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Ticstörungen sind Verhaltensauffälligkeiten, die wiederholt und ohne erkennbaren Anlass auftreten. Betroffene können die Tics nur vorübergehend unterdrücken. Für gewöhnlich entwickeln sie sich in der Kindheit und im frühen Jugendalter. Das Krankheitsbild ist häufig: Schätzungsweise 4 bis 12 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler leiden an einer Ticstörung. Meist bilden sich Tics allmählich und nehmen mit steigendem Alter zu. Ihren Höhepunkt erreichen sie häufig im Teenageralter - bei vielen Betroffenen lassen die Tics dann spürbar nach und können sogar ganz verschwinden. Sehr oft geht eine Ticstörung zusätzlich mit psychischen Erkrankungen wie ADHS Angst - oder Zwangsstörungen, Depressionen , Autismus-Spektrum-Störungen oder selbstverletzendem Verhalten einher.

Ursachen für Tics

Verantwortlich für die Tics ist eine Fehlregulation im Bereich des zentralen Nervensystems . Dadurch kommt es zu Bewegungen und Lauten, die für die Betroffenen nicht kontrollierbar sind. Expertinnen und Experten gehen außerdem davon aus, dass eine genetische Veranlagung die Erkrankung begünstigen kann: Tics können gehäuft innerhalb von Familien auftreten. Studien haben ergeben, dass Geschwisterkinder von Kindern mit Tics ein bis zu 15-fach erhöhtes Risiko haben, ebenfalls Tics zu entwickeln. Auch bestimmte Medikamente können die Neigung zu Tics verstärken.

Ticstörung = Tourette-Syndrom?

Beim sogenannten Tourette-Syndrom handelt es sich um eine stark ausgeprägte Form der Ticstörung. Dabei treten vokale und motorische Tics in Kombination auf. Nach aktuellen Diagnosestandards müssen mindestens ein vokaler und zwei motorische Tics vorhanden sein, um ein Tourette-Syndrom zu diagnostizieren. Benannt ist die Erkrankung nach dem französischen Arzt Georges Gilles de la Tourette, der das Krankheitsbild im 19. Jahrhundert eingehend erforschte. So stammt auch der Begriff "Tic" ursprünglich aus dem Französischen und wurde vermutlich als Oberbegriff für die Symptomatik verwendet.

Wie äußert sich eine Ticstörung?

Tics werden in zwei Kategorien unterteilt: motorische und vokale Auffälligkeiten. Viele Betroffene haben mehrere Tics, die sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten entwickeln können.

Vokale Tics umfassen alle Äußerungen von unerwarteten Geräuschen und Worten, zum Beispiel Husten, Räuspern, Schnauben, Schmatzen, tierähnliche Laute (etwa Quieken oder Pfeifen), zwanghaftes Fluchen oder der Gebrauch von Schimpfwörtern oder vulgären Ausdrücken, Nachsprechen beziehungsweise Nachahmen eigener Laute oder von Lauten anderer Personen.

Motorische Tics beschreiben wiederkehrende ungewöhnliche, oft ruckartige Bewegungen wie etwa Kopfschütteln oder -rucken, häufiges Augenblinzeln, Gesichtsbewegungen (zum Beispiel Grimassenschneiden, zuckende Mundwinkel, Naserümpfen), wiederholte Bewegungen der Gliedmaßen (Zucken, Verdrehen, Beugen), Nachahmen eigener Bewegungen oder von Bewegungen anderer Menschen. 

Diagnose

Eine Ticstörung wird als chronisch eingeordnet, wenn die Tics seit mindestens einem Jahr bestehen - Gleiches gilt für das Tourette-Syndrom. Aber auch vorübergehende Tics sind möglich. Im Gespräch erfragt die Ärztin oder der Arzt daher Art und Dauer der Symptome. Auch die Situationen, in denen die Tics auftreten, sind ein wichtiger Indikator für die Diagnose: Während Belastungen wie Stress, Angst oder Aufregung die Krankheitszeichen verstärken, wirken sich Entspannung und Konzentration in der Regel positiv aus. Wichtig ist außerdem, ob ähnliche Symptome bereits in der Familie vorkommen.

Anschließend erfolgt eine körperliche Untersuchung. Um andere Ursachen auszuschließen, etwa Spasmen, ein Schädel-Hirn-Trauma  oder einen Schlaganfall , können unter anderem eine Blutabnahme, eine Elektroenzephalografie (EEG), eine Computertomografie (CT) oder auch eine Magnetresonanztomografie (MRT) erfolgen.

