TK: Frau Prof. Dr. Kielstein, seit wenigen Monaten sind Sie neue Dekanin der medizinischen Fakultät Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, kennen aber insbesondere die Medizinische Fakultät der Universität seit vielen Jahren. Auf welche Art und Weise haben sich Ihr Arbeitsalltag und der Blick auf die Universität mit dem neuen Amt verändert?

Prof. Dr. Heike Kielstein: Mein Arbeitsalltag hat nur noch äußerst wenig mit dem ‚Leben vor dem Amt‘ zu tun. Insbesondere in den ersten Wochen musste ich zunächst im Detail erfassen, welche Aufgaben mit dem Amt verbunden sind. Ich habe großen Respekt vor der verantwortungsvollen Aufgabe, die ich nun habe. Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass mich drei engagierte Prodekane, eine Prodekanin und Mitarbeitende im Dekanat tatkräftig unterstützen. Die Arbeit ist außerordentlich interessant und macht mir sehr großen Spaß.

In den letzten vier Jahren war ich Senatorin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, eine Erfahrung, die nun sehr hilfreich ist, bezogen auf den Blick auf die Universität und das Agieren in der Universität. Ich habe viele Kontakte geknüpft und die Gremienprozesse kennengelernt. Die Medizinische Fakultät ist eine der drei Gründungsfakultäten der Universität und wir sind sehr dankbar, Teil dieser traditionsreichen, in die Zukunft gerichteten Universität zu sein.

Prof. Dr. Heike Kiel­stein

Prof. Dr. Heike Kielstein, Dekanin der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Dekanin der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

TK: Die Stärkung des Stellenwertes der Lehre in der Universitätsmedizin Halle ist einer der von Ihnen benannten Schwerpunkte für die kommenden vier Jahre. Wie wollen Sie Ihr Ziel einer gleichrangigen Gewichtung von Medizin, Forschung und Lehre erreichen?

Prof. Dr. Heike Kielstein: An der Medizinischen Fakultät in Halle werden fünf Studiengänge angeboten und 2.200 Studierende unterrichtet. Administrativ unterstützt durch die Mitarbeiterinnen des Studiendekanats bieten wir einerseits bewährte Lehrformate an, andererseits entwickeln wir unsere Lehrangebote stetig weiter, um den Studierenden zunehmend digitale und interprofessionelle Lehre anzubieten. Mit dem Dorothea-Erxleben-Lernzentrum haben wir in Halle eine der größten und innovativsten Lernkliniken Deutschlands. Es ist meine Aufgabe, die Lehrenden der Medizinischen Fakultät dafür zu sensibilisieren, dass eine gute und wertschätzende Ausbildung von Studierenden auf hohem wissenschaftlichen Niveau der einzige Weg ist, engagierte und gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, akademische Pflegefachpersonen und Hebammen für unseren Standort zu begeistern.

In einem aktuellen Kommentar in dem renommierten Wissenschaftsjournal ‚The Lancet‘ wird festgestellt, dass das akademische System häufig diejenigen priorisiert, die erfolgreiche Forscherinnen oder Forscher sind, und engagierte Lehrende weniger Beachtung finden.  Es ist vielschichtig und langwierig, eine für alle Seiten akzeptable Gewichtung von Lehre, Forschung und Krankenversorgung zu erreichen. Die derzeitige unzureichende finanzielle Ausstattung von Universitätsmedizin-Standorten erleichtert die zwingend notwendige Stärkung des Stellenwerts der Lehre nicht.  

TK: Welche Rolle spielt hierbei aus Ihrer Sicht das Thema Personalentwicklung, insbesondere mit Blick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs und die Weiterentwicklung der Forschungsschwerpunkte?

Prof. Dr. Heike Kielstein: Die Unterstützung des wissenschaftlichen und ärztlichen Nachwuchses ist mir ein besonderes Anliegen. Eine große Herausforderung in Bezug zum wissenschaftlichen Nachwuchs sind die vielen befristeten Stellen, die angesichts attraktiver außeruniversitärer Tätigkeitsfelder die Akquise von motivierten und engagierten Menschen extrem erschwert.

