Freizeit- und Spitzensportler in ästhetisch geprägten Sportarten wie Gymnastik, Ballett und Tanz sowie in Ausdauersportarten wie Langstreckenlauf und Sportarten mit Gewichtseinschränkungen wie Boxen oder Ringen gelten als besondere Risikogruppe für die Entwicklung einer Magersucht. Frauen im Alter von zwölf bis 35 Jahren haben ein etwa zwölffach höheres Risiko, an Magersucht zu erkranken, als Männer.

Das Körpergewicht von Magersüchtigen liegt 15 Prozent oder mehr unter dem für Geschlecht, Größe und Alter empfohlenen Gewicht. Das entspricht bei Erwachsenen einem Body-Mass-Index (BMI) unterhalb von 17,5. Bei Kindern und Jugendlichen wird als Definitionskriterium hier ein Unterschreiten der zehnten Altersperzentile herangezogen. 

Essverhalten

Magersüchtige erreichen ihr Wunschgewicht in erster Linie, indem sie hungern. Sie meiden energiereiche Lebensmittel mit viel Fett und Kohlenhydraten. Ihre Kalorienzufuhr liegt zum Teil weit unter dem körperlichen Bedarf. Viele Magersüchtige entwickeln bestimmte Essrituale, zum Beispiel essen sie extrem langsam und schneiden ihre Nahrung in kleinste Stücke. Einige Betroffene nutzen weitere Methoden, um ihr Gewicht zu reduzieren: Sie treiben exzessiv Sport, erbrechen sich absichtlich oder nehmen Abführmittel. Diese Beschränkung kann zu schweren Mangelzuständen führen und sowohl körperliche als auch psychische Folgen nach sich ziehen.  

Nicht selten beginnt eine Magersucht mit einem harmlos wirkenden Diätverhalten, wie dem Verzicht auf Süßigkeiten. Die Auslöser sind vielfältig: das erste Mal verliebt zu sein zum Beispiel oder körperliche Veränderungen in der Pubertät. Betroffene haben häufig ein geringes Selbstwertgefühl und Angst vor den Anforderungen des Erwachsenwerdens. 
Sie haben oft das Gefühl, mit ihrem Gewicht auch das eigene Leben wieder kontrollieren zu können. Erhalten sie dann noch anerkennende Rückmeldungen zu ihrer Gewichtsabnahme, kann dies ihr gestörtes Essverhalten und die Angst vor einer Gewichtszunahme weiter verstärken. 

Psychische Veränderungen

Das Thema Essen und Gewicht bestimmt ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen rund um die Uhr. Magersüchtige leiden unter einer sogenannten Körperschemastörung: Sie nehmen den eigenen Körper wie in einem Zerrspiegel wahr, überschätzen ihren Körperumfang, empfinden sich als zu dick und schämen sich für ihr vermeintlich üppiges Aussehen. 

Körperliche Veränderungen

Gewichtsverlust und Mangelernährung können zu Herz-Kreislauf-Störungen, verlangsamtem Herzschlag, niedriger Pulsfrequenz, Nierenschäden, Blutbildungsstörungen, immunologischen Störungen, Magen-Darm-Störungen, Elektrolytstörungen und Ödemen, also Wasseransammlungen im Gewebe, führen. Häufig werden Haut, Haare und Nägel trocken und brüchig. Auch verschiedene Hormonspiegel einschließlich der Geschlechtshormone kommen aus dem Gleichgewicht. Bei Frauen bleibt oft die Monatsblutung aus oder tritt verspätet auf.

Wie wirkt sich die Anorexia nervosa auf Beziehungen aus?

Angehörige fühlen sich hilflos und versuchen oft mit verschiedensten Mitteln, das Essverhalten der Betroffenen zu verändern. Es kommt zu heftigen Konflikten mit gegenseitigen Schuldzuweisungen in Bezug auf das Thema Essen. Oft verschlechtern sich auch die Beziehungen zu den Mitmenschen. Magersüchtige schränken ihre sozialen Kontakte ein, und Bezugspersonen distanzieren sich von ihnen. Auch das sexuelle Interesse sinkt gegen null. Nicht selten gehen Partnerschaften in die Brüche, was wiederum den Druck auf die Betroffenen erhöht. 

Die meisten Magersüchtigen sehen nicht ein, dass sie krank sind. Sie leugnen ihre Erkrankung und möchten ihr Verhalten nicht ändern. Daher lehnen viele Patienten eine Behandlung zunächst ab, vor allem wenn die Eltern oder andere Angehörige sie beim Arzt vorstellen.

