TK: Wenn Sie einmal an die vergangenen drei Jahre denken: Wie hat sich Ihrer Auffassung nach der Gesundheitszustand der Studierenden verändert?

Dipl.-Psych. Katrin Obst: Die Daten unserer LUST-Studie zeigen zwischen 2019 und 2021 keine signifikanten Veränderungen in der allgemeinen Gesundheit, der mentalen Belastung oder dem Stresserleben. Allerdings waren die Inzidenzraten während der Corona-Pandemie in Schleswig-Holstein eher niedrig. Hinzukommt, dass wir unsere Studierenden immer zum Ende des Sommersemesters befragen. Bezogen auf das Pandemiegeschehen, fiel die LUST-Befragung immer in eher entspanntere Phasen. Es ist daher sehr gut möglich, dass wir die psychische Belastung unserer Studierenden während der Pandemie in unseren Daten unterschätzen. Was wir zeigen können, ist, dass der Anteil der Studierenden, die einen gesunden Umgang mit studienbedingtem Stress haben, während der letzten Jahre gesunken ist. Dazu passt, dass wir im direkten Austausch mit Studierenden sehr wohl immer wieder hören, dass die letzten Jahre herausfordernd und belastend waren. Auch Angebote am Campus zum Thema Stressmanagement und psychologischer Beratung werden gerade häufig nachgefragt.

TK: Was sind für Sie die drei großen Baustellen, die einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Studierenden haben?

Obst: Bezogen auf die letzten Jahre ist sicherlich soziale Isolation ein zentraler Punkt. Wir wissen aus eigenen Arbeiten, dass die Einbindung in den Studiengang eine protektive Wirkung gegenüber Studienstress hat. Austausch und Vernetzung kamen aber in den letzten Jahren zu kurz. Insbesondere für Studienanfänger*innen, die ja noch nicht auf ein bestehendes soziales Netzwerk zurückgreifen konnten, war dies problematisch.
Ein weiteres Thema sind fehlende Ressourcen im Umgang mit Stress und Sorgen - hier stehen Themen wie Selbst- und Zeitmanagement im Fokus. 

Wir hören in Gesprächen aber auch immer wieder, dass sich Studierende durch fehlende Perspektiven und Unsicherheiten belastet fühlen. Hier spielen gesellschaftliche Krisen wie der Krieg in der Ukraine oder auch die Klimakrise hinein, aber auch ganz private Fragen wie etwa "Was fange ich mit meinem Abschluss an?" oder "Wie will ich leben". Mehr Austausch mit älteren Studierenden oder Berufseinsteiger*innen wäre hier vielleicht sinnvoll.

TK: Was tun Sie, um den Gesundheitszustand der Studierenden an Ihrer Hochschule zu verbessern?

Obst: Wir haben seit 2014 eine Reihe von Angeboten aufgebaut, die Studierende im Studium unterstützen können. Dazu gehören Angebote zur Stressbewältigung und Achtsamkeit, digitale und analoge Bewegungspausen sowie unser Wahlfach "Gesund durchs Studium", das sich gezielt an Studienanfänger*innen richtet. 

Aus unserer Sicht ist es wichtig, nicht am Bedarf der Studierenden vorbeizuplanen. Die LUST-Studie bietet dafür die ideale Grundlage. Zusätzlich suchen wir immer wieder den Austausch mit Studierenden, in Lehrveranstaltungen, aber auch mit unseren Vertrauensstudierenden oder den studentischen Gremien. Seit 2019 haben wir außerdem das Kreativkomitee für Studierendengesundheit, indem wir gemeinsam mit interessierten Studierenden neue Maßnahmen zur Studierendengesundheit am Campus Lübeck besprechen und planen.

Darüber hinaus arbeiten wir daran, alle Unterstützungsangebote, die es auf dem Campus und in der Stadt Lübeck für junge Menschen gibt, transparent zu machen - z.B. mit unserer Notfallkarte. 

Oft gibt es sehr viele gute Unterstützungsangebote, aber niemand weiß davon. Kommunikation ist hier entscheidend. 
Dipl.-Psych. Katrin Obst

TK: Womit hilft Studentisches Gesundheitsmanagement (SGM) ein gesundheitsförderndes Umfeld zu schaffen? Worauf wird dabei besonders geachtet? Können Sie ein oder zwei konkrete Beispiele nennen, was sie im SGM umgesetzt haben oder derzeit umsetzen?

