"Gesundheit im Unternehmen muss bewusst gestaltet werden"
Interview aus Hessen
Die Median Reha-Klinik in Bad Wildungen hat begonnen, ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) einzuführen. Wir haben mit Klinikleiter Martin Spegel und der BGM-Beauftragten Dagmar Kernke darüber gesprochen, was sie zu diesem Schritt bewogen hat und warum das Thema für die Klinik von großer Bedeutung ist.
TK: Welche Vision verfolgen Sie mit den geplanten BGM-Maßnahmen?
Martin Spegel: Unsere Vision ist es, die Median Klinik Mühlengrund zu einem der attraktivsten und gesündesten Arbeitsplätze in der Region zu entwickeln, an dem Mitarbeitende gerne arbeiten, sich wertgeschätzt fühlen und langfristig gesund bleiben.
Mit unserem Betrieblichen Gesundheitsmanagement verfolgen wir drei wesentliche strategische Ziele: Wir wollen die Gesundheit unserer Mitarbeitenden erhalten und fördern, indem wir durch gezielte Angebote und gesunde Arbeitsbedingungen physischen und psychischen Belastungen vorbeugen. Zudem möchten wir eine wertschätzende Unternehmenskultur schaffen, in der sich jeder als Teil des Erfolgs versteht und so die Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit steigern. Und zuletzt wollen wir die Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Mitarbeitenden und die Qualität unserer Arbeit sichern, indem wir die individuellen Ressourcen jedes und jeder Einzelnen und die Team-Resilienz insgesamt stärken. So wollen wir mit gesunden, motivierten Mitarbeitenden und einer zukunftsfähigen Klinik, die den hohen Erwartungen unserer Patientinnen und Patienten gerecht wird, eine Win-win-Situation schaffen.
TK: Beschäftigte in der Kranken- und Altenpflege sind häufiger und länger krank als andere Berufsgruppen. Wie kann ein BGM beitragen, um die Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Zufriedenheit Ihrer Mitarbeitenden zu erhalten oder zu verbessern?
Die hohen körperlichen und psychischen Belastungen in der Pflege spiegeln sich auch in den Krankheitsstatistiken wider.
Spegel: Insbesondere in der Gesundheitsversorgung sind die körperlichen und psychischen Belastungen hoch - das spiegelt sich auch in den Krankheitsstatistiken vieler Einrichtungen wider. Unser Betriebliches Gesundheitsmanagement setzt genau hier an. Wir wollen Belastungsfaktoren frühzeitig erkennen und gezielte Maßnahmen zur körperlichen Entlastung, Stressreduktion und Förderung der mentalen Gesundheit anbieten. So passen wir beispielsweise bei körperlichen Beschwerden die Bewegungsangebote und Arbeitswege innerhalb des Hauses individuell an, sodass Mitarbeitende sicher und entlastet ihrem Arbeitsalltag nachgehen können. Wir fördern ergonomische Arbeitsplätze und berücksichtigen bei der Dienstplangestaltung auch die Bedürfnisse der Mitarbeitenden sowie ausreichende Erholungsphasen und Erholungsmöglichkeiten. In Schulungen und Coachings unterstützen wir sie, damit sie auch in herausfordernden Situationen handlungsfähig und in Balance bleiben.
Zur Person
Martin Spegel blickt auf eine über 30-jährige Laufbahn im deutschen Gesundheitswesen zurück. Nach einer Ausbildung zum Krankenpfleger und Rettungssanitäter studierte er an der Fachhochschule Osnabrück Betriebswirtschaft und verbrachte ein Auslandssemester in Wales. Bereits während dieser Zeit sammelte er praktische Erfahrungen in einem britischen Krankenhauskonzern. Nach ersten Jahren als Unternehmensberater für Kliniken und Krankenkassen übernahm Spegel Verwaltungsleitungsfunktionen in großen Klinikverbünden. Seit 2010 war er in verschiedenen Leitungsfunktionen in der gesetzlichen Krankenversicherung tätig. Er engagierte sich in zahlreichen Gremien auf Bundes- und Landesebene, unter anderem im GKV-Spitzenverband und im BKK-Dachverband. 2025 wechselte Spegel als Kaufmännischer Leiter an die Median Klinik Mühlengrund in Bad Wildungen, wo er seine umfassende Erfahrung im Vertrags- und Versorgungsmanagement sowie in der Steuerung komplexer Klinikstrukturen einbringt.
TK: Wie wurden die Mitarbeitenden in die Entwicklung und Umsetzung des BGM eingebunden?