Die ärztliche Tätigkeit an einer Universitätsmedizin ist eine große Herausforderung, aber auch eine Chance, komplexe klinische Fragestellungen auf hohem Niveau wissenschaftlich bearbeiten zu können. Die jungen Menschen, die sich entscheiden bei uns zu arbeiten, blicken allerdings anders auf die Balance zwischen Arbeit und Freizeit, als es vor 20 Jahren der Fall war. Es ist nicht unsere Aufgabe darüber zu lamentieren, sondern wir bieten seit einigen Jahren zum Beispiel ein ‚Clinician Scientist‘ Programm an, dass promovierten Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit gibt, über einen Zeitraum von drei Jahren bis zu 50 Prozent der Arbeitszeit in eigene Forschungsprojekte zu investieren - und diese somit nicht in der Freizeit machen zu müssen.

In den kommenden vier Jahren werden wir uns vermehrt der strategischen Forschungsberatung unseres Nachwuchses widmen und versuchen sowohl die Zahl der Habilitationen als auch der Drittmitteleinwerbungen und der publikatorischen Tätigkeit zu erhöhen.      

TK: Sachsen-Anhalt verfügt über zwei Universitäten, die bereits auf verschiedenen Gebieten kooperieren und Spitzenmedizin erbringen. Sie plädieren dafür, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Wie soll diese aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren aussehen?

Prof. Dr. Heike Kielstein: Die beiden Universitätsmedizin-Standorte sind für die hochkomplexe Krankenversorgung im nördlichen und südlichen Sachsen-Anhalt, die Ausbildung von Studierenden und die notwendige Vielfalt der wissenschaftlichen Schwerpunkte von großer Bedeutung. Es ist wichtig zu beachten, dass die beiden Universitätsklinika mit den jeweiligen Medizinischen Fakultäten eine untrennbare Einheit bilden und sich Forschungsschwerpunkte teilweise aus den Schwerpunkten der Universitäten herauskristallisiert haben.

Es gibt aber klinisch-therapeutische und wissenschaftliche Bereiche, die sich sehr gut eignen, in enger Kooperation zwischen den beiden Standorten durchgeführt zu werden. Hier können Kompetenzen gebündelt und ressourcenschonend gearbeitet werden. Seit vielen Jahren gibt es hierzu regelmäßige Treffen zwischen den beiden Vorständen. Unabhängig davon bestehen viele erfolgreiche wissenschaftliche und klinische Kooperationen, die weiter ausgebaut werden sollen, zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Halle und Magdeburg.

TK: Zudem sprechen Sie sich für eine engere Zusammenarbeit sowohl innerhalb Ihres Hauses als auch mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen aus. Welche Themenfelder haben Sie besonders im Blick und welchen Nutzen erhoffen Sie sich davon für die medizinische Versorgung im Bundesland?

Prof. Dr. Heike Kielstein: Die Medizinische Fakultät wird zusammen mit dem Universitätsklinikum insbesondere den Forschungsbereich ‚Alternsmedizin‘ weiterentwickeln. Hier könnte ich mir eine Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen vorstellen.

Es haben sich zwei Forschungslinien an der Universitätsmedizin Halle ausgebildet: die Versorgungsforschung mit dem Schwerpunkt digitalisierte Gesundheitsversorgung (mit speziellem Fokus auf die ältere Bevölkerung) und die experimentelle Alternsforschung mit Akteurinnen und Akteuren aus den Grundlagenwissenschaften und der Klinik. Wir forschen und engagieren uns damit passgenau für und in unserer Region. Eine Region mit einem im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands deutlich höheren Anteil älterer Menschen.

Zur Person

Prof. Dr. Heike Kielstein ist seit dem 1. September 2022 Dekanin der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nach dem Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover folgten 1996 die Promotion und 2005 die Habilitation. Seit 2015 ist sie W3-Professorin für Anatomie, ein Jahr später wurde sie ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Im Jahr 2017 wurde sie als ‚Professorin des Jahres‘ in der Kategorie Medizin/Naturwissenschaften ausgezeichnet.