Mit dem Zweiten sieht man älter
Artikel aus Berlin/Brandenburg
Man kann sich so jung fühlen, wie man will: Beim Fernsehen am Abend holt uns die Realität ganz schnell ein. Eine Glosse.
Ist es nicht herrlich, plötzlich begehrt und umschwärmt zu werden? Vor allem, wenn man nicht mehr zu den Jüngsten gehört?
Während man noch vor ein paar Jahren ab 50 zum alten Eisen zählte, sind ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt heute angeblich gefragt wie nie. Falten gelten in den sozialen Medien plötzlich nicht mehr als hässlich, sondern als Zeichen von Lebenserfahrung und Charakter; graue Haare sind kein Makel, sondern ein Statement. Heidi Klum lässt Großmütter auf den Titel des nächsten Top Models hoffen. Auch Liebe und Leidenschaft kennen längst kein Alterslimit mehr - Partnerschaftsbörsen versprechen neue Abenteuer auch in späteren Jahren.
Die Boomer sind fit, sie sind schön. 60 ist das neue 30 und Alter ohnehin nur eine Zahl, weshalb man - so Forderungen aus Wirtschaft und Politik - ja getrost bis 70 arbeiten könnte. Ach, man ist nur allzu gern geneigt, diesen Schmeicheleien zu erliegen! Doch dann kommt die Ernüchterung - mit den Abendnachrichten.
Höheres Rentenalter und Hämorrhoiden
Nicht, weil die Meldungen an sich schon deprimierend sind. Sondern weil die Werbeindustrie in den Zuschauerinnen und Zuschauern von "Tagesschau", "heute" und anderen Nachrichtensendungen offenbar die perfekte Zielgruppe für geriatrische Produkte wittert.
Da werden Mittelchen gegen Inkontinenz und Blasenschwäche angepriesen, Cremes gegen Hämorrhoiden, Kapseln gegen Prostatabeschwerden, Haarausfall, Gedächtnisverlust und müde Gelenke.
Und während man sich gerade mit der kommenden Realität konfrontiert sieht und ahnt, welche Altersleiden und Zipperlein schon bald auf einen warten, wird zwischen Werbeblock und Wetter von irgendwem laut über eine Erhöhung des Rentenalters, eine Wehrpflicht oder ein soziales Jahr für Rentnerinnen und Rentner sinniert.
Jung oder alt, alt oder jung?
Altersverwirrtheit erfährt eine ganz neue Definition: Man ist nie so alt, wie man sich fühlt. Sondern so alt oder jung, wie andere einen machen.