Nanotechnologie: Titandioxid gefährlicher als gedacht
Europäische Prüfstellen bewerten jetzt die Verwendung von Titandioxid als "gefährlich" und haben es beim Einatmen als ein Kanzerogen der Kategorie 2 eingestuft. Menschen mit COPD sollten Haushaltsprodukte und Lebensmittel mit diesen Nanopartikeln möglichst meiden.
In zahlreichen Bereichen des alltäglichen Lebens und in der Medizin gehören Nanotechnologien zu den neuesten, durchaus positiven Errungenschaften. Mit Silber beschichtete Wundverbände, mRNA-Impfungen oder zielgerichtet wirksame Medikamente (drug targeting) sind Beispiele dafür. Dennoch wird über teilweise schwere Risiken von Nanopartikeln berichtet, besonders von Titandioxid. Offenbar hat man die Nachteile dieses winzig kleinen Stoffes lange Zeit deutlich unterschätzt. Tierversuche haben aber schon längst belegt, dass eingeatmete Nanopartikel in der Lunge zu Narbenbildung und Tumoren führen können. Ein Grund mehr, die jetzt ausgesprochene Warnung ernst zu nehmen.
Titandioxid in Haushaltsprodukten
Allein in Europa werden jedes Jahr mehr als 1 Million Tonnen Titandioxid produziert. Der größte Teil mit knapp 90 Prozent geht als Weißpigment in Lacke, Farben und Kunststoffe. Immerhin 10 Prozent gehen in die mit Titandioxid leichtere Herstellung von Kosmetika, Lebens- und Arzneimitteln. Titandioxid kommt deshalb heute in zahlreichen Alltagsprodukten vor, zum Beispiel:
- als Weißpigment PW6 (z.B. in Ölfarben, Wandfarben und Lacken, aber auch in Kunststoffen und Textilien)
- in Form von CI 77891 in Kosmetikprodukten (z.B. als mineralischer Lichtschutzfilter in Sonnencreme, in Zahncremes und vielen Kosmetika, in Tätowierfarben, etc.)
- als Farbpigment E 171 in Lebensmitteln (z. B. in Kaugummis, Dragees und Bonbons mit hellglänzenden oder glatten Überzügen, in Schokolade, Keksen, Käse, hellen Saucen und Nahrungsergänzungsmitteln, wie Magnesium- oder Calciumtabletten)
Nachweislich gelangt es je nach Produkt über die Lunge oder den Verdauungstrakt in den Körper, vermutlich aber nicht über die Haut. Schweizer Forschende konnten zeigen, dass die oral aufgenommenen Nanopartikel von Titandioxid eine chronische Entzündung im Darm fördern, genauso wie eingeatmete Bestandteile, beispielsweise als Abrieb von Lacken, entzündlich auf das Lungengewebe wirken.
Wichtig zu wissen: Steckt in flüssigen Mischungen ein Prozent Titandioxid (Durchmesser von zehn Mikrometer), muss auf dem Produkt folgender Hinweis stehen: ʺAchtung! Beim Sprühen können gefährliche lungengängige Tröpfchen entstehen. Aerosol oder Nebel nicht einatmen."
Nicht sichtbar und trotzdem gefährlich
Nanopartikel oder -staub können vor allem über die Atmung in die Lunge gelangen. Dort reichern sie sich im Gewebe und in den Zellen an. Enthalten sie zusätzlich aktive Substanzen, wie Metalle oder Metalloxide wie Silber, Zink und Kupfer, können diese über spezielle Transportsysteme freigesetzt werden und ebenfalls der Lunge schaden. Je kleiner die Partikel sind, desto heftiger reagieren sie und treten aus der Lunge in andere Organe über.
Aktuelle Bewertung: Der Einsatz von Nanotechnologien kann in der Medizin erwünschte, aber auch schädliche Wirkungen haben. Noch ist laut Bundesamt für Risikobewertung (BfR) die allgemeine Datenlage unsicher, aber nicht für Titandioxid. Ab dem 9. September 2021 wurde Titandioxid offiziell als "Kanzerogen der Kategorie 2 zum Einatmen" eingestuft.
Das bedeutet für Sie: Über die Raumluft, aber besonders in Sprayform gelangen Nanostoffe direkt in die Atemwege. Lungenkranke sollten deshalb bewusst milde Haushaltsreiniger oder nanopartikelfreie, geprüfte Produkte wählen.
Zu den kritischen, nanopartikelbelasteten Produkten gehören zahlreiche Reinigungsmittel, Lacke, Wandfarben, Imprägniersprays, beschichtete Textilien (z.B. manche Sport- oder Diabetessocken), Matratzen bzw. Bettdecken mit Nanobeschichtung, etc.
Basics: Nano-Technologie
Nano ist eine Maßeinheit und bedeutet übersetzt "Zwerg". Ein Nanometer ist der milliardste Teil eines Meters, also ultraklein und weit davon entfernt, sichtbar zu sein. Stoffe in Nanogröße reagieren physikalisch und chemisch anders, was für die Anwendung große Vorteile bietet. Gesundheitlich und für die Umwelt stellt genau das aber ein Problem dar. Denn durch die geringe Größe gelangen Nanopartikel schneller in den Körper und durchbrechen wichtige Schutzbarrieren des Gewebes.
Titandioxid im Essen neu bewertet
Titandioxid ist ein gängiges Mittel zum Bleichen und Aufhellen von Süßwaren, Backwaren oder Soßen und wird häufig in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt. Vitamine, Omega-3-Fettsäuren, Phytosterole und Aromen sind dabei in Nanokapseln aus organischen Materialien eingeschlossen und geben sie nach dem Herunterschlucken im Körper gezielt frei.
Aktuelle Bewertung: Europäische Prüfstellen bewerteten jetzt aufgrund "zahlreicher wissenschaftlicher Unsicherheiten" die Verwendung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff als gefährlich. Frankreich ist schon einen Schritt weiter, hier darf Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff E171 schon seit 2020 nicht mehr in Lebensmitteln verwendet werden. Grundlage dafür ist eine Stellungnahme der französischen Agentur für Lebensmittelsicherheit ANSES. Die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA warnt vor einer Aufnahme, aber ab welcher Menge Titandioxid in Lebensmittel als schädlich gilt, bleibt noch offen.
Das bedeutet für Sie: Der Verbraucherschutz mahnt zu Recht, dass die Verwendung von Titandioxid in Lebensmitteln noch klarer gekennzeichnet, erforscht und geregelt werden sollte. Seit 2014 besteht zwar eine Kennzeichnungspflicht für E171, allerdings ist nicht klar geregelt, ab wann es sich um kennzeichnungspflichtige "technisch hergestellte Nanomaterialien" handelt. Gleiches gilt auch für Nanopartikel, die bei der Weiterverarbeitung oder Im Endprodukt zu größeren Partikeln verklumpen. Auch sie müssen nicht mit dem Zusatz "Nano" gekennzeichnet werden.