Zwischen Posts und Panik
Überall in den sozialen Netzwerken tummeln sich Menschen, die - so scheint es - schön, erfolgreich und rundum glücklich sind. Doch hinter der perfekten Fassade stecken nicht selten eine Menge Leistungsdruck sowie psychische Probleme und Ängste.
Den Tag, an dem Nico Stank über Instagram sein erstes Reel hochgeladen hat, wird er nie vergessen. Fünf Millionen Klicks in kürzester Zeit - "das war der Wahnsinn". Anderthalb Jahre ist das her. Seitdem geht es für Nico steil bergauf.
Mehr als 200.000 Menschen folgen dem Influencer, der über seinen Instagram-Kanal "nicostank" fast täglich Comedy-Reels, also Kurzvideos auf Instagram postet. Mitten in der Pandemie hat er damit bei vielen Menschen voll ins Schwarze getroffen. "Ich wollte etwas auf die Beine stellen, das mir und anderen Spaß macht und die Leute gut durch die Krise bringt", sagt er.
Spaß verspürt Nico bei jedem einzelnen Reel, das er sorgfältig plant, abdreht und schneidet, bevor er es online stellt. Rund vier Stunden verbringt er täglich damit, zusätzlich zu seiner Arbeit als Comedian, Fotograf, Schauspieler und Synchronsprecher.
Wenn ich ein paar Tage nichts poste, verliere ich direkt eine wirklich immense Anzahl an Follower:innen.
Gleichzeitig spürt Nico den Druck, der mit steigenden Follower:innen-Zahlen wächst. Eine Woche Urlaub? Undenkbar. Auch ein krankheitsbedingter Ausfall bedeutet für ihn eine mittlere Katastrophe. Der Grund: "Wenn ich ein paar Tage nichts poste, verliere ich direkt eine wirklich immense Anzahl an Follower:innen." Dennoch gönnt er sich einen Social-Media-freien Tag pro Woche. "Sonntags drehe und poste ich keine Reels und versuche auch sonst, das Smartphone in der Tasche zu lassen. Das musste ich allerdings erst einmal lernen."
Sorge, nicht mehr relevant zu sein
Das kann auch Aljosha Muttardi nur zu gut nachvollziehen. Der Arzt und Aktivist ist als Instagrammer unter dem Namen "aljosha_" erfolgreich: knapp 70.000 Menschen folgen ihm. Den Durchbruch erzielten Aljosha und sein damaliger Partner 2016 mit dem Youtube-Format "veganistungesund". Darin nahmen die beiden Veganer ihren Lebensstil selbstironisch aufs Korn und räumten wissenschaftlich mit Vorurteilen auf.
Die Sorge, morgen nicht mehr relevant zu sein, ist immer da.
"Klar ist es schwierig, sich davon zu lösen, denn am Ende des Tages leben wir von unserer Arbeit, und dafür ist unsere Reichweite natürlich relevant." Dass diese Reichweite schwarz auf weiß in Zahlen messbar ist, macht die Sache nicht einfacher. "Wenn mein Post 10.000 Likes bekommen hat und der nächste nur 2000, komme ich schon direkt ins Grübeln", gibt er zu. "Und die Sorge, morgen nicht mehr relevant zu sein, ist immer da."
Hilfe bei Depressionen und Ängsten
- Zur Orientierung, ob ihr euch nur niedergeschlagen fühlt oder bereits depressiv seid, gibt es bei uns einen Selbsttest .
- Macht euch eine Angststörung das Leben schwer? Schnelle Hilfe kann eine " App auf Rezept " bieten. Einige digitale Angebote sind nur mit ärztlicher Verordnung nutzbar, andere stehen zum sofortigen Therapiestart zur Verfügung.
Podcast Burnout
Im Hamsterrad gefangen
Franziska Lauter kennt das aus ihrer täglichen Praxis. Die Diplompsychologin hat sich auf Influencer:innen spezialisiert und weiß aus langjähriger Erfahrung: "Erfolgreiche Influencer:innen sind sehr oft Burnout- gefährdet, denn sie befinden sich schnell in einem Hamsterrad. Zum einen haben sie einen sehr hohen Anspruch an sich selbst und arbeiten hart. Zum anderen erwarten ihre Follower:innen von ihnen, laufend Content zu produzieren, denn das ist ja ihr Job."
Gerade jungen Menschen fällt es in dieser Branche oft schwer, für eine gesunde Work-Life- Balance zu sorgen, beobachtet die Psychologin. Burnout und Depressionen lautet daher immer häufiger die Diagnose. "Besonders Hass-Kommentare und Shitstorms treffen junge Influencer:innen hart", sagt Lauter. "Die Betroffenen kommen dann quasi auf dem Zahnfleisch zu mir." Sie bemerkt allerdings auch den positiven Trend, öffentlich über einstige Tabu- Themen wie Depressionen zu sprechen - und auf diese Weise dem im Netz allgegenwärtigen Perfektionismus ein Stück Authentizität entgegenzusetzen.
Besonders Hass-Kommentare und Shitstorms treffen junge Influencer:innen hart.
Diese Entwicklung beobachtet auch Aljosha: "Das Thema Mental Health wird in unserer Branche immer wichtiger." Ihm selbst hilft bei verletzenden Kommentaren anonymer Hater der gemeinsame Austausch mit anderen. "Wir sprechen darüber und können so Abstand gewinnen."
Tipps für einen gesunden Umgang mit Socialmedia
Für (angehende) Profis gilt:
- Herausfinden: Wie viel Arbeit ist gesund für mich? Wo liegt meine persönliche Schmerzgrenze?
- Gegen den psychischen Druck hilft, sich vom Gedanken zu lösen, dass es nur bergauf gehen muss. Es läuft immer mal besser und mal schlechter.
- Sich frühzeitig ein zweites Standbein aufzubauen - ein Plan B nimmt den Druck.
Für alle gilt:
- Ehrlich hinterfragen, wie es um die eigene Medienkompetenz steht. Gerade junge Frauen tappen oft in die Perfektionismus-Falle und erkennen nicht, dass der schöne Schein meist unrealistisch ist. Bilder immer aus diesem Blickwinkel zu betrachten, hilft.
- Regelmäßig prüfen: Wem folge ich eigentlich? Tun mir diese Menschen gut oder fühle ich mich schlechter, wenn ich ihre Posts betrachte? Nur Mut zum "Ausmisten" und entfolgen.
- Alle sozialen Netzwerke sind auf eine Sache ausgelegt: Zeit! Ein Handy-Timer kann helfen, bewusste Auszeiten zu schaffen. Weiterer Tipp: das Smartphone regelmäßig in den Flugmodus schalten.