Statt direkt zu studieren, lieber erst orientieren
Die Schule ist geschafft. Und jetzt? Sofort in die Ausbildung, ins Studium oder in den ersten Job? Die wenigsten trauen sich, eine Orientierungsphase einzulegen. Dabei ist genau das oft der richtige Weg, um herauszufinden, was das Richtige ist.
Probiert's einfach
Direkt von der Uni ins britische Gesundheitsministerium, das klingt nach einem Volltreffer. Emma ist davon überzeugt, mit 23 ihren Traumjob gefunden zu haben. Doch die Engländerin merkt schnell, dass der öffentliche Dienst und sie nicht zueinander passen. Starre Strukturen, wenig Freiraum für Kreativität. Trotzdem hält Emma durch, hofft, dass es besser wird. Das wird es nicht. Nach einem Jahr zieht sie die Reißleine - und trifft einen Entschluss, der ihr Leben radikal ändert.
Wie Emma Rosen geht es vielen jungen Menschen, die nach der Schule oder Uni so schnell wie möglich durchstarten möchten. Bloß keine Zeit verlieren, sich nicht abhängen lassen. Die Angst, einfach mal "Stopp" zu sagen und sich zu orientieren, ist groß. Und zwischen Prüfungen, Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen den Kopf frei zu bekommen für neue Perspektiven, fast unmöglich. Doch wie soll ich wissen, was zu mir passt, wenn ich es nicht ausprobiert habe? Das fragt sich auch Emma und schreibt kurz vor ihrem 24. Geburtstag alle Jobs auf, die sie interessieren. "Zufällig waren es genau 25. So kam mir die Idee, sie alle in einem Jahr zu testen. "Das war der Startschuss für ihr Projekt "25before25" - und das Ende des sicheren "Traumjobs".
Bloß keine Zeit verlieren.
"Job-Shadowing" zur Orientierung
Die junge Britin gibt sich zwölf Monate Zeit für eine relativ neue Form der Berufsorientierung. Beim "Job-Shadowing" begleitet man Menschen in verschiedenen Berufen, wenige Tage oder auch mehrere Wochen lang. So lässt sich meist ein authentischer Einblick in den Arbeitsalltag gewinnen, von den einzelnen Tätigkeiten bis hin zum Arbeitsklima. Ganz egal ob in den Schul- oder Semesterferien, nach dem Abschluss oder als Auszeit im Studium oder Job: "Beschatten" kann jeder, viele Unternehmen sind offen für Anfragen. Und der Aufwand für beide Seiten ist gering.
Für die Herangehensweise hat Emma eine Menge Tipps. Sie selbst hat sich von Archäologin über Fotografin bis hin zu Film-Statistin für jeden Beruf zwei Wochen Zeit genommen - und schnell gemerkt, ob der Job zu ihr passt. Dabei sind die Jobs, die sie im Vorhinein am spannendsten findet, in der Praxis am wenigsten ihr Ding - Reiseführer-Autorin zum Beispiel. Andere hingegen, die zunächst schräg klingen, begeistern sie. Etwa Alpakas zu züchten. Denn dass man in der Landwirtschaft durchaus Unternehmer-Skills braucht, hätte Emma nie vermutet.
Was sie beim Job-Shadowing sonst noch gelernt hat? "Dass ich eine Portfolio-Karriere machen kann, mich also nicht für einen Job entscheiden muss. Und dass das Umfeld im Arbeitsalltag genauso wichtig ist wie meine Fähigkeiten und Aufgaben." Über ihre Erkenntnisse und Erfahrungen schreibt Emma das Buch "The Radical Sabbatical", das über Großbritannien hinaus für Aufsehen sorgt. Die Financial Times kürt ihren Ratgeber für Millennials Anfang des Jahres zum Business-Buch des Monats. Aktuell hält Emma an Unis und in Unternehmen Vorträge über alternative Karrierewege. Zudem arbeitet sie an einer Geschäftsidee, um junge Menschen auf den beruflichen Weg zu bringen, der sie glücklich macht.
Emmas Tipps fürs Job-Shadowing
Netzwerke so viel wie möglich. Kontaktiere lieber kleine Unternehmen als große. Du kannst auch nur nach zwei oder drei Tagen fragen. Konzentriere dich im Anschreiben und Lebenslauf auf deine Fähigkeiten.
Nutze auf jeden Fall soziale Medien. Sei flexibel. Mache deutlich, warum du ausgerechnet mit diesem einen Unternehmen arbeiten möchtest. Schreibe für jeden Job, den du ausprobieren möchtest, 20 Unternehmen an, nicht zwei.
Mehr Infos über Emma gibt’s im Netz:
Raus aufs Land
Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, eine radikale Auszeit zu nehmen. Raus aus der Komfortzone und etwas ganz anderes machen. Kühe melken oder Bienen züchten zum Beispiel. Verschiedene Plattformen wie "World-Wide Opportunities on Organic Farms", kurz WWOOF (wwoofinternational.org), oder workaway (www.workaway.info) vermitteln den Kontakt zwischen ehrenamtlichen Helfern und weltweiten Gastgebern. Das Konzept ist simpel: Für ein paar Stunden Hilfe am Tag sind Verpflegung und Unterkunft frei. Geld gibt’s nicht, dafür aber die einmalige Möglichkeit, kostengünstig und mit Insider-Tipps die Welt zu entdecken.
Ich wusste einfach, dass es nicht das Richtige für mich ist.
Beim Wwoofing steht zudem ein nachhaltiger, bewusster Lebensstil im Fokus. Die Kernzielgruppe sind in der Regel junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die für eine bestimmte Zeit aus dem Alltag aussteigen und bei der freiwilligen Arbeit auf einem Bio-Hof neue Erfahrungen sammeln möchten. Manchmal führt diese bewusste Auszeit dazu, den ursprünglichen Lebensplan über Bord zu werfen. Zum Beispiel das Studium abzubrechen und danach etwas ganz anderes zu machen.
Ziegen statt Studium
Die Zeit auf den Höfen hat mich darin bestärkt, das zu machen, was ich wirklich wichtig finde.
Er zieht nach Wien und studiert Agrarwissenschaften. Nach dem Bachelor-Abschluss beginnt er mit dem Master - und merkt mit der Zeit, dass es ihn von der Theorie in die Praxis zieht. Die Entscheidung, sein Studium abzubrechen, fällt ihm nicht schwer. "Ich wusste einfach, dass es nicht das Richtige für mich ist." Er verlässt Wien, arbeitet ein Jahr lang auf einem Ziegenhof in Bayern und entscheidet sich danach für die Mitarbeit im Vorstand der deutschen WWOOF-Organisation im Südharz. Bereut hat er seine Entscheidung nie, im Gegenteil: "Die Zeit auf den Höfen hat mich darin bestärkt, das zu machen, was ich wirklich wichtig finde. Auch wenn es unkonventionell ist."
Service für Studien-Abbrecher
Das falsche Fach gewählt, fehlende Motivation oder der Wunsch nach praktischer Arbeit: Viele Studenten brechen ihr Studium ab, starten eine Ausbildung oder gehen direkt in den Job. Wie sich der Studienabbruch in Bewerbungen gut verpacken lässt, zeigt die kostenlose Online- Plattform AUBI-plus. Der Kooperationspartner der TK bietet zudem einen Überblick über Ausbildungsberufe, freie Lehrstellen und viele nützliche Tipps und Infos.