Weltweit leiden aktuell etwa eine Milliarde Menschen unter psychischen Erkrankungen, wobei Ängste und Suchterkrankungen zu den häufigsten Störungen zählen. Allein in der Europäischen Union (EU) entstehen dadurch pro Jahr Kosten in Höhe von geschätzt 600 Milliarden Euro.

Begleiterkrankungen verhindern

Obwohl es für viele dieser Erkrankungen effektive Behandlungsansätze gibt, wie beispielsweise die  kognitive Verhaltenstherapie,  steht die Versorgung der Patienten vor zwei großen Problemen.  Zum einen kann die Durchführung dieser Therapien aufgrund massiver logistischer Probleme sehr schwierig sein, zum anderen stehen häufig nicht genug Therapieplätze zur Verfügung, so dass viele Patienten lange auf einen Therapieplatz warten müssen. Während dieser Wartezeiten kommt es nicht selten zur Entwicklung von Begleiterkrankungen, wie zum Beispiel  einer Depression, was die Behandlung noch aufwändiger und langwieriger machen kann.

Einsatzgebiete von VR-Therapie

In meiner Arbeitsgruppe am DZNE Magdeburg erforschen wir mit Hilfe von Virtual Reality (VR), wie sich Menschen räumlich orientieren und inwiefern Orientierungsstörungen auf eine Demenz hinweisen können. VR eignet sich allerdings auch für die Therapie psychischer Störungen, wie Angsterkrankungen. Im Rahmen einer mehrjährigen Entwicklungsarbeit haben wir - in enger Kooperation mit namhaften klinischen Partnern - daher ein innovatives Virtual Reality Therapiesystem entwickelt, mit dem sich die Effizienz und Effektivität psychotherapeutischer Therapien substanziell verbessern lässt.

Prof. Dr. Thomas Wolbers

Prof. Dr. Thomas Wolbers, Chief Science Officer neomento Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Chief Science Officer neomento

Ein Beispiel: Personen mit einer sozialen Angststörung werden in Situationen, in denen sie anderen Menschen begegnen, oft von massiven Ängsten oder Selbstzweifeln geplagt: So kann beispielsweise in der Öffentlichkeit zu reden, Fremde anzusprechen oder selbst das Fahren in der U-Bahn erheblichen Stress verursachen, negative Gefühle auslösen und sie daran hindern, alltägliche Situationen zu bewältigen. Die Betroffenen versuchen daher oft, solchen Geschehnissen aus dem Weg zu gehen, was sie beruflich und privat massiv beeinträchtigt und sich letztlich auf ihren gesamten Alltag negativ auswirkt.

Flexible Anpassung möglich

Zur Behandlung dieser Störungen haben wir ein Spektrum von äußerst realen virtuellen Szenarien entwickelt, die unter anderem  Situationen in Gebäuden, im öffentlichen Nahverkehr oder auch im Freien nachbilden. In diesen Umgebungen können Betroffene gezielt Situationen ausgesetzt werden, die sie als sehr unangenehm empfinden. Durch die Konfrontation lernen sie, ihre Ängste, Gedanken und Verhalten besser an die jeweiligen Situationen anzupassen und so wieder neues Selbstvertrauen zu gewinnen. Ohne VR muss solch eine Therapie etwa in Rollenspielen nachgestellt werden, was Personal und erheblichen organisatorischen Aufwand erfordert. Mit Virtual Reality hingegen können Therapeuten viele Situationen einfach simulieren und flexibel an die jeweiligen Bedürfnisse anpassen. Damit kann man die Therapie bedarfsgerecht gestalten, zugleich lassen sich Aufwand und Kosten reduzieren.

Hoher Realitätsgrad erforderlich

Die Wirksamkeit von VR-Therapie wurde mittlerweile in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen, so dass die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften den Einsatz von VR-Therapie bei bestimmten Angsterkrankungen in ihren aktuellen Leitlinien explizit empfiehlt. Studien haben aber auch gezeigt, dass mehrere Faktoren die Wirksamkeit einer VR-Therapie beeinflussen: Zum Einen sollten die Simulationen einen sehr hohen Realitätsgrad aufweisen, d.h. die visuelle Qualität sollte exzellent und die Interaktionen mit virtuellen Personen sorgfältig durchdacht sein. Zum anderen sollte die Schwierigkeit der Expositionsszenarien flexibel veränderbar sein, damit das Aktivierungsniveau der Patienten auf einem optimalen Niveau gehalten werden kann. Schließlich ist der Aufbau einer Arbeitsbeziehung zum Therapeuten wichtig, so dass die Exposition primär in Anwesenheit von Therapeuten durchgeführt werden sollte.

Deutschlandweiter Einsatz

Aus dem Forschungsprojekt im DZNE Magdeburg entstand 2021 das spin-off Unternehmen neomento, welches die Software für den klinischen Einsatz vorbereitet hat. Mittlerweile ist das als Medizinprodukt zugelassene VR-Therapiesystem von neomento bereits an über 30 Kliniken und Praxen deutschlandweit im Einsatz, und viele Nutzer fragen bereits nach weiteren Anwendungen. So wurde kürzlich mit einer renommierten Klinikgruppe eine Kooperation zur Entwicklung von therapeutischen Szenarien für Kinder und Jugendliche geschlossen. Weitere Produktentwicklungen sind in Vorbereitung.

Einsatz steht noch am Anfang

Trotz dieser vielversprechenden Entwicklungen steht der Einsatz von VR-Therapie im klinischen Alltag noch ganz am Anfang. Auch wenn die Preise für die benötige Hardware in den letzten Jahren deutlich gefallen sind, so sind die Anschaffungskosten gerade für niedergelassene Therapeuten manchmal noch ein Hinderungsgrund. Zum anderen haben viele Kliniker bislang nur wenig Berührung mit VR-Technologie gehabt, so dass es häufig schwer fällt sich vorzustellen, wie intensiv die Erfahrungen sind, die sich mit einer hochqualitativen VR erzielen lassen. Mit neomento gehen wir daher gezielt auf medizinische Kongresse und Messen, um möglichst viele potenzielle Nutzer von den Möglichkeiten der VR-Therapie zu überzeugen.

Zur Person

Nach Studium und Promotion im Fach Psychologie an der Universität Hamburg absolvierte Prof.  Dr. Thomas Wolbers mehrjährige Forschungssaufenthalte in Kalifornien und in Edinburgh. Seit 2012 ist er Professor für Altern, Kognition und Technologie am DZNE Magdeburg. Sein Forschungsprogramm zielt darauf ab, neuronale und Verhaltensmechanismen besser zu verstehen, die zu kognitiven und emotionalen Störungen im Alter und bei Demenz führen. Prof. Wolbers arbeitet seit über 20 Jahren mit VR-Technologie, was 2021 zur Ausgründung von neomento, dem ersten spin-off Unternehmen aus dem DZNE, führte. Als Chief Science Officer von neomento ist  Wolbers aktuell für die Forschung zu und die Entwicklung von VR-Therapien maßgeblich verantwortlich.