Obst: SGM hilft, das Thema gesundes Lernen und Lehren immer wieder zum Diskussionsthema zu machen. Wichtig für uns in Lübeck ist dabei neben Angeboten, die die Gesundheitskompetenz der Studierenden fördern, auch strukturelle Veränderungen mitzudenken. Durch das Projekt HySkiLabs etwa sollen bewegungsfördernde Impulse in die Lehre gebracht werden. Dazu wurde unter anderem ein Seminarraum mit bewegungsfördernden Möbeln ausgestattet. Dieser wird nun im Lehrbetrieb erprobt. Ein weiteres Thema sind Prüfungen. Diese sind einer der Hauptstressoren für Studierende. In verschiedenen Projekten erproben wir alternative Prüfungsformate, um auf diese Weise unnötigen Stress für Studierende zu reduzieren.

TK: Was müsste Ihrer Auffassung nach getan werden, um den Gesundheitszustand von Studierenden zu verbessern?

Obst: Das Thema Studierendengesundheit hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen. Viele Hochschulen in Deutschland haben tolle SGM-Projekte entwickelt. Auch wenn die letzten drei Jahre manches schwieriger gemacht haben, wäre es schade, all die guten Entwicklungen aus den Augen zu verlieren. SGM ist an vielen Hochschulen projektgebunden und auf Drittmittel angewiesen. Das heißt auch, wenn Projektförderungen auslaufen, fallen Stellen und damit Knowhow wieder weg. Die Schaffung gesundheitsfördernder Strukturen ist aus meiner Sicht aber eine stetige Aufgabe der Hochschulen. Eine Verstetigung von Stellenkapazitäten und damit auch der damit verbundenen Maßnahmen könnte hier viel bewirken. 

Inhaltlich ist es nun wichtig, genau zu schauen, welche Bedarfe sich nach der Pandemie für Studierende ergeben, aber auch, wie sich ihr Lernverhalten verändert hat. Hierbei könnte es sinnvoll sein, vor allem auf die neuen Studienanfänger*innen zu schauen. Denn auch unsere Schülerinnen und Schüler sind von der Pandemie nicht unberührt geblieben und bringen nun ihre eigenen Bedarfe und Herausforderungen mit, aber möglicherweise auch andere Vorstellungen darüber mit, wie sie gut lernen und leisten können. 

Wichtig ist außerdem, noch mehr Transparenz der bestehenden Angebote zu schaffen. Oft gibt es sehr viele gute Unterstützungsangebote, aber niemand weiß davon. Hier eine Kommunikation zu finden, die die Orientierung erleichtert, könnte schon viel bewirken.  

TK: Stichwort digitale Lehre: Fluch oder Segen für die Gesundheit der Studierenden?

Obst: Beides. Ergebnisse der LUST- Studie von 2021 zeigen, dass Studierende durch die digitalen Lernformate mehr Flexibilität in der Alltagsgestaltung sowie eine gewissen Entschleunigung erlebt haben. Auch gaben zwei Drittel der untersuchten Studierenden an, keine Sorge zu haben, dass sich ihr Studium verlängert oder Abschlussnoten verschlechtern könnte aufgrund der digitalen Lehre. Und auch jetzt berichten Studierende immer wieder, dass sie vor allem digitale Alternativen zu Vorlesungen durchaus begrüßen. Auf der anderen Seite beklagen Studierende aber die stärkere soziale Isolation und den fehlenden Kontakt zu Kommilitonen aufgrund digitaler Lehre sowie das lange Sitzen am Computer. 

Es wird eine Herausforderung für die nächsten Jahre sein, Lehrformate zu entwickeln, die die Vorzüge digitaler Lehre mit denen der Präsenzlehre zu neuen Lehrkonzepte verbinden.

Dipl.-Psych. Katrin Obst ist an der Universität zu Lübeck für die Themen  Studierendengesundheit und die Gesundheitsförderung in Studium und Beruf zuständig. Sie ist tätig am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie.

Der aktuelle TK-Gesundheitsreport beschäftigt sich mit der Gesundheit von Studierenden. Er zeigt, wie sich die Belastung in den vergangenen Jahren verändert hat.