TK: In Ihrer Praxis bieten Sie die ambulante bildwandlergestützte Schmerztherapie für Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule an. Wie kann man sich die Behandlung vorstellen, und stellt sie eine Alternative zu operativen Eingriffen dar?

Dr. Till Guttke: Die bildwandlergestützte Schmerztherapie der Wirbelsäule sollte als Erweiterung des therapeutischen Spektrums bei chronischen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule verstanden werden. Die Prävalenz von Rückenschmerzen, also das Auftreten von Rückenschmerzen innerhalb eines Jahres, liegt bei über 60 Prozent in der deutschen Bevölkerung. Wir müssen hierbei akute von chronischen Rückenschmerzen abgrenzen. Akute Rückenschmerzen bessern sich meist von selbst innerhalb von sechs bis acht Wochen, und es bedarf dafür nur unterstützender Maßnahmen wie z. B. einem Bewegungstraining der betroffenen Region, lokaler Wärmeapplikation und eventuell der zeitlich begrenzten Einnahme eines entsprechenden Schmerzmittels. Ein Großteil der beklagten Rückenschmerzen verschwindet dann von selbst.

Die Prävalenz von Rückenschmerzen, also das Auftreten von Rückenschmerzen innerhalb eines Jahres, liegt bei über 60 Prozent in der deutschen Bevölkerung. Wir müssen hierbei akute von chronischen Rückenschmerzen abgrenzen.
Dr. Till Guttke

Demgegenüber steht eine große Anzahl von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen. Diese Schmerzzustände bestehen oft seit Monaten und Jahren, werden oft nicht besser, erzeugen einen erheblichen Leidensdruck und bedürfen daher einer Intensivierung der Behandlung. Als Ursache finden sich häufig strukturelle Veränderungen der Wirbelsäule, wie Bandscheibenvorfälle, Engstellen im Bereich des Wirbelkanals oder verschleißbedingte Veränderungen der Bandscheiben und der kleinen Wirbelgelenke. Wenn diese Veränderungen dann zusammentreffen mit z. B. einem Bewegungsmangel, Übergewicht und eventuell einer psychischen Begleitkomponente, entwickelt sich daraus überproportional häufig ein chronischer Rückenschmerz.

In diesen Fällen kommen dann diverse therapeutische Verfahren zur Anwendung. Ein regelmäßig, am besten täglich durchgeführtes Training der Rumpf- und Rückenmuskulatur ist in dieser Patientengruppe dabei unumgängliche Grundlage eines Therapieerfolges, und dies sollte zwingend vom Patienten in Eigenregie umgesetzt werden. Durch die Verordnung von Rehasport, Funktionstraining, Physiotherapie oder auch Gesprächstherapien können wir hier von ärztlicher Seite unterstützen.

Die ärztlichen Bemühungen umfassen bei der Therapie des chronischen Rückenschmerzes auch physikalische Therapieverfahren wie z. B. Elektrotherapien, Wärmetherapien, die Behandlung mit einem TENS-Gerät (transkutane elektrische Nervenstimulation), die Rezeptierung entlastender beziehungsweise korrigierender Orthesen, die Schmerzakupunktur im Bereich der Lendenwirbelsäule oder auch ergänzende medikamentöse Ansätze. Diese können zum einen durch die Verordnung von Tabletten oder Tropfen erfolgen, zum anderen durch die entsprechende Applikation an den Wirkort.

Hier setzt die bildwandlergestützte Schmerztherapie an. Mit einem schwenkbaren Röntgengerät oder einem Computertomographen wird die entsprechende Region der Wirbelsäule zur Darstellung gebracht und die für die Schmerzen mutmaßlich verantwortliche Struktur unter Sicht, also bildwandlergestützt, gezielt mit einer Injektionsnadel oder einer Sonde aufgesucht, um das entsprechende Medikament zur Schmerzstillung bzw. Entzündungshemmung gezielt zu applizieren beziehungsweise gezielt vor Ort zu behandeln. Das Arbeiten "unter Sicht" erlaubt dabei eine deutlich genauere Positionierung des Instrumentariums im Vergleich zur manuellen Technik, bei der man versucht, die Zielstruktur anhand von anatomischen Landmarken zu lokalisieren. Diese exakte Positionierung reduziert das Risiko einer unabsichtlichen Fehllage, ermöglicht eine Reduktion der nötigen Medikamentendosis und erzielt eine bedeutend bessere therapeutische Wirkung. Diese erlebt der Patient in Folge regelhaft in einer spürbaren Verminderung des Schmerzerlebens. Genau diese Schmerzreduktion versetzt den Betroffenen häufig erstmalig in die Lage, den bestehenden "Schmerzkreislauf" zu durchbrechen, aktiv zu leben, Sport zu treiben und übermäßiges Gewicht zu reduzieren. Die daraus resultierende Verbesserung der Durchblutung, Stärkung der Muskulatur und Stabilisierung der Wirbelsäule führt dann sekundär zu einem nachhaltigen Erfolg.

Die bildwandlergestützte Schmerztherapie ist Teil eines schmerztherapeutischen Gesamtkonzeptes und kann auch nur in diesem ihre Wirkung voll entfalten. 
Dr. Till Guttke

Die bildwandlergestützte Schmerztherapie ist damit Teil eines schmerztherapeutischen Gesamtkonzeptes und kann auch nur in diesem ihre Wirkung voll entfalten.

Eine therapeutische Alternative zur operativen Versorgung stellt sie daher in der Form dar, dass als Folge der Schmerzreduktion oftmals operative Eingriffe verhindert werden können. Denn der chronische, vom Patienten nicht zu tolerierende Schmerz ist nach wie vor Hauptgrund für einen operativen Eingriff im Bereich der Wirbelsäule. Die Anzahl dieser Eingriffe zu reduzieren, ist Ziel des therapeutischen Wirkens in der konservativen Wirbelsäulenbehandlung. 

