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Dr. Ina Schmidt ist promovierte Philosophin und Mitglied der Internationalen Gesellschaft für philosophische Praxis. In ihren Büchern beschäftigt sie sich mit großen Themen: Verantwortung, Freundschaft, Vergänglichkeit und Glück - und zeigt, was Philosophie im praktischen Leben bedeuten kann. 

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Dr. Ina Schmidt. Foto: Anne Ziegler

Frau Dr. Schmidt, Solidarität ist ein großes Wort. Was bedeutet es eigentlich, solidarisch zu sein?

Solidarität ist eine Art verbindender Geist, mit dem sich ein soziales Miteinander überhaupt erst entwickeln kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob man die Menschen persönlich kennt, mit denen man sich solidarisiert. Vielmehr geht es darum, dass man sich zu einer bestimmten Wertegemeinschaft zugehörig fühlt, sich dazu bekennt und aus Überzeugung füreinander eintritt. Solidarität zeigt sich also oft dann, wenn diese Werte mit Füßen getreten werden oder anderen Leid, Ungerechtigkeit und Gewalt widerfährt. 

Warum ist es so wichtig, füreinander einzustehen? 

Ohne Solidarität ist schlichtweg keine Gemeinschaft möglich! Sie ist notwendig, damit wir uns nicht als ein loses Nebeneinander von Menschen wahrnehmen, sondern als Einheit, die trotzdem Unterschiede zulässt. Ohne sie wären wir eine völlig individualisierte, egoistische Gesellschaft ohne Vertrauen. Und das wäre fatal. Gerade in Zeiten der Pandemie erleben wir Herausforderungen, die wir so nicht gewohnt sind und die wir nur meistern können, wenn wir füreinander einstehen und Solidarität zeigen. 

Wie kommt das, was ich für gut und richtig halte, in meinem Handeln zum Ausdruck? Dr. Ina Schmidt

Wie können wir uns denn im Alltag solidarisch verhalten?

Ich glaube, das fängt im ganz Kleinen an und braucht auch keine große Kundgebung. Wie verhalte ich mich in einer Schlange beim Bäcker, wenn Kinder nicht bedient werden? Oder wenn alte Leute zur Seite gedrängt werden? Sage ich dann etwas oder nicht? Im Prinzip sollte man sich stets hinterfragen: Wie kommt das, was ich für gut und richtig halte, auch in meinem Handeln zum Ausdruck? Es geht immer darum, den eigenen Beitrag zu einem System aufs Neue mitzudenken. So kann sich jeder im Alltag für seine Grundhaltung oder Überzeugung einsetzen.

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Wo stößt Solidarität an ihre Grenzen?

Es zeigen sich natürlich nicht alle Menschen mit allen gleichermaßen solidarisch. Und das ist auch wichtig: Denn Solidarität ist keine moralische Verpflichtung, sondern eine freiwillige Entscheidung, sich zu etwas zu bekennen. Sobald man also an die Grenzen des eigenen Werteverständnis kommt, stößt man auch an die Grenzen dessen, womit ich mich solidarisch zeigen kann. Denn Solidarität kann uns auch eine "Entweder-Oder-Entscheidung" abverlangen. Zum Beispiel: Wer sich für den Bau neuer Kohlekraftwerke einsetzt, kann sich nicht gleichzeitig mit den Demonstranten im Hambacher Forst solidarisieren. Es geht nur das eine oder das andere. Ich muss mich entscheiden, wofür ich stehen will und dann stößt Solidarität eben automatisch an ihre Grenzen.

Ich muss mich entscheiden, wofür ich stehen will. Dr. Ina Schmidt

Hat Solidarität durch die Pandemie einen neuen Stellenwert bekommen? 

Ja, ich glaube, dass wir uns klarer darüber geworden sind, was es heißt, solidarisch zu sein. Die Pandemie zwingt uns, die für die Gemeinschaft besten Entscheidungen zu treffen, die man vielleicht für sich selbst anders getroffen hätte. Aber bei Solidarität kommt eben nicht das eigene Wohlbefinden an erster Stelle. Denken wir an den berühmten kategorischen Imperativ von Kant: Lebe so, dass das, was du tust, auf einer allgemeinen Grundlage zur Regel werden kann. Das ist zwar nicht immer mit persönlichen Wünschen vereinbar, aber zwingend notwendig, um eine Solidargemeinschaft möglich zu machen. 

