Digitale Zivilcourage klappt am besten gemeinsam
Ein respektvolles Miteinander ist auch im Internet wichtig. Die Initiative #ichbinhier setzt sich deswegen gegen Hasskommentare, Hetze und Diskriminierung in sozialen Netzwerken ein. Juliane Chakrabarti ist schon lange dabei. Sie ist Vorstandsmitglied im gleichnamigen Verein "Ich bin hier e.V." und verrät, was es mit digitaler Zivilcourage genau auf sich hat.
Seit 2016 engagiert sich die Facebook-Gruppe #ichbinhier für eine bessere Diskussionskultur im Netz. Vielfach ausgezeichnet, sorgen ihre Mitglieder dafür, dass Hasskommentare im Netz nicht unwidersprochen bleiben. Ihr Ziel: Im Vordergrund sollen sachliche Stimmen stehen - und nicht Beleidigungen.
Juliane Chakrabarti von #ichbinhier erzählt, wie die Gruppe arbeitet und was sie motiviert.

Frau Chakrabarti, was genau macht #ichbinhier eigentlich?
Mit unserer Facebook-Aktionsgruppe #ichbinhier engagieren wir uns im Bereich digitale Zivilcourage. Dafür scannt unsere Community systematisch die Beiträge der reichweitenstärksten Nachrichtenseiten. Wenn wir dabei feststellen, dass unter einem Beitrag viele Hasskommentare und Beleidigungen gepostet werden, fühlen wir uns dazu aufgerufen, zu reagieren. Dabei ist uns wichtig, dass unsere Gegenkommentare stets respektvoll, faktenbasiert und konstruktiv sind. Denn nur mit Wertschätzung und Sachlichkeit können wir die Diskussionskultur im Netz nachhaltig verändern.
Wie viele Mitglieder hat die Gruppe und in wie vielen Ländern ist sie aktiv?
Wir haben in Deutschland rund 44.000 Gruppenmitglieder, die sich tagtäglich gegen Hatespeech einsetzen. #ichbinhier gibt es mittlerweile in vielen Ländern. Die Idee kommt ursprünglich aus Schweden, und dort hat die entsprechende Facebook-Gruppe mit 80.000 Usern auch die größte Mitgliederzahl.
Wann haben Sie angefangen, sich mit dem Thema Hatespeech zu beschäftigen, und was treibt Sie bis heute dazu an, sich dagegen stark zu machen?
Ich bin durch Zufall auf die Gruppe aufmerksam geworden und ihr Anfang 2017 beigetreten. Der wichtigste Beweggrund ist für mich, dass ich das Internet nicht denjenigen überlassen möchte, die Hass und Hetze als normal empfinden. Es kann nicht sein, dass diese Art des miteinander Sprechens im gesellschaftlichen Mainstream angekommen ist. Meinungsfreiheit bedeutet eben nicht, alles einfach sagen und posten zu dürfen.
Ich möchte das Internet nicht denen überlassen, die Hass und Hetze als normal empfinden.
Wo zieht #ichbinhier die Grenze der Meinungsfreiheit?
Es ist gut und wichtig, verschiedene Meinungen zu haben und diese auch äußern zu können. Trotzdem dürfen soziale Netzwerke keine rechtsfreien Räume werden. Hass und Beleidigungen im Netz sind keine Meinungsfreiheit, sondern bedrohen diese vielmehr.
Gefühlt strotzt das Internet vor Hasskommentaren: Woher kommt dieser Hass und wo ist er besonders ausgeprägt?
Es ist ein ganz normales Phänomen, dass in der Anonymität die Hemmschwelle sinkt und es vielen leichter fällt, Grenzen zu überschreiten. Ich glaube auch, dass die meisten wissen, dass Hasskommentare keine angemessene Art und Weise sind, Kritik auszudrücken. Warum wir immer häufiger auf Hatespeech stoßen, liegt auch am Algorithmus der sozialen Netzwerke.
Denn polarisierende Beiträge bekommen häufig eine höhere Reichweite als sachliche Debatten. So entsteht schnell der Eindruck, dass das Internet voll Hasskommentare sei, aber in Wirklichkeit steht hinter diesen Beiträgen nur eine kleine, aber dafür sehr laute Minderheit.
Wie reagiert man Ihrer Meinung nach am besten auf Hass und Hetze, und welche Ansätze verfolgt #ichbinhier?
Es ist wichtig, respektvoll zu bleiben und sachliche Argumente zu liefern. Wir von #ichbinhier versuchen mit einem guten Beispiel voranzugehen, indem wir Counter Speech (auf Deutsch Gegenrede) einsetzen. Dabei geht es aber nicht nur darum, Falschaussagen zu entlarven und einen sachlichen Diskurs zu führen. Wir wollen auch Solidarität mit den Opfern von Hassattacken zeigen! Counter Speech richtet sich aber auch an die stillen Mitleser. Sie sind die schweigende Mehrheit auf Social Media und trauen sich mitunter aus Angst vor Hass nicht, an Diskussionen teilzunehmen. Wir wollen ihnen den Rücken stärken und sie motivieren, selbst aktiv zu werden.
In Wirklichkeit steht hinter den Hassbeiträgen nur eine kleine, aber dafür sehr laute Minderheit.
Niemand muss sich mit dem Hass alleingelassen fühlen, richtig?
Genau. #ichbinhier lebt vom Zusammenhalt in der Gruppe. Denn Gegenrede geht am besten gemeinsam. Dadurch, dass wir untereinander unsere Beiträge liken, erhöhen wir außerdem unsere Reichweite und Sichtbarkeit auf Social Media.
Wie kann jeder von uns etwas für die digitale Zivilcourage tun?
Ich verstehe, dass manche Hasskommentare sprachlos machen können. Trotzdem ist es wichtig, nicht zu verstummen und den Mut zu fassen, sich dagegen zu wehren. Hatespeech darf nicht das gesellschaftliche Klima vergiften. Wer mehr über Counter Speech lernen möchte, kann gerne eines unserer Bootcamps besuchen. Dort vermitteln wir unter anderem Medienkompetenz und Deeskalationsstrategien, damit mehr Menschen zu konstruktiven Gegenrednern werden können. Wenn aber im Internet eine Grenze ganz klar überschritten wird, kann ich nur raten, diese Beiträge zu melden und bei Bedrohungen sogar eine Strafanzeige zu stellen.
Kann man bei dem ganzen Hass noch an das Gute im Menschen glauben?
Es ist schon sehr erschreckend, was die Menschen im Netz so von sich geben. Aber ich kenne ja auch die Gegenbeispiele und weiß, dass die Hater in der Unterzahl sind. Umso bedeutender sind Gruppen wie #ichbinhier, die sich dagegen wehren und versuchen, mehr Verstand und Menschlichkeit in die Kommentarspalten zu bringen.
Das Interview führte Jana Heinrichsmeier im Frühjahr 2021.