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Herr Kelly, Sie sind ohne Geld und Verpflegung Hunderte Kilometer quer durch Deutschland gewandert. Wie kommt man auf so eine Idee?
Ich habe mich für den Deutschlandlauf vom Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg inspirieren lassen. Er ist vor knapp 40 Jahren von Hamburg bis an die österreichische Grenze nach Oberstdorf marschiert. Diese Strecke von knapp 1.000 Kilometern legte er ohne Geld oder Verpflegung zurück. Dieser "Survival-Aspekt" hat mich besonders gereizt und wurde zur Herausforderung, der ich mich selbst gern stellen wollte. 2010 lief ich dann von Wilhelmshaven bis zum höchsten Berg Deutschlands, der Zugspitze. Sieben Jahre später wiederholte ich diese Tour, aber startete diesmal in Rostock. Zehn ausgewählte Sportler haben mich damals auf dem Deutschlandlauf begleitet, von denen es am Ende drei mit ins Ziel geschafft haben.

Wie lange haben Sie für diesen Marsch gebraucht?
Bei meinem ersten Deutschlandlauf bin ich im Schnitt 50 Kilometer am Tag gewandert und habe für die Strecke insgesamt 17 Tage und 23 Stunden gebraucht. Beim zweiten Mal wollte ich mich unbedingt etwas steigern und bin am Tag im Durchschnitt 60 Kilometer marschiert. Besonders hart waren die letzten 48 Stunden, da sind wir fast durchgelaufen und haben eine Distanz von 190 Kilometern zurückgelegt. Bei diesem Tempo kommt man unweigerlich irgendwann an seine Grenzen, doch der Moment, wenn man endlich oben auf der Zugspitze ankommt, ist einfach phänomenal.

Wie haben Sie es geschafft auf dieser Extremwanderung ohne Proviant auszukommen? Was haben Sie gegessen?
Ich habe diese Wanderungen immer gegen Ende August oder im September gemacht. Aus gutem Grund, denn in diesen Monaten ist Erntezeit und man kann unterwegs Obst pflücken. Ich habe mich also hauptsächlich von Äpfeln, Pflaumen oder auch Maiskolben ernährt. Irgendwann ist der Hunger aber so quälend und extrem, dass ich sogar in Mülleimern nach Nahrung gesucht habe. Ich war so verzweifelt, dass ich fremde Pizzareste gegessen habe. 

Das klingt schrecklich…
Dieser Heißhunger dauert aber nicht die gesamte Reise an. Nach drei Tagen verschwindet er und der Körper greift auf eigene Fettdepots zurück. Ich habe deswegen vor der Tour auch die körperlichen Reserven aufgefüllt und ganz bewusst zugenommen. Trotzdem habe ich nach jedem Deutschlandlauf 15 Kilo weniger auf die Waage gebracht.

Welche Ausrüstung hatten Sie dabei?
Nicht viel. Ich hatte auf beiden Touren noch nicht mal ein Zelt dabei, sondern nur eine Plane, unter der ich geschlafen habe. Meistens habe ich mein Schlaflager im Wald aufgebaut, weil es dort nachts etwas wärmer ist als im Freien. Das ist am Anfang zwar etwas beängstigend, weil man andauernd irgendwo ein Rascheln oder Knacken hört, doch nach zwei bis drei Tagen gewöhnt man sich an diese Geräuschkulisse. Ansonsten beschränkte sich meine Ausrüstung im Wesentlichen auf Wechselklamotten, eine Regenjacke, eine Wasserflasche und natürlich gutes Schuhwerk. Mein Tipp hier: Nicht mit neuen Wanderschuhen starten, sondern die Schuhe mindestens eine Woche lang einlaufen. So kann man schlimmen Blasen oder Verletzungen an den Füßen vorbeugen.

Haben Sie noch weitere Tipps bezüglich des Proviants?
Wasser ist wichtig. Ich habe sogar immer zusätzlich eine Reserveflasche von anderthalb Litern dabei. Wer nicht so viel schleppen möchte, kann sich auch einen speziellen Wasserfilter kaufen, mit dem man Wasser aus dem nächsten Fluss oder Bach aufbereiten kann. Bei der Nahrung würde ich vor allem Kohlenhydratreiches empfehlen, denn der Körper braucht viel Kraft und Energie. Sinnvoll sind beispielsweise belegte Brötchen oder Power Bars. Es gibt aber auch spezielle Trekkingnahrung in Beuteln, die man einfach mit etwas Wasser aufgießt und die den Kalorienbedarf deckt.

