Das zeigt eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK). Im  Vorfeld der Jahrestagung 2020 der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) e. V. haben wir den renommierten Schlafforscher Prof. Dr. Christoph Schöbel  von der Universitätsklinik Essen gefragt, warum guter Schlaf wichtig für die Gesundheit ist und wie die Digitalisierung gegen Schlafstörungen hilft.

TK: Herr Professor Schöbel, wann kann Schlaf krank machen?

Professor Christoph Schöbel: Schlaf ist fundamental wichtig für unser körperliches und geistiges Wohlbefinden. Daher kann sich ein unzureichender oder gestörter Schlaf auf unsere Gesundheit akut, aber auch langfristig auswirken. Wenn also Schlafstörungen bestehen, ist zuallererst die Krankheitsgeschichte, die sogenannte Anamnese, wichtig: welche Schlafstörungen werden beklagt, wann sind diese das erste Mal aufgetreten, wie häufig treten diese auf, welche Symptome bestehen ggf. auch am Tag, welche Begleiterkrankungen bestehen, müssen Medikamente regelmäßig eingenommen werden? Vielen Patientinnen  und Patienten mit leichten oder erst seit Kurzem bestehenden Schlafstörungen kann durch einfache Maßnahmen geholfen werden - neben der Aufklärung über die Natur des Schlafes gehören dazu Maßnahmen, die insbesondere "sensible Schläfer" umsetzen sollten, um einen gesunden Schlaf zu unterstützen - allgemein als "Schlafhygiene" bezeichnet. Bestehen jedoch Schlafstörungen an der Mehrzahl der Wochentage über 3 Monate chronisch fort und wirken sich auch auf das Tagesbefinden aus, obwohl schlafhygienische Maßnahmen umgesetzt werden, sollte eine schlafmedizinische Vorstellung erfolgen. Denn dann kann eine schlafmedizinische Erkrankung dahinterstecken.

Prof. Dr. Chris­toph Schöbel

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Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Uniklinik Essen

TK: Bei massiven Schlafproblemen wird man zur Diagnostik oft für ein oder zwei Nächte in ein Schlaflabor überwiesen. Wie kann diese Untersuchung  telemedizinisch in der häuslichen Umgebung funktionieren?

Prof. Schöbel: Stellt sich in der schlafmedizinisch-ambulanten Untersuchung heraus, dass eine körperliche Ursache für die Schlafstörungen verantwortlich sein könnte, werden diese Patienten in ein Schlaflabor geschickt. Nur hier können wir anhand von allerlei Körperwerten sehen, ob zum Beispiel die Atmung im Schlaf gestört ist oder unbewusste nächtliche Bewegungen den Schlaf stören. Dafür werden den Patienten viele Elektroden und Kabel am Körper befestigt - eine Situation, die die natürliche Schlafumgebung von zu Hause natürlich nicht widerspiegeln kann. Neue technische Methoden könnten hier helfen, diese Untersuchung in der häuslichen Umgebung durchzuführen. So könnten Messdaten telemedizinisch aus der häuslichen Umgebung des Patienten an den Schlafmediziner übertragen werden. Aufgrund der langwierigen und aufwendigen Vorbereitung der Patienten mit Anbringen aller Kabel, Gurte und Elektroden würde dies jedoch kaum zu einer Entlastung führen. Allerdings könnten neuartige kontaktarme oder gar kontaktlose Sensoren eine einfachere nächtliche Messung über mehrere Nächte in der gewohnten Schlafumgebung der Patienten ermöglichen - hierfür muss jedoch erst einmal wissenschaftlich gezeigt werden, ob diese neuartigen Sensoren auch wirklich das messen, was wir aktuell mit der Goldstandard-Methode im Schlaflabor messen können.

TK: Welche Aufgaben werden dann auf den  Patienten übertragen und welche Vor- und Nachteile können sich ergeben?

