. Zu den Aufgaben der Gesundheitsfachkräfte gehört es, Bewohnerinnen und Bewohner für die Gefahren durch das Corona-Virus zu sensibilisieren, über die aktuell geltenden Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen sowie über die Impfstrategie zu informieren - und das auch in unterschiedlichen Sprachen. Als Informationskanäle dienen unter anderem schriftliche Materialien wie Poster und Postkarten, (digitale) Informationsveranstaltungen und Soziale Medien wie YouTube und WhatsApp. Auch wenn der Fokus der Arbeit zunächst auf der Corona-Pandemie liegt, sollen mit den Gesundheitsfachkräften auch langfristig nachhaltige Strukturen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz in Bremer Quartieren aufgebaut und etabliert werden.

Mit dem Ziel, Sprachbarrieren bei der Vermittlung von Informationen zur Corona-Pandemie abzubauen, produzieren Studierende der Jacobs University in Kooperation mit der LVG & AFS im Rahmen eines "Community Impact Projects" seit Ende Februar darüber hinaus einen wöchentlichen Corona-Report in sechs verschiedenen Sprachen. Die fünf- bis zehnminütigen Videos erklären das aktuelle Infektionsgeschehen und liefern Informationen zu wöchentlich wechselnden Themenbereichen, zum Beispiel zur Schutzimpfung und dem Tragen von Masken, sowie praktische Gesundheitstipps. Die Videos stehen in sechs Sprachen zur Verfügung: Arabisch, Englisch, Französisch, Rumänisch, Russisch und Türkisch.

In der Pandemie haben sich nicht nur die unmittelbaren Gesundheitsrisiken für einige Bevölkerungsgruppen verschärft, sondern auch vorhandene Armutslagen, weil beispielsweise ALG-II-Regelsätze trotz erwiesener Mehrbedarfe nicht erhöht wurden. Auch die Bildungschancen von Kindern aus benachteiligten Familien haben sich verschlechtert, unter anderem aufgrund fehlender digitaler Endgeräte im Dauer-Home-Schooling und kaum Fördermöglichkeiten außerhalb des Elternhauses. All dies kann sich auch mittel- und langfristig auf die sozialen und gesundheitlichen (Teilhabe-)Chancen von Menschen in schwierigen Lebenslagen auswirken. Diese Befunde sollen auf der diesjährigen Jahrestagung der LVG & AFS ins Blickfeld gerückt und die Frage diskutiert werden, wie Chancenungleichheiten verringert werden können, insbesondere im Hinblick auf soziale Teilhabe und Gesundheit. 

Klar ist, dass es integrierter Strategien der Gesundheitsförderung und Prävention bedarf. Punktuelle Einzelmaßnahmen werden kaum dazu beitragen, die Gesundheitschancen von benachteiligten Gruppen wesentlich zu erhöhen. Vielmehr müssen die Zusammenarbeit unterschiedlichster Akteurinnen und Akteure sowie gemeinsame, abgestimmte Konzepte gestärkt werden, die verschiedene Faktoren adressieren, die Gesundheit beeinflussen, und die entsprechende Angebote, Strukturen und Maßnahmen verzahnen und (weiter-)entwickeln. Ziel muss es sein, auch jenseits des Infektionsschutzes allen Menschen unabhängig von ihrer sozialen oder ökonomischen Lage ein Leben in Gesundheit zu ermöglichen.