Gab es auf dem Weg Momente, an denen Sie an beziehungsweise über Ihr eigenes Limit gegangen sind?
Sich ohne Nahrung auf so einer Distanz fortzubewegen - das war tatsächlich die größte Herausforderung für mich. Ich habe über diese Erfahrung auch ein Buch geschrieben und es "Die Hysterie des Körpers genannt". Denn genau so fühlt es sich an: Der Körper ist komplett hysterisch! Andauernd meldet sich eine Stimme im Kopf, die schreit, dass man doch endlich aufhören soll. Erst nach drei bis vier Tagen reguliert sich der Körper langsam und kapiert, dass es ab sofort kein leckeres Essen, Wärme oder ein Dach über dem Kopf gibt. 

Wie haben Sie sich trotzdem zum Weiterlaufen motiviert? Wie wichtig ist mentale Stärke bei solchen Touren?
Solche extremen Herausforderungen zu meistern ist zu 30 Prozent Kopfsache. Auch ich kenne Zweifel und den inneren Schweinehund, der fragt: "Wahnsinn, warum tust du dir das eigentlich an?" Wichtig ist dann, dass man das Ziel nicht aus den Augen verliert. Spätestens, wenn man das geschafft hat, was man sich vorgenommen hat, fällt alles von einem ab. Das ist so ein unglaublich erleichterndes und unvergleichbares Glücksgefühl.

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Das letzte Stück auf die Zugspitze muss besonders hart sein…
Ja, vor allem der Aufstieg durch das sogenannte Höllental, der sehr anspruchsvoll ist. Da habe ich dann auch einen Guide gebucht, der mich absichert. Denn diese Route ist aufgrund von Steinschlag oder Gletscherspalten nicht ganz ungefährlich. 

Wie kann man sich auf so eine Reise vorbereiten?
Ich glaube, das Wichtigste bei der Vorbereitung ist die Zielsetzung. Man muss sich "committen" und das Ziel visualisieren. Sprich: Wenn man sich eine Strecke vornimmt und sich darüber hinaus auch einen zeitlichen Rahmen setzt, beginnt man von ganz allein mit dem Training. Gerade die ersten zehn Wochen sind dabei entscheidend. Wer in dieser Zeit jeden zweiten Tag ungefähr eine bis zwei Stunden lang am Stück läuft, gewöhnt sich nach und nach an diese Belastung. Es ist sogar so, dass einem die Bewegung direkt fehlt, wenn man das Training ausfallen lässt.

Was war der schönste Augenblick auf der Reise?
Es gab viele Momente. Natürlich ist das Ankommen auf der Zugspitze unvergesslich, weil man es endlich geschafft hat und die Qual hinter sich lassen kann. Das ist so überwältigend, dass ich sogar eine Gänsehaut bekommen habe!

Sie haben Deutschland durchgequert. Wo hat es Ihnen am besten gefallen?
Am besten gefällt mir die Landschaft in Bayern, aber auch Thüringen oder die Ostsee sind ein Traum. Wer in Deutschland wandern gehen möchte, dem kann ich außerdem das "Grüne Band" empfehlen. Das ist ein Fernwanderweg entlang der innerdeutschen Grenze, den ich jetzt in Corona-Zeiten entdeckt habe. Auf dieser Strecke gibt es so viel unberührte Natur und Wildnis und gleichzeitig kann man einiges über die ehemalige DDR und deren Geschichte lernen.

Ich habe die halbe Welt bereist und kann trotzdem sagen: Deutschland ist einfach wunderschön! Vor allem beim Wandern kann man hier so viel entdecken.

Sie haben schon während Kelly-Family-Zeiten mit extremem Ausdauersport angefangen. Wie konnten sie beides miteinander vereinen? Der Tag hat schließlich nur 24 Stunden…
Die Bewegung war immer der optimale Ausgleich für mich. Das Tolle am Ausdauersport: Man kann ihn immer und überall machen - sogar als Musiker auf Tour. Ich bin entweder vor oder nach unseren Konzerten laufen gegangen. Meiner Meinung nach ist es immer eine Frage des Wollens. Für mich war sowohl das Laufen als auch das Wandern oder Radfahren eine gute und wichtige Kompensation. 

Und haben Sie schon weitere (Abenteuer-) Pläne für die Zukunft?
Ich möchte dieses Jahr von München nach Venedig wandern. Die Route führt über die Alpen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Dieses Mal plane ich aber keine Survival-Tour, sondern habe Verpflegung und Gepäck dabei.