TK: Unter welchen Voraussetzungen kann Prävention nachhaltig wirken?

Prof. Dr. Robert Nuscheler: Zunächst einmal muss Gesundheitsprävention geeignet sein, die Gesundheitschancen tatsächlich zu verbessern. Dies gilt es durch klinische Studien nachzuweisen. Natürlich müssen solche Präventionsangebote dann auch für die Versicherten attraktiv sein; andernfalls können sie auf Ebene der Gesamtpopulation kaum nachhaltig wirken. Die Herausforderung ist hierbei die Erreichbarkeit von Risikogruppen. Niederschwellige Präventionsangebote sind dabei gerade für die Vulnerabelsten von zentraler Bedeutung.

Prof. Dr. Robert Nuscheler

Prof. Dr. Robert Nuscheler, Lehrstuhlinhaber Finanzwissenschaft, insbesondere Gesundheitsökonomik, Universität Augsburg Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Lehrstuhlinhaber Finanzwissenschaft, insbesondere Gesundheitsökonomik, Universität Augsburg

TK: Prävention findet längst auch in digitalen Räumen statt. Inwiefern werden sich Präventionsangebote in Zukunft durch die Digitalisierung verändern?

Nuscheler: Ich gehe davon aus, dass Versicherte zukünftig systematisch an sinnvolle Präventionsmaßnahmen erinnert werden. Hier wären die Früherkennungsuntersuchungen zu nennen (z. B. Brustkrebs und Prostatakrebs), aber auch Impftermine - sei es bei Erst- oder bei Auffrischungsimpfungen.

Die elektronische Patientenakte zusammen mit Informationen aus Wearables bietet einen Datenschatz, der grundsätzlich zur Identifikation personalisierter Präventionsangebote genutzt werden könnte. In Verbindung mit digitalen Gesundheitsanwendungen sehe ich hier beträchtliche Chancen für das Patientenwohl.

Grenzen werden durch den Datenschutz gesetzt, der, dem letzten Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) folgend, im Sinne des Patientenwohls interpretiert werden sollte. Natürlich gilt auch für digitale Anwendungen das Wirtschaftlichkeitsgebot.

TK: Die oben genannten Angebote kann die TK ihren Versicherten bereits machen. Diese Chancen der Digitalisierung sind uns sehr wichtig, genauso wie die Prävention in der Pflege. Konkrete Maßnahmen werden sowohl von den Pflegebedürftigen als auch Pflegenden gerne in Anspruch genommen. Wie kann es aus Ihrer Sicht gelingen, dass präventive Maßnahmen einen langfristigen Erfolg in diesem Bereich erzielen und Pflegende beispielsweise ihren Beruf länger ausüben können?

Nuscheler: Prävention in der Pflege hat sicher seinen Platz, nur liegen die Probleme in der Pflege letztlich woanders: In der unzureichenden Versorgung der Pflegebedürftigen und, damit einhergehend, in der tendenziellen Überforderung der Pflegenden. Damit meine ich sowohl Pflegepersonal, das unter einer zu dünnen Personaldecke leidet, als auch pflegende Angehörige oder Freunde, die einer enormen psychischen, physischen und unter Umständen auch finanziellen Belastung ausgesetzt sind.

Die beste Prävention sind bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen für Pflegende. Es braucht somit dringend zusätzliches Pflegepersonal sowie kluge Strategien zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und informeller Pflege. 

TK: Corona hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen beschleunigt. Was muss passieren, damit die Vorteile digitaler Angebote wie Fernbehandlungen und Video-Sprechstunden langfristig bestehen bleiben?

Nuscheler: Diese Frage lässt sich nicht kurz beantworten, weshalb ich auf das Gutachten des SVR vom März dieses Jahres verweisen möchte. Auf knapp 400 Seiten setzt sich der Rat mit der "Digitalisierung für Gesundheit" auseinander.

Die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte des Gutachtens sind: Erstens, eine weniger strikte Auslegung des Datenschutzes im Sinne des Patientenwohls. Zweitens, sollte die elektronische Patientenakte der Standard sein. Derzeit müssen sich Versicherte aktiv dafür entscheiden. Das ist nicht zielführend.

Drittens, ein deutlich verbesserter Zugang zu Gesundheitsdaten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Nur so ist sichergestellt, dass aus der großen Menge an Daten effektiv gelernt und so die Gesundheitsversorgung verbessert werden kann. Viertens, bedarf es digitaler Gesundheitskompetenz , insbesondere auch bei den Patientinnen und Patienten. So können beispielsweise digitale Gesundheitsanwendungen oder auch Video-Sprechstunden nur eine Wirkung entfalten, wenn sie kompetent angewendet und deren Ergebnisse korrekt interpretiert werden.

Sind die vier Punkte erfüllt, kann Digitalisierung das Patientenwohl spürbar steigern, was sich positiv auf die Akzeptanz von Digitalisierung im Gesundheitswesen auswirken dürfte.

TK: Wie lässt sich aus Ihrer Sicht die Coronapandemie in den Griff bekommen? Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

Nuscheler: Seit dem Frühjahr 2020 sind Präventionsmaßnahmen zur Bewältigung bzw. zur Kontrolle der Pandemie allgegenwärtig. Ein gutes Jahr hat man dabei auf Dinge wie Kontaktbeschränkungen, Maske tragen oder auch auf Lockdowns, inklusive Schulschließungen, gesetzt. Man kann bezüglich dieser Maßnahmen eine gewisse Müdigkeit in der Gesellschaft nicht verleugnen und deshalb ist es ein Segen, dass nun hierzulande (und darüber hinaus) diverse Impfstoffe allen Impfwilligen zur Verfügung stehen.

Aus meiner Sicht stellt die Impfung die sinnvollste Möglichkeit dar, die Pandemie zu überwinden. Je höher die Impfquote, umso mehr Normalität ist möglich und umso weniger stark ist das Gesundheitssystem belastet. Ein Blick beispielsweise nach Italien oder Dänemark zeigt dies.

In Deutschland sind die Impfquoten noch immer deutlich zu niedrig. Ursache ist die nachlassende Impfbereitschaft seit dem Sommer - ein Umstand, vor dem ich bereits im Mai gewarnt habe. Ich habe seinerzeit vorgeschlagen, den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen. Insbesondere habe ich mich dafür ausgesprochen, die Kosten der Coronatests nicht mehr zu übernehmen, wenn alle, die sich impfen lassen können, die Möglichkeit dazu hatten. Tatsächlich wurde dies Mitte Oktober umgesetzt, ist inzwischen aber wieder hinfällig. Ich halte das für einen Fehler, da die faktische Subventionierung unsolidarischen Verhaltens das falsche Signal aussendet.

Weiterhin sollte bei zu hoher Auslastung von Intensivstationen in der betreffenden Region die 2G-Regel flächendeckend greifen, dass man also die soziale Teilhabe derer einschränkt, die sich freiwillig nicht immunisieren lassen. Eventuell könnte ein Lockdown für Ungeimpfte wie in Österreich notwendig sein. Sind trotz aller Anstrengungen die Kapazitäten der Krankenhäuser ausgeschöpft, sollte der Impfstatus im Rahmen der Triage berücksichtigt werden.