TK: Als Techniker Krankenkasse sind wir stets auf der Suche nach innovativen Behandlungsmöglichkeiten und machen diese unseren Versicherten zugänglich. Eine wichtige Rolle spielen dabei neue Medizinprodukte oder -techniken, durch deren Einsatz die Versorgung vereinfacht und verbessert werden kann. Wonach entscheiden Sie, ob Sie eine neue Technik oder ein neues Produkt in Ihrer Praxis zur Anwendung bringen?

Guttke: Leider müssen wir im Bereich der konservativen Wirbelsäulenbehandlung beziehungsweise in der Schmerztherapie feststellen, dass sich in den letzten Jahren nur wenige innovative Behandlungsverfahren durchsetzen konnten. Das liegt auch daran, dass die therapeutische Wirksamkeit oftmals erst im Rahmen von Studien belegt werden sollte, um Einzug in die regelhafte Patientenversorgung zu erhalten. Hier haben sich einige neue Verfahren als nicht ausreichend wirksam oder überzeugend herausgestellt. Medizinisches Neuland zu betreten bedeutet auch immer, in Bezug auf Wirkung und Nebenwirkung nur auf einen überschaubaren Erfahrungsschatz zurückgreifen zu können. Dies darf jedoch nie zu Lasten der Patientensicherheit gehen. Daher bin ich diesbezüglich eher etwas konservativer und vertraue dabei auf Bewährtes. Dies versuche ich dann sinnvoll zu kombinieren.

Durch moderne Röntgentechniken mit hochsensiblen Detektoren haben wir heutzutage die Möglichkeit, die Bildqualität zu verbessern und die Dosis an Röntgenstrahlung zu reduzieren.
Dr. Till Guttke 

Durch moderne Röntgentechniken mit hochsensiblen Detektoren haben wir heutzutage z. B. die Möglichkeit, die Bildqualität zu verbessern und die Dosis an Röntgenstrahlung zu reduzieren. Hier ist der Benefit für den Patienten sehr eindeutig und steigert die Behandlungsqualität. Dies nutze ich gerne in der eigenen Praxis.

TK: Auch bei innovativen ambulanten Versorgungsangeboten kann die Digitalisierung zur Verbesserung und zum Fortschritt beitragen. Wie relevant schätzen Sie die zukünftige Rolle der Digitalisierung ein? Und wie gehen Sie das Thema Digitalisierung in Ihrer Praxis an?

Guttke: Ich erhoffe mir durch die Digitalisierung im Gesundheitswesen eine Verbesserung der Versorgungsqualität. Medizinische Daten sollten dem behandelnden Arzt zeitnah zugänglich gemacht werden, um z. B. unnötige Doppeluntersuchungen zu vermeiden und ein umfassendes Verständnis für die medizinische Vorgeschichte des Patienten zu erhalten. Die Kenntnis über verordnete Medikamente, Allergien und Unverträglichkeiten ist genauso relevant wie das Wissen um Begleit- und Vorerkrankungen. Hier liegt die Stärke der Zentralisierung dieser Daten, und ich verspreche mir viel von der digitalen Patientenakte.

Medizinische Daten sollten dem behandelnden Arzt zeitnah zugänglich gemacht werden, um z. B. unnötige Doppeluntersuchungen zu vermeiden und ein umfassendes Verständnis für die medizinische Vorgeschichte des Patienten zu erhalten.
Dr. Till Guttke

In der eigenen Praxis verwende ich digitale Schmerzanamnesebögen, die leicht auf einem Tablet ausgefüllt werden können und mir eine gute und zeitnahe Einschätzung der Schmerzsituation des Patienten ermöglichen. Früher mussten wir uns mit einem Berg Zetteln herumschlagen und diese dann manuell auswerten. Die digitale Datenerfassung und -auswertung ist für uns eine deutliche Erleichterung im Praxisalltag. Auch gibt es immer mehr digitale Angebote auf dem Smartphone, die bei Erkrankungen wie z. B. Übergewicht, Depression und chronischem Schmerz unterstützen können. Inwieweit diese dann langfristig hilfreich sein werden, bedarf jedoch noch weiterer Untersuchungen.

TK: Haben Sie selbst Ihre Gesundheitsdaten täglich im Blick? Also zählen Sie Ihre Schritte, messen Ihre Herzfrequenz oder protokollieren Ihren Schlaf mithilfe von Wearables?

Guttke: Ich laufe gern und regelmäßig, und dabei interessieren mich z. B. Laufdistanz, Geschwindigkeit und auch Herzfrequenz. Ich versuche dadurch, mein Training zu verbessern. Grundsätzlich versuche ich, ein aktives Leben zu führen, ohne dabei jedoch die Anzahl der Schritte täglich zu protokollieren. Für Menschen mit wenig Bewegungsdrang kann dies aber sicher ein gutes Mittel der Motivation darstellen. Grundsätzlich denke ich jedoch, sollten wir wieder mehr zu einem bewussteren Körpergefühl zurückfinden, ohne übermäßige Messwerte und maschinelle Unterstützung. Am Morgen weiß ich als Person doch immer noch am besten, ob ich ausgeschlafen und energiegeladen in den Tag starte oder mich schlapp und gerädert fühle. Und das unabhängig davon, was die Uhr an meinem Handgelenk dazu meint. Aus meiner Sicht ist diese Selbstwahrnehmung in den letzten Jahren zunehmend abhandengekommen, und ich würde mir hier weniger Technik im Alltag wünschen.