Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft eine erfüllende, respektvoll gelebte Sexualität als wichtigen Faktor für eine gute Lebensqualität ein. Aber für Menschen mit Typ-1-Diabetes stellt Sexualität häufig ein echtes Problem dar. Schätzungsweise 10 Prozent der jungen Diabetiker zwischen 20 und 29 Jahren haben bereits Probleme, dass der Penis ausreichend steif wird und bleibt (Erektionsstörung). Mit zunehmendem Alter sind immer mehr Männer davon betroffen. Daten über sexuelle Probleme von jungen Frauen mit Diabetes fehlen.

Wenn die Lust zum Frust wird 

Die Gründe sind vielfältig und reichen von körperlichen Ursachen wie einer handfesten Unterzuckerung durch die "Anstrengung" beim Sex bis zu psychischen Belastungen, beispielsweise wenn Mann oder Frau den eigenen Körper nicht akzeptieren oder sich für sichtbare "Diabetes-Spuren" zum Beispiel an Einstichstellen schämen.

Folgende Faktoren spielen dabei eine Rolle:

  • Hohe Blutzuckerwerte begünstigen Pilzinfektionen im Intimbereich
  • Nervenschäden vermindern die Empfindung und bremsen so die Erregung
  • Durchblutungsstörungen verhindern beim Mann die Erektion und führen bei Frauen schnell zu einer überempfindlichen, trockenen Haut der Scheide
  • Psychische Belastungen oder Beziehungsstörungen erschweren die Lust (Libido)

Wichtig zu wissen: Je nach Studie geben bis zu 70 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer mit Diabetes an, unter sexuellen Problemen zu leiden. Die meisten Betroffenen möchten in der Arztpraxis darüber sprechen, aber offenbar haben nur wenige den Mut dazu. Die Situation kann sich aber so nicht lösen, denn laut Forschung sprechen auch Ärzte und Ärztinnen das Thema "sexuelle Gesundheit bei Diabetes" in der Regel nicht aktiv an. Dieses Tabu sollten Sie nicht akzeptieren und selbst den ersten Schritt tun.

Geschlechterunterschiede zum Thema machen 

Was die Sexualität mit Diabetes zum Problem macht, ist meist komplex und individuell verschieden. Sexuelle Probleme entwickeln sich laut Forschung häufiger, wenn der HbA1c-Wert für die Langzeitmessung über 6,5 Prozent liegt und sich Folgeerkrankungen entwickelt haben.

Wenn Männer mit Diabetes nicht können: 

  • Erektionsstörungen (treten mit Diabetes durchschnittlich 10-15 Jahre früher und stärker auf als bei Gleichaltrigen)
  • Ejakulationsstörungen (zu früher oder kein Samenerguss)
  • Orgasmus-Probleme (fehlende Kontrolle oder kein Höhepunkt)
  • Stress und Ängste (in Bezug auf Sexualität mit Diabetes und/oder Herzerkrankungen, Angst zu versagen oder die Partnerin zu enttäuschen)

…und Frauen mit Diabetes keine Lust mehr haben:

  • Scheidentrockenheit
  • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (mit und ohne organische Ursache)
  • Orgasmus-Probleme (kein Höhepunkt)
  • Stress und Ängste (in Bezug auf Sexualität mit Diabetes, Angst den Partner zu enttäuschen)

Die konkreten Auswirkungen sind je nach Geschlecht anders, bei Männern meist sichtbar und bei Frauen oft nicht. Auch deshalb stellt das offene Gespräch mit dem Partner oder der Partnerin ohne Diabetes die wichtigste Voraussetzung dar, etwas zum Positiven zu ändern.

Sexualität genießen trotz Typ-1-Diabetes

Lust und Lebenslust gehören laut Sexualmedizin zusammen und Lebenslust können Sie brauchen, um Ihre Krankheit besser zu bewältigen. Mit Diabetes haben Sie also allen Grund, sich beraten zu lassen, wenn Sie Ihre Sexualität nicht mehr genießen können. Wer das Gespräch darüber als unerträglich oder peinlich empfindet, kann die Beschwerden einfach aufschreiben und den Zettel beim nächsten Kontrolltermin mitbringen.

Im ersten Schritt müssen andere Ursachen ausgeschlossen werden, insbesondere die Nebenwirkungen von Medikamenten wie zum Beispiel Antidepressiva. Sobald die Diagnose feststeht, gibt es heute zahlreiche Möglichkeiten zu helfen, die sich nicht von Stoffwechselgesunden unterscheiden. Wobei ein gut eingestellter Blutzucker die wichtigste Maßnahme darstellt.

Unterzuckerung vermeiden - So wie beim Sport sollten Sie den Blutzucker vor und nach dem Sex messen, um ein Gefühl für das Maß an Schwankungen zu bekommen und richtig gegenzusteuern. Legen Sie sich einen Snack auf den Nachtisch bereit.

Erste Hilfe für Männer - Je nach Befund der Nerven oder Durchblutung stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung, mit denen der Penis bei Bedarf steif wird (u.a. SKAT-Injektionen, Vakuumpumpe). Fragen Sie nach und lassen Sie sich urologisch beraten.

Erste Hilfe für Frauen - Verwenden Sie beim Sex Gleitgel und pflegen Sie die Haut im Intimbereich am besten täglich mit einer geeigneten Creme. Fragen Sie nach und lassen Sie sich gynäkologisch beraten.

Tipps für Paare - Grundsätzlich gilt: Eine funktionierende Beziehung, die eigene innere Stabilität, sich selbst zu mögen und den eigenen Körper anzunehmen sind entscheidende Faktoren für eine lustvolle Sexualität. Medizinisches Diabetes-Equipment kann auf den ersten Blick und zu Beginn einer Beziehung hemmen. Ein ehrliches Gespräch darüber und konkrete Informationen über Diabetes fördern das gegenseitige Verständnis und erleichtern eine für beide Seiten zufriedenstellende Sexualität. Im Zweifel kann eine sexualtherapeutische Kurzzeittherapie hilfreich sein.

Neue Studien zu Antidepressiva und sexuellen Störungen

Bestimmte Medikamente gegen Depressionen (Serotonin- und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) können zu anhaltenden sexuellen Problemen führen, auch nach dem Absetzen. Laut Europäischer Arzneimittelkommission (EMA) müssen die Beipackzettel seit 2020 einen entsprechenden Warnhinweis enthalten. Zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen eignen sich alternativ Johanniskraut-Extrakte. Sie verursachen diese Nebenwirkung nicht und sind bei Diabetes einen Versuch wert. Laut Bundesapothekerkammer sind viele frei verkäufliche Präparate unterdosiert. Fragen Sie deshalb beim Arzt nach. Bei einer mittelschweren Depression kann Johanniskraut in höherer Dosierung verordnet werden.