Bei Solidarität kommt eben nicht das eigene Wohlbefinden an erster Stelle. Dr. Ina Schmidt

Ist diese Krise also auch eine Chance?

Ich bin mir sicher, dass die Pandemie uns verändern wird. Diese Erfahrung ist so elementar, dass es eigentlich nicht möglich ist, in eine Zeit vor Corona zurückzukehren. . Schließlich hat uns die Krise gezeigt, dass wir uns nicht immer auf Fakten, Prognosen oder Erfahrungswerte verlassen können.Es ist also wichtig, sich zu fragen, was uns auch in Zukunft ein bisschen bescheidener, demütiger und dem Nächsten zugewandt bleiben lässt Stattdessen müssen wir uns als Gemeinschaft verstehen und zusammen herausfinden, was der nächste gute Schritt sein könnte. 

Wir denken zwar derzeit viel über Zusammenhalt nach, aber müssen auf körperliche Nähe verzichten. Was macht das mit uns Menschen?

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir wissen aus der Medizin und aus den Neurowissenschaften, dass wir ohne ein soziales Umfeld, zu bestimmten Entwicklungen gar nicht fähig wären. Wir brauchen ein menschliches Gegenüber. Der Kontakt zueinander ist also eigentlich etwas Selbstverständliches, auf das wir jetzt gerade verzichten müssen. Und dadurch entsteht natürlich eine große Lücke und eine schmerzhafte Sehnsucht. 

Immerhin machen die digitalen Medien möglich, dass man sich überhaupt noch sehen kann…

Ja, ich bin beeindruckt, wie kreativ und gestalterisch die Menschen geworden sind, wenn es darum geht, in den Austausch zu gehen. Trotzdem ersetzen die digitalen Medien keine menschlichen Beziehungen. Wir wünschen uns statt Videotelefonie normale Familienbesuche, Liebesbeziehungen oder Treffen mit Freunden. 

Es ist wichtig, sich zu fragen, was uns auch in Zukunft ein bisschen bescheidener, demütiger und dem Nächsten zugewandt bleiben lässt. Dr. Ina Schmidt

Freundschaft ist eine ganz besondere Form der Beziehung. Was macht einen Menschen zum Freund?

Schon die alten Griechen haben Freundschaften als eine ganz besondere Form der Liebe beschrieben. Das was wir als wahre Freunde bezeichnen, nannte Aristoteles damals die Freundschaft der Trefflichen. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass man ein gemeinsames ethisches Verständnis hat. Das muss natürlich erst wachsen, aber trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es auch so etwas wie Freundschaft auf den ersten Blick gibt. Und aus so einer besonderen Begegnung entstehen dann gemeinsamer Erfahrungen und Erinnerungen, die uns tragen. Freundschaft ist also ein kostbares Geschenk, aber gleichzeitig auch ein gutes Stück Arbeit, die sich aber lohnt. 

Kann und sollte man sich auch selbst ein Freund sein?

Sind Sie sich selbst ein guter Freund? Das ist eine meiner Lieblingsfragen von Max Frisch und eine, die sich jeder von uns stellen sollte. Denn wie kann ich ein guter Freund oder eine gute Freundin sein, wenn ich mir selbst keiner bin? Was macht einen guten Freund, eine gute Freundin aus? Und wie kann ich freundschaftliche Verhältnisse aufbauen und pflegen, wenn ich mich selbst nicht kenne? Mit diesen Fragen wird Selbstfreundschaft zu einer Art innerem Gespräch mit der eigenen Seele. Es geht darum, sich selbst ein Wohlwollen entgegenzubringen und so zu einer Selbstkenntnis zu gelangen, mit der man ein wirkliches Verständnis von Freundschaft entwickeln kann. Und solch einen Geist braucht es eben auch, wenn wir uns gemeinsam freundschaftlicher, oder eben auch solidarisch begegnen wollen.
 

Das Interview führte Jana Heinrichsmeier im Frühjahr 2021.