Neue Klassifikation im ICD-11

Die neue Version der International Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD), die zum 1. Januar 2022 in der (vorläufigen) deutschen Erstfassung in Kraft getreten ist, hat das Krankheitsbild neu zugeordnet: Galten Ticstörungen im ICD-10 noch als psychisch bedingte Verhaltensstörung, zählen sie im ICD-11 nun zu den Bewegungsstörungen in der Kategorie Krankheiten des Nervensystems. Die neue Klassifikation verknüpft die Erkrankung somit gezielt mit ihrer Ursache und kann dazu beitragen, Diskriminierung und Stigmatisierung von Betroffenen entgegenzuwirken.

Behandlung

Stehen die Tics einem normalen Alltag nicht im Weg, ist eine Therapie nicht zwingend erforderlich. Unabhängig davon kann aber eine Psychoedukation hilfreich sein: Betroffene und auch deren Angehörige werden hier individuell aufgeklärt, was Tics sind, wodurch diese entstehen und wie sie mit ihnen umgehen können. Außerdem werden sie zu möglichen Unterstützungsangeboten beraten.

Darüber hinaus kann eine Psychotherapie  helfen, sowohl die Tics besser zu steuern als auch psychische Begleiterkrankungen zu bewältigen. Spezielle Formen der Verhaltenstherapie nutzen das oft auftretende Vorgefühl, mit dem sich Tics für die Betroffenen ankündigen. Bei der Methode Exposure and Response Prevention (ERP) dient das Gefühl als Ausgangspunkt, um bevorstehende Tics wahrnehmen und bei Bedarf ausbremsen zu können. Das Habit Reversal Training (HRT) zeigt Patientinnen und Patienten alternative Verhaltensweisen, die sie mithilfe des Vorgefühls einsetzen können, um den Tics aktiv gegenzusteuern.

Stark ausgeprägte Ticstörungen, die die Betroffenen körperlich oder psychisch belasten, können zusätzlich medikamentös behandelt werden. Dabei können sogenannte Neuroleptika zum Einsatz kommen.

Tipps für Betroffene

  • Einige Betroffene empfinden Sport und Bewegung als wohltuenden Ausgleich. Körperliche Aktivität kann sich zudem positiv auf die Erkrankung auswirken. Aber auch andere Hobbys, die Ihnen Entspannung  bieten, können Ihnen dabei helfen, die Tics besser zu steuern.
  • Wie Sie mit Ihrer Ticstörung in der Öffentlichkeit umgehen, ist grundsätzlich eine persönliche Entscheidung - solange niemand zu Schaden kommen kann. Manche Betroffene lassen ihren Tics lieber zu Hause freien Lauf und unterdrücken sie ansonsten; andere bevorzugen, sie offen zu zeigen. Entscheidend ist, womit Sie sich am wohlsten fühlen.
  • Austausch mit anderen Betroffenen kann eine wichtige Stütze sein, um die Erkrankung besser zu bewältigen. Organisationen wie die Tourette-Gesellschaft Deutschland e. V., LifeTiccer e. V. und der InteressenVerband Tic & Tourette Syndrom (IVTS) e. V. bieten sowohl Selbsthilfegruppen als auch Veranstaltungen für Betroffene und ihre Familien an.
  • Informieren Sie sich über einen möglichen Nachteilsausgleich, der im deutschen Sozialrecht verankert ist. Beeinflusst die Ticstörung den Lernfortschritt in der Schule, in der Ausbildung oder im Studium, können Sie spezielle Unterstützung in Anspruch nehmen.

Was können Angehörige tun? 

Menschen mit einer Ticstörung leiden häufig unter psychosozialen Problemen. Besonders junge Patientinnen und Patienten erleben Diskriminierung und Mobbing. Betroffene Kinder und Jugendliche ziehen sich daher oft zurück und möchten sich nicht von ihrer Familie lösen. Als Angehörige oder Angehöriger ist es deshalb wichtig, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen: 

  • Achten Sie als Eltern darauf, Ihr Kind nicht zu sehr zu behüten. Ermutigen Sie es, sich selbst anzunehmen und selbstbewusst mit der Ticstörung leben zu lernen.
  • Patientinnen und Patienten benötigen insbesondere emotionale Unterstützung und Rückhalt. Zeigen Sie der betroffenen Person, dass Sie sie mitsamt der Erkrankung akzeptieren und für sie da sind.
  • Bemühen Sie sich um ein ruhiges Umfeld und etablieren Sie möglichst feste Routinen, denn Stress kann die Tics verstärken. 
  • Unter Umständen müssen sich auch Angehörige zunächst an die Tics gewöhnen. Fällt es Ihnen oder einem anderen Familienmitglied schwer, die Tics hinzunehmen, zögern Sie nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Anlaufstellen wie der InteressenVerband Tic & Tourette Syndrom (IVTS) e. V. oder die bke-Elternberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e. V. bieten Tipps und Unterstützung.