TK: Was motiviert Sie für die Arbeit im Gesundheitsamt? Wieso haben Sie sich als Ärztin für den Fachbereich Öffentliches Gesundheitswesen entschieden?

Dr. Jana Andreeva: Bevor ich ins Gesundheitsamt kam, war ich 15 Jahre praktisch am Zahnarztstuhl tätig und habe hauptsächlich Kinder behandelt. Als meine eigenen Kinder groß waren, stand einer beruflichen Veränderung nichts mehr entgegen. Die Tätigkeit im Gesundheitsamt ist vorwiegend auf Prävention und Public Health ausgerichtet. Das war für mich eine logische Folge meiner vorher hauptsächlich kurativen Tätigkeit.

Sicher gibt es im Amt mehr Verwaltungsaufgaben für den Zahnarzt als in einer Zahnarztpraxis, aber genau das macht mir Spaß. Die Entscheidung in einem Gesundheitsamt zu arbeiten, habe ich bis heute nicht bereut. Meine Ausbildung zum Zahnarzt im Öffentlichen Gesundheitswesen war dann das i-Tüpfelchen und die endgültige Entscheidung für den ÖGD.

TK: Was sind in normalen, also nicht-Pandemie-Zeiten, Ihre Arbeitsschwerpunkte? Womit verbringen Sie den größten Teil Ihrer Arbeitszeit?

Dr. Andreeva: Meine Hauptaufgabe ist die Zahnärztliche Prophylaxe in Kitas und Schulen. Wir reisen durch den Kyffhäuserkreis und motivieren die Kinder zum Zähne putzen und regelmäßigem Zahnarztbesuch.

Dr. Jana Andreeva

Dr. Jana Andreeva, Zahnärztin und stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes Kyffhäuserkreis Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Zahnärztin und stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes Kyffhäuserkreis

TK: Mit der Corona-Pandemie haben sich der Blick der Öffentlichkeit auf und das politische Interesse für den ÖGD gewandelt. Welche Veränderung haben Sie persönlich erlebt?

Dr. Andreeva: Die Veränderungen waren massiv. So etwas hatte ich bis dahin nicht erlebt.

Als Bürgerin und Bürger hatte man bis dahin nur wenig Berührungspunkte mit dem Gesundheitsamt und plötzlich wurde man während der Quarantäne jeden Tag vom Gesundheitsamt angerufen, zumindest zu Beginn der Pandemie. Das änderte sich dann mit der Zahl der Infizierten zwar schnell, aber letztendlich hatten wir fast mit jeder Bürgerin und jedem Bürger oder auch jeder öffentlichen Einrichtung irgendwann einmal Kontakt.

Der Blick der Öffentlichkeit auf uns war sicher zwiespältig. Einerseits dienten die Maßnahmen zum Schutz andererseits haben wir massiv in die Rechte der Menschen eingegriffen. Wir haben versucht trotz Stress und gesetzlicher Vorgaben menschlich zu handeln. Inwieweit uns das geglückt ist, können nur die Betroffenen beurteilen.

TK: Sowohl in die personelle Ausstattung als auch in die Digitalisierung des ÖGD hat der Bund seit 2020 mit dem ÖGD-Pakt erheblich investiert. Wie steht es in den Thüringer Gesundheitsämtern, besonders im Kyffhäuserkreis, mittlerweile um beides?

Dr. Andreeva: So lange, wie ich im ÖGD arbeite, träumen wir schon von einer solchen Unterstützung. Dass der Bund sich hier in diesem Maße engagiert, ist wirklich bemerkenswert und freut uns natürlich. Wir versuchen - zumindest kann ich für den Kyffhäuserkreis sprechen - diese einmalige Gelegenheit beim Schopf zu packen.

Die Digitalisierung geht bei uns sehr gut voran. Auch personell wurde vieles geändert. Allerdings sind wir noch mittendrin in den Umstellungen.

TK: Was ist außer Geld für mehr Personal und Digitalisierung noch wichtig, um den ÖGD voranzubringen?

Dr. Andreeva: Die Frage ist sehr gut. Man kann unheimlich viel investieren und sich am Ende wundern, warum wir nicht vorangekommen sind. Daher sind jetzt wir als ÖGD gefragt. Denn ein "Weiter so", wie vor der Pandemie, bringt gar nichts.

Ich schätze den Föderalismus, aber gerade in der Pandemie wurde klar, ein Virus kennt keine Kreis - oder Ländergrenzen.
Dr. Jana Andreeva

Was ist unsere Vision für den ÖGD in unserem Land und in der Kommune und wo geht die Reise hin? Sind wir bereit uns zu verändern und auch in Frage zu stellen? Das größte Problem sehe ich darin, ob wir uns über diese Visionen und deren Umsetzung einigen.