Dagmar Kernke: Die Mitarbeitenden wurden von Beginn an aktiv eingebunden. Wir haben besonderen Wert auf die Möglichkeit der Mitgestaltung, auf Transparenz und kontinuierlichen Austausch gelegt. Schon zu einem frühen Zeitpunkt haben wir in einem ersten Schritt das Projekt in relevanten Arbeitsgruppen und Ausschüssen vorgestellt. So konnten wir die Akzeptanz und den Rückhalt für unsere BGM-Maßnahmen stärken. In einer Kick-off-Veranstaltung im Jahr 2022, bei der wir den Start unseres Projekts "Starke Pflege - Starke Therapie" der gesamten Belegschaft vorgestellt haben, wurden dann bereits erste Vorschläge der Mitarbeitenden für ein gesünderes Arbeiten gesammelt.
Ein zentrales Instrument, das uns bei der Umsetzung geholfen hat, war die Ausbildung von BGM-Lotsinnen und Lotsen sowie BGM-Moderatorinnen und Moderatoren. Sie sind bis heute wichtige Schlüsselpersonen in ihren jeweiligen Bereichen, die den Dialog zwischen Mitarbeitenden und Abteilungsleitungen sowie der Projektleitung fördern. Sie bündeln das Feedback aus der Belegschaft und bringen diese Impulse in die Weiterentwicklung des Projekts ein.
TK: Welche konkreten gesundheitsförderlichen Maßnahmen und Programme haben Sie im Rahmen des BGM in Ihrem Haus bereits umgesetzt?
In regelmäßigen Treffen und Austauschformaten können Mitarbeitende laufend an der Weiterentwicklung des BGM aktiv mitwirken.
Kernke: In regelmäßigen Treffen und Austauschformaten können Mitarbeitende laufend an der Weiterentwicklung des BGM aktiv mitwirken. In diesen Runden geben Mitarbeitende viele wertvolle Impulse, beispielsweise zum Thema Stressbewältigung, zu einer besseren Pausengestaltung oder zur Teamstärkung. Zudem haben wir zu einzelnen Arbeitsfeldern wie beispielsweise zur Therapieplanung oder zur Nutzung technischer Hilfsmittel Fokusgruppen eingerichtet, in denen die Mitarbeitenden selbst Lösungsideen erarbeiten.
Ergänzend fördern wir die individuelle Gesundheitskompetenz unserer Belegschaft beispielsweise durch bewegte Mittagspausen, Wandertage oder Kochevents für Mitarbeitende und Auszubildende. Zudem haben wir im Haus spezielle Ruhezonen mit Entspannungssesseln zur Stressprävention eingerichtet. Regelmäßige gemeinsame Frühstücke der Mitarbeitenden fördern den informellen Austausch. Außerdem motivieren wir jede und jeden Einzelnen, Fort- und Weiterbildungen im Bereich Gesundheit und Resilienz zu nutzen. Einmal jährlich findet bei uns ein Gesundheitstag statt, an dem wir Check-ups und Informationen zu aktuellen Gesundheitsthemen anbieten. Bei diesen Gesundheitstagen ist auch Platz für vertrauliche Gespräche, in denen wir unseren Mitarbeitenden bei gesundheitlichen, persönlichen oder sozialen Schwierigkeiten bei Bedarf frühzeitig Unterstützung und Hilfeangebote vermitteln.
Spegel: Und wir überarbeiten aktuell unsere Onboarding-Prozesse für neue Mitarbeitende. Wir wollen neuen Kolleginnen und Kollegen bereits beim Einstieg deutlich machen, dass Gesundheit und Wohlbefinden zentrale Bestandteile unserer Unternehmenskultur sind. Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz ist bei uns kein einmaliges Projekt, sondern ein fester Bestandteil unserer gelebten Werte und Arbeitsweise. Wer neu zu uns kommt, soll von Beginn an wahrnehmen, dass uns seine bzw. ihre Gesundheit wichtig ist.
Martin Spegel mit Dagmar Kernke
TK: Haben sich seit Einführung des BGM einzelne Faktoren spürbar oder auch messbar verändert?
Seit der Einführung des BGM sind spürbare und teilweise messbare Veränderungen eingetreten.
Kernke: Seit der Einführung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements sind sowohl auf emotionaler als auch auf struktureller Ebene spürbare und teilweise messbare Veränderungen eingetreten. Gemeinsam mit den Führungskräften haben wir beispielsweise eine Vision entwickelt, in der zentrale Aspekte des Miteinanders aufgegliedert und kontinuierlich bearbeitet werden. Dieser strukturierte Ansatz geht weit über bloße Gesundheitsförderung hinaus und beeinflusst stark unsere generelle Unternehmenskultur, fördert den Mut zur Veränderung und stärkt das Wir-Gefühl in der Klinik.
Darüber hinaus wurden Seminare für Führungskräfte durchgeführt, deren Auswertung ein durchweg positives Feedback ergab - ein Zeichen für Akzeptanz und Wirkung der BGM-Maßnahmen in der Führungskultur. Die Rückmeldungen bestätigen, dass die Angebote nicht nur angenommen, sondern auch als hilfreich für den Arbeitsalltag erlebt werden.