Prof. Schöbel: Generell können zusätzliche Sensoren, die am Körper angebracht werden, als schlafstörend empfunden werden. Ferner können Elektroden oder Sensoren durch Körperbewegungen im Schlaf verrutschen oder gar abfallen. Im Schlaflabor überwachen daher Nachtdienst-Mitarbeiter*innen die Schlafenden und können in solchen Fällen eingreifen, um eine gute Datenqualität sicherzustellen. In einer Fernüberwachung wäre dies nicht so einfach möglich und eine Messung müsste dann eventuell wiederholt werden. Auch bei Patienten mit schweren Grunderkrankungen könnte so z. B. im Rahmen eines Notfalls nicht adäquat reagiert werden. 
Die Vorteile neuartiger, kontaktarmer Sensorik sind jedoch darin zu sehen, dass Patientinnen und Patienten in ihrer gewohnten, häuslichen Umgebung schlafen können. Je weniger sie zusätzlich durch die Messtechnik beeinträchtigt werden, umso besser können wir ihren natürlichen Schlaf messen. Neue kontaktarme Technik würde obendrein ermöglichen, dass wir nicht mehr nur über ein oder zwei Nächte den Schlaf vermessen, sondern auch über Tage und Wochen dynamische Veränderungen im Schlaf analysieren könnten. So wissen wir zum Beispiel, dass insbesondere Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich wechselnde Ausprägungen von Atmungsstörungen im Schlaf von Nacht-zu-Nacht zeigen.  

TK: Was verstehen Sie unter dem "Smart Hospital Ansatz" bei dem telemedizinischen Schlaflabor?

Prof. Schöbel: Die Medizin und damit auch die Krankenhäuser stehen vor einer tiefgreifenden Veränderung. Sie müssen sich vielen Problemen stellen: die Entwicklung der Bevölkerungsstruktur, eine zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens und damit verbundene Herausforderungen wie etwa der Pflegenotstand machen innovative und mutige Denkansätze erforderlich, um eine patientenorientierte, für alle zugängliche medizinische Versorgung in der Zukunft zu gewährleisten. Ein zentrales Instrument dazu ist die Digitalisierung. Der "Smart Hospital Ansatz" der Universitätsmedizin Essen verfolgt klare Ziele: dem Wohl der Patientinnen und Patienten zu dienen, ihre Gesundheitskompetenz zu verbessern, im Krankheitsfall die Behandlung zu verbessern und ihnen schnellen Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Arbeitsbedingungen für die das medizinische Personal verbessert werden. So kann z. B. eine digital unterstützte Dokumentation dazu führen, dass mehr Zeit für die persönliche Zuwendung zum Patienten gewonnen wird. Auf diese Art und Weise werden diese Entwicklungen Patienten und Ärzte näher und vor allem auf Augenhöhe zusammenbringen - wo es sinnvoll ist: entweder face-to-face oder aber über Telemedizin.

Für die Tele-Schlafmedizin bedeutet das, dass digitale Methoden dazu genutzt werden, medizinisches Personal nicht nur zu entlasten, sondern in medizinischen Entscheidungen zu unterstützten. Für Patienten sollten diagnostische und therapeutische Maßnahmen nicht nur besser zugänglich gemacht werden, sondern auch den individuellen Bedürfnissen angepasst werden. So kann eine häusliche Diagnostik oder gar Therapieeinleitung bei einigen Patienten angezeigt sein, andere werden dafür die Ausstattung einer Klinik benötigen. Gleichzeitig sollten Patienten als Partner auf Augenhöhe begriffen werden. Neben dem verbesserten Austausch von Informationen können digitale Methoden helfen, fundiertes Fachwissen rund um das Thema Schlaf zu verbreiten: Denn neben der richtigen Ernährung und ausreichend Bewegung spielt gesunder Schlaf eine wichtige Rolle zur Vorbeugung von Erkrankungen.

