TK: Sehr geehrter Professor Kroemer, Sie sind seit 1. September 2019 Vorstandsvorsitzender der Charité - Ihre ersten anderthalb Jahre standen damit fast vollständig im Zeichen der Pandemie. Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Prof. Dr. Heyo Kroemer: Die ersten Monate meiner Tätigkeit waren ein normaler Start, wie es in einer Universitätsmedizin üblich ist. Die Zeit war geprägt vom Kennenlernen von Kolleginnen und Kollegen und externen Partnern sowie dem Austausch zu Prozessen und Themen, die die Charité bewegen. Mit dem Pandemiebeginn im Februar 2020 änderte sich dies und die Bewältigung einer nie da gewesenen Situation für die Charité und Deutschland stand im Fokus.

Es waren intensive anderthalb Jahre, da es mit den internen und externen Entscheidungsträgern einen engen Austausch und Abstimmung brauchte und Herangehensweisen teilweise völlig neu gedacht werden mussten. Zum Beispiel wurde, koordiniert von der Charité, das Netzwerk Universitätsmedizin gegründet, um die Covid-Forschungsaktivitäten aller Universitätskliniken in Deutschland zu bündeln und zu stärken. 

Prof. Dr. Heyo Kroemer

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Vorstandsvorsitzender der Charité - Universitätsmedizin

TK: Die Charité hat Ende letzten Jahres das ambitionierte Strategiepapier "Charité 2030 - Gesundheit neu denken" veröffentlicht. Ein Schwerpunkt ist die Translation. Welche ersten Schritte haben Sie in diesem Bereich unternommen?

Prof. Kroemer: Gerade in Zeiten einer herausfordernden Pandemie zeigt sich, wie wichtig und unabdingbar eine zukunftsfähige Strategie ist. In einem einjährigen Strategieprozess wurden daher Schwerpunkte identifiziert und priorisiert. Im Fokus stehen neben den fundamentalen Weiterentwicklungen der Medizin auch die Translation von wissenschaftlicher Erkenntnis in die klinische Versorgung und der Transfer von gesundheitsförderndem Wissen in die Gesellschaft im Sinne der Prävention. Ersteres ist zugleich die Mission des Berlin Institute of Health (BIH).

Mit der Integration des BIH zum Jahresbeginn in die Charité wurde das BIH zum Translationsforschungsbereich und bildet neben Klinikum und Medizinischer Fakultät die dritte Säule unserer Universitätsmedizin. Dies ist eine einmalige, wissenschaftspolitisch relevante Initiative, da der Bund sich erstmals strukturell in einer Einrichtung der Universitätsmedizin einbringt. Jetzt geht es darum, die Rahmenbedingungen noch weiter zu optimieren, um beste Voraussetzungen für die translationale Forschung zu schaffen. Wir sind sehr optimistisch, dass uns dies gelingt. 

TK: …und im Feld der Digitalisierung? 

Prof. Kroemer: Digitalisierung ist natürlich ein Grundstein unserer Strategie. Es gibt in diesem Bereich sehr viele Projekte und Initiativen, die durch Corona entstanden bzw. beschleunigt wurden. Ein Beispiel dafür ist die telemedizinische Versorgung von Intensivpatienten per Visitenroboter. Als Universitätsklinik sind wir auf die Behandlung von schwersterkrankten Patienten mit akutem Lungenversagen spezialisiert.

Um dieses Wissen und Erfahrung für eine bestmögliche Therapie des Patienten weiter zu geben, wurden alle teilnehmenden Kliniken mit Telemedizin-Equipment wie Visitenroboter ausgestattet. Per Audio- und Video-Übertragung schalten sich Charité-Experten zur gemeinsamen Visite dazu und unterstützen die Kolleginnen und Kollegen in den Kliniken vor Ort. 

TK: Im Herbst wird ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Was sind Ihre gesundheitspolitischen Ideen und Forderungen für die Charité an den kommenden Berliner Senat? 

Prof. Kroemer: Als Charité wünschen wir uns vom Senat weiterhin eine kooperative, vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit sowie Unterstützung für die Umsetzung unserer Vorhaben im Rahmen der Charité Strategie 2030.

Wir möchten mit dem Vertrauen und der Unterstützung des Landes die Biomedizin schwerpunktmäßig weiterentwickeln. Dies ist unsere Antwort auf die Entwicklungen der Demografie, Medizin und Digitalisierung, die uns alle betreffen. Zugleich sind wir einer der größten Arbeitgeber der Stadt und leisten einen essenziellen Beitrag zur Wertschöpfung. 

TK: Die Pandemie hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Gibt es Dinge, die Sie auch nach der Pandemie beibehalten wollen? 

Prof. Kroemer: Ich persönlich schätze den direkten, persönlichen Austausch mit anderen Menschen sehr, was derzeit nur eingeschränkt möglich ist. Wir haben aber auch viele Dinge gelernt: Es braucht nicht immer Präsenzmeetings und damit verbundene Dienstreisen. Auch in digitalen Terminen kann man sich zielführend austauschen und effektiv miteinander arbeiten. Hoffentlich wird bald wieder beides möglich sein. 

Zur Person 

Heyo K. Kroemer, 1960 in Leer/Ostfriesland geboren, studierte Pharmazie an der Technischen Universität Braunschweig und habilitierte sich in Tübingen. Seit dem 1. September 2019 ist er Vorstandsvorsitzender der Charité - Universitätsmedizin Berlin. Davor war er hauptamtlicher Dekan, Vorstand für Forschung und Lehre und Vorstandssprecher der Universitätsmedizin Göttingen.

Er bekleidete bis 2012 den Lehrstuhl für Allgemeine Pharmakologie an der Medizinischen Fakultät Greifswald und war zudem von 2000 bis 2012 dort Dekan. 2018 wurde er zum Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gewählt. Seit 2020 ist er zudem Vorstandsmitglied des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands e. V. (VUD).