Ich schätze den Föderalismus, aber gerade in der Pandemie wurde klar, ein Virus kennt keine Kreis - oder Ländergrenzen. 16 verschiedene ÖGD-Landesgesetze und 23 kommunale Gesundheitsämter in Thüringen erleichtern diese Einigkeit nicht. Deshalb ist ein unbedingter Wille zur Zusammenarbeit und zum Austausch auf allen Ebenen erforderlich. Eine gute Gelegenheit für letzteres bot die Fachveranstaltung in Weimar.

TK: Sie haben bereits 2016 im Interview über die Landesgesundheitskonferenz Thüringen ein modernes, möglichst konkret formuliertes ÖGD-Gesetz für Thüringen gefordert. Nun gibt es zwei Gesetzentwürfe. Wie bewerten Sie das?

Dr. Andreeva: Ich kenne die konkreten Entwürfe noch nicht. Thüringen hat zu seinem großen Glück die einmalige Gelegenheit auf Grund der Erfahrungen einer Pandemie und im Zuge des Paktes für den ÖGD eines der modernsten und vor allem praxisorientiertesten ÖGD-Gesetze der Republik zu verabschieden. Und wenn die vier Berichte des Beirates zur Beratung zukunftsfähiger Strukturen im Öffentlichen Gesundheitsdienst in Umsetzung des Pakts für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, beispielsweise der vierte vom Mai dieses Jahrs, da mit eingearbeitet wurden, dann kann das gut werden.

Die Kommunen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern sollten genügend Zeit bekommen, ihre Meinung zu den Gesetzentwürfen abzugeben.
Dr. Jana Andreeva

Der Bund hat eben nicht nur Geld in die Hand genommen, sondern mit dem Beirat auch inhaltliche Unterstützung zum Aufbau zukunftsträchtiger Strukturen gegeben. Die Kommunen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern sollten genügend Zeit bekommen, ihre Meinung zu den Gesetzentwürfen abzugeben.

TK: Welche Rolle sehen Sie zukünftig für den ÖGD? Was wünschen Sie sich?

Dr. Andreeva: Das ist die letzte und zugleich schönste Frage. Was wünsche ich mir? Das würde den Rahmen dieses Interviews sprengen, aber ich möchte mich auf die üblichen drei Wünsche begrenzen.

Erstens: Der ÖGD in Deutschland geht in seiner heutigen Form, ein kommunales Gesundheitsamt unter Leitung eines Amtsarztes, auf ein Gesetz von 1934, das sognannte GVG (Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens) zurück. Hauptaufgabe war die Umsetzung der sogenannten Rassenhygiene. Die staatlichen Archive in Thüringen haben interessanterweise meterweise Akten darüber.

Nach 1945 nahm der ÖGD in den beiden deutschen Ländern eine unterschiedliche Entwicklung. Die DDR hat mit ihrer Gründung die Strukturen grundlegend geändert und die Gesundheitsämter aufgelöst. In der Bundesrepublik galt das GVG noch bis in die 80iger und in Hessen, glaube ich, sogar noch bis 2008. Diese geschichtliche Belastung und auch die Unterschiede der Ausgestaltung des ÖGD in den Bundesländern erschweren die Entwicklung.

Mein Wunsch ist, dass trotz dieser Gemengelage das neue Gesetz für Thüringen den Spagat zwischen einem kommunalen Gesundheitsamt mit viel Bürgernähe und einem modernen und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Gesundheitsmanager erlaubt. Der Adressat unserer Leistungen sind die Bürgerinnen und Bürger.

Zweitens: Ich wünsche mir, dass wir als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ÖGD die Unterstützung des Bundes, des Landes aber auch aus den Kommunen, und ich kann dabei für meinen Kreis sprechen, nutzen und uns Neuem nicht verschließen.

Insbesondere Stichworte wie Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften sollten sich in der Personalstruktur der Ämter widerspiegeln.
Dr. Jana Andreeva

Und zum guten Schluss auch mal etwas Konkretes: Insbesondere Stichworte wie Gesundheitsförderung und Gesundheitswissenschaften sollten sich in der Personalstruktur der Ämter widerspiegeln. So könnte vorhandenes Potenzial besser genutzt werden. Zum Beispiel sollten wir die einmalig vorhandenen Gesundheitsdaten ganzer Altersstufen im Kindesalter auswerten und letztendlich für die Gesundheitsvorsorge nutzen. Wissenschaftler können von solchen Vollerhebungen nur träumen.

Zur Person

Dr. Jana Andreeva ist Zahnärztin im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Sie arbeitet seit Oktober 2006 im Gesundheitsamt Kyffhäuserkreis, das sie stellvertretend leitet.