Beim "Smart Hospital Ansatz" soll also die Technik dazu dienen, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Um all dies zu erreichen, müssen sich analoge und digitale Ansätze sinnvoll ergänzen und sollten aus Sicht der Menschen gedacht werden.

TK: Ärzte können zukünftig auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) zum Thema Schlaf verschreiben. Was halten Sie von solchen "Apps auf Rezept" und was müssen sie bieten?

Prof. Schöbel: Generell begrüße ich die Vorreiter-Rolle, die Deutschland auf Basis des Digitalen Versorgungsgesetzes (DGV) einnimmt. Mit den digitalen Gesundheitsanwendungen, den sogenannten DiGAs, wird ein komplett neues Feld in der Gesundheitsversorgung eröffnet. So können Gesundheits-Apps, die als Medizinprodukt zertifiziert wurden, nach entsprechender Prüfung durch das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) in die DiGA-Liste aufgenommen werden. Als DiGA können diese Apps dann "auf Rezept" durch die Gesetzliche Krankenversicherung bezahlt werden. Um als DiGA zugelassen zu werden, müssen die App-Hersteller sogenannte "positive Versorgungseffekte" im Rahmen der BfArM-Begutachtung nachweisen. Das bedeutet, dass durch die Anwendung der App im jeweiligen Bereich positive Effekte in Studien nachgewiesen werden konnten. Das stellt die Hersteller, aber auch die Begutachter vor Herausforderungen.

So müssen die Hersteller erst einmal die Zertifizierung der App als Medizinprodukt angehen. Hier müssen regulative Hürden in Abhängigkeit der sogenannten Risikoklasse genommen werden. Apps, die als Medizinprodukt der Risikoklasse I oder IIa zertifiziert wurden, können dann den weiteren Schritt hin zur DiGA gehen. Dabei müssen die Hersteller geeignete Studien mit unabhängigen wissenschaftlichen Instituten durchführen. Eine Sache, die für Start-Ups nicht nur kostenintensiv, sondern auch zeit- und personalaufwendig ist - ohne dass gesichert ist, dass die App dann auch wirklich als DiGA anerkannt und bezahlt wird. Aber auch für die Bewertung und Zulassung ergeben sich neue Fragen: Was bedeuten "positive Versorgungseffekte"? Aus bisherigen klinischen Studien sind wir Mediziner gewohnt, dass neue Therapien "harte Endpunkte" treffen, z. B. das Überleben verlängern oder Krankenhausaufenthalte zu vermeiden helfen. Um solche Effekte zu zeigen, müssen diese Studien sehr groß sein und lange dauern. Solche teuren Studien können sich App-Hersteller jedoch kaum leisten, außerdem würde eine lange Studiendauer der enormen Dynamik der technischen Entwicklung kaum gerecht werden. Daher müssen positive Versorgungseffekte als "weichere Ziele" wie z. B. die Verbesserung der Gesundheitskompetenz oder der Lebensqualität neu gedacht werden.

Wir befinden uns daher in einem dynamischen Prozess, der sehr spannend für alle Beteiligten ist, jedoch ein enormes Potential hat. Im schlafmedizinischen Bereich ergeben sich so z. B. Möglichkeiten, Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen zu helfen. So zeigt sich hier aktuell ein Versorgungsdefizit, welches durch entsprechende Apps mit der Vermittlung von verhaltenstherapeutischen Ansätzen verbessert werden könnte.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. med. Christoph Schöbel ist Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums an der Universitätsklinik Essen und hat die erste Professur für Schlaf- und Telemedizin in Deutschland inne. Zudem ist er Facharzt für Innere Medizin / Kardiologie / Schlafmedizin, Somnologe (DGSM, ESRS), Hypertensiologe (DHL). Er arbeitet mit seinem Team an digitalen Methoden zur Unterstützung der Medizin, mit dem Ziel, eine zuverlässige Methode zur Überwachung des Schlafes zu entwickeln, die auch zu Hause genutzt werden kann.