Unsere Teamtage zur wertschätzenden Kommunikation und zur Förderung des sozialen Miteinanders haben das Klinikklima nachhaltig positiv beeinflusst. Auch das gemeinsame Kochen als niederschwellige, aber verbindende Aktivität hat spürbar zur Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls beigetragen.
Ferner lässt sich bereits ein leichter Rückgang der Kurzzeiterkrankungen feststellen. Aktuell führen wir die zweite Befragung zur psychischen Belastung unserer Mitarbeitenden durch. Wir erwarten auch hier eine Verbesserung im Vergleich zur ersten Befragung vor etwa vier Jahren.
Zur Person
Dagmar Kernke blickt auf mehr als 40 Jahre Erfahrung im Klinikalltag zurück. Ihr beruflicher Weg führte sie von der Ausbildung und Tätigkeit als Kinderkrankenschwester über Fachweiterbildungen in den Bereichen Hygiene und Operationsdienst bis hin zur Kunst- und Kreativtherapie sowie zur Qualifikation als Betriebliche Gesundheitsmanagerin. An der Median-Klinik Mühlengrund in Bad Wildungen verantwortet sie als BGM-Beauftragte die Weiterentwicklung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen setzt sie Impulse für Personal- und Organisationsentwicklung, fördert ein gesundes Miteinander und legt einen besonderen Schwerpunkt auf psychische Gesundheit und Gruppendynamik. Ihr zentrales Anliegen ist es, Strukturen und Arbeitsumfelder so zu gestalten, dass die Mitarbeitenden mehr Lebensqualität im Berufsalltag erfahren.
TK: Was waren die größten Hürden bei der Umsetzung des BGM?
Spegel: Eine der größten Herausforderungen war zunächst, dem BGM überhaupt einen festen Platz im klinischen Alltag zu geben. Es brauchte Zeit, um Verständnis und Motivation dafür zu schaffen, sich mit dem Thema aktiv zu befassen - bei Führungskräften wie Mitarbeitenden. Ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln war essenziell. Das bedeutete: Informieren, Erklären, Abholen und BGM als Teil der Unternehmenskultur zu verankern, nicht als Zusatzaufgabe.
Die knappen zeitlichen Ressourcen waren und sind eine ständige Herausforderung.
Auch die knappen zeitlichen Ressourcen waren und sind eine ständige Herausforderung. Oft hörten wir: "Dafür ist keine Zeit." Deshalb war es wichtig, BGM alltagstauglich und praxisnah zu gestalten - etwa durch niederschwellige Angebote, feste Ansprechpartner und kleine, wirksame Maßnahmen, die sich gut in den Arbeitsalltag integrieren lassen. Gleichzeitig war es auch wichtig, die Führungskräfte einzubinden und weiterzubilden. Unser Fazit: Dranbleiben lohnt sich - so ist es uns gelungen, BGM in unserer Einrichtung Schritt für Schritt weiter zu etablieren.
TK: Was haben Sie als Klinikchef persönlich und Ihre Führungskräfte im Rahmen des BGM gelernt?
Spegel: Wir haben gelernt, dass Gesundheit bewusst gestaltet werden muss - und dass wir als Führungskräfte dabei Vorbilder sind. Wer auf die eigene Balance achtet, kann glaubwürdig für andere einstehen. Wir haben erfahren, wie wichtig aktives Zuhören und der direkte Austausch, beispielsweise im Rahmen von Fürsorgegesprächen, sind. Und dass viele kleine, konsequente Verbesserungen oft mehr bewirken als große Pläne. Eine gesundheitsorientierte Führungskultur ist ein Erfolgsfaktor - für zufriedene Mitarbeitende und für die Qualität unserer Arbeit.
TK: Welche Ziele haben Sie bislang noch nicht erreicht bzw. was steht noch auf Ihrer Agenda?
Wir haben bereits viel angestoßen, aber wir sind noch nicht am Ziel.
Spegel: Wir haben bereits viel angestoßen, aber wir sind noch nicht am Ziel. Auf unserer Agenda stehen vor allem folgende Punkte: Wir wollen das BGM noch stärker im Alltag verankern. Das gesundheitsfördernde Denken und Handeln soll ganz selbstverständlich in allen Arbeitsbereichen gelebt werden. Für die besonders belasteten Berufsgruppen wie die Pflegekräfte wollen wir noch passgenauere Angebote entwickeln, damit Maßnahmen noch individueller wirken. Und nicht zuletzt möchten wir den Erfolg des BGM künftig noch systematischer erfassen, um gezielt nachsteuern zu können.
Kurz gesagt: Wir wollen vom guten Start in eine nachhaltige Routine kommen - damit das BGM kein Projekt bleibt, sondern noch stärker ein Teil unserer Kultur wird.