Ursachen der Magersucht

Magersucht hat ihren Ursprung vermutlich in einer Kombination aus mehreren sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren. Psychische Einflüsse scheinen eine wichtige Rolle zu spielen, ebenso wie genetische. Auslöser der Magersucht können familiäre Spannungen, Verlusterlebnisse, Hänseleien wegen des Körperbaus oder pubertätsbedingte Störungen sein. Viele magersüchtige Mädchen erleben ihre Mutter oder andere ihnen nahestehende Frauen als negative Vorbilder. In der Folge lehnen sie ihr eigenes Frausein ab und versuchen, auch körperlich möglichst keine weiblichen Züge zu entwickeln. Das Ausbleiben der Menstruation infolge der andauernden Mangelernährung empfinden viele als entlastend oder angenehm.

Verlauf

Im schlimmsten Fall können die körperlichen Störungen zum Tod führen, etwa wenn durch die Magersucht das Herz und andere Organe schwer geschädigt werden. Ein Teil der Betroffenen begeht Suizid. Die Sterblichkeitsrate bei Magersucht ist die höchste aller psychischen Erkrankungen und liegt zwischen 10 und 15 Prozent. Ein wichtiges Ziel der stationären Behandlung ist es daher, das Gewicht auf mindestens 90 Prozent des Body-Mass-Index (BMI) zu bringen, um den Patienten körperlich zu stabilisieren. Die Erfolgsquoten für eine kurzfristige Steigerung des Gewichts liegen bei 40 bis 90 Prozent. Allerdings bleibt bei vielen magersüchtigen Menschen die verzerrte Wahrnehmung ihres Gewichts und ihrer Figur bestehen, wenn sich das Gewicht normalisiert hat, und kann neue Abnehmversuche nach sich ziehen. 

Je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird, umso größer ist die Chance auf Heilung. Magersucht geht häufig mit anderen psychischen Erkrankungen, vor allem mit Depressionen, Angststörungen oder Zwangserkrankungen, einher. 

Diagnose und Behandlung 

Der Arzt erfasst in einem Gespräch mit dem Betroffenen und gegebenenfalls dessen Angehörigen die Krankheitsgeschichte. Er versucht, die Bedingungen, unter denen sich das gestörte Essverhalten entwickelt hat, zu ergründen. Häufig verleugnen Betroffene die teils extreme Gewichtsabnahme und mögliche Beschwerden. Von Bedeutung ist außerdem, ob neben der Essstörung weitere Erkrankungen vorliegen, zum Beispiel Alkohol-, Tabletten- oder Drogenmissbrauch.

Um die optimale Behandlungsstrategie zu wählen, erfragt der Arzt, welche bisherigen Therapieversuche unternommen wurden, wie der Betroffene diese bewertet und warum er sie eventuell abgebrochen hat. Wichtig ist außerdem, welche Erwartungen der Patient an die Therapie hat.

Für die Behandlung von Magersucht gibt es in Deutschland grundsätzlich drei mögliche Behandlungsformen: stationäre, teilstationäre/tagesklinische und ambulante Behandlung. Da der Heilungsprozess in der Regel einen Zeitraum von vielen Monaten - wenn nicht Jahren - umfasst, ist ein sogenannter Gesamtbehandlungsplan erforderlich. Dabei durchläuft der Patient in der Regel nacheinander unterschiedliche Behandlungsformen. 

Neuere Studienergebnisse zeigen zudem, dass eine zusätzliche internetgestützte Therapie den Übergang von der stationären in die ambulante Behandlung erleichtern kann .

Behandlungsziele

Das Normalgewicht zu erreichen, ist ein wichtiges Behandlungsziel. Mithilfe der Therapie können Patienten lernen, ihr Essverhalten nachhaltig zu ändern und psychische Schwierigkeiten zu bewältigen. Dafür kommen zum Beispiel die kognitive Verhaltenstherapie, körperorientierte Therapien, eine Psychoanalyse und familientherapeutische Ansätze infrage. Um bei Kindern und Jugendlichen einer Chronifizierung der Erkrankung vorzubeugen, werden sie vor allem dabei unterstützt, alterstypische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Für ein Mädchen bedeutet das zum Beispiel, sich mit der bisher abgelehnten Rolle als erwachsen werdende Frau anzufreunden. 

Da gerade Kinder und Jugendliche häufig nicht einsehen, dass sie krank sind, sind auch die Sorgeberechtigten beziehungsweise nahe Angehörige in der ersten Behandlungsphase gefordert. Sie müssen wichtige Aufgaben und Entscheidungen hinsichtlich der notwendigen Behandlungsschritte mit übernehmen und oft auch durchsetzen. Zugleich besteht ein wichtiges Therapieziel darin, dass Jugendliche emotional unabhängig von ihren Eltern werden sowie eigene Entscheidungen zu treffen lernen. Dies ist für beide Seiten eine große Herausforderung und kann zu intensiven, aber letztlich heilsamen Auseinandersetzungen führen.

Heilungschancen

Die Prognose von jungen Patientinnen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich verbessert. Ist die körperliche und soziale Entwicklung bis zur Ausbildung der Essstörung unauffällig verlaufen und konnte ein belastendes Lebensereignis wie der Verlust eines Familienmitglieds aufgedeckt werden, stehen die Chancen für eine Heilung gut.