"Man muss das wollen", sagt Ulf Zitterbart. Gelassen sitzt er im Stuhl, wenig Emotion schwingt in seinen Worten, die etwas für ihn Selbstverständliches ausdrücken. Ulf Zitterbart redet von seinem "Job". Denn so nennt er das, womit er seine Brötchen verdient - einen Job eben, keine Berufung oder dergleichen. Ulf Zitterbart ist Allgemeinmediziner. Er ist das, was man gemeinhin als Landarzt bezeichnen würde.

Im beschaulichen Kranichfeld, südlich von Weimar, lebt und arbeitet der Familienvater in einer Gemeinschaftspraxis. In der Provinz also - knapp über 3300 Einwohner zählt die Gemeinde mit den drei Ortsteilen. Doch von Trostlosigkeit und immer den gleichen mäßig interessanten Fällen in seinem "Provinzwartezimmer" kann Ulf Zitterbart nicht berichten.

Von zwei bis 96

Ganz im Gegenteil: Gerade die Abwechslung und Vielfalt sind es, die ihn so an seiner Arbeit begeistern. "Zwei bis 96", antwortet Zitterbart auf die Frage, wie alt denn seine Patientinnen und Patienten sind. Und die kommen mit den unterschiedlichsten Anliegen zu ihm in die Praxis.

Nicht, dass er sich über kranke Menschen freue. Aber es sei schon eine immer neue spannende Herausforderung, aus Patientengesprächen und Untersuchung Diagnosen zu erschließen. Ein breites Spektrum an Wissen sei da gefordert und - ebenfalls ganz wichtig - stets ein offenes Ohr zu haben für die Anliegen des Gegenübers.

Dr. Ulf Zitter­bart

Ulf Zitterbart, Landarzt in Kranichfeld, Vorsitzender des Thüringer Hausärzteverbandes Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Landarzt in Kranichfeld, Vorsitzender des Thüringer Hausärzteverbandes und stellvertretender Vorsitzender des kassenärztlichen Parlamentes

7 Uhr morgens beginnt der Arbeitstag von Landarzt Ulf Zitterbart. "In der Regel ist bis in die Mittagsstunden Sprechstunde. In der Mittagszeit beginnt die Infektionssprechstunde, die besonders im Dezember vergangenen Jahres extrem stark besucht wurde", beschreibt er den weiteren Ablauf. Die Nachmittage nutzt er an drei Tagen in der Woche für Hausbesuche und sonst für Sprechstunden, Büroarbeit und politische Tätigkeiten.

Hausbesuche - wichtige Pflicht

Die Hausbesuche empfindet Zitterbart nicht als zeitraubende Belastung, sondern als wichtige Pflicht. "Es kann nun mal nicht in jedem Dörfchen einen Hausarzt geben, aber die Menschen haben ein Recht auf medizinische Versorgung vor Ort."

Deswegen macht nicht nur Ulf Zitterbart selbst Hausbesuche bei seinen Patientinnen und Patienten. In der Kranichfelder Gemeinschaftspraxis arbeitet eine von rund 480 in Thüringen tätigen nichtärztlichen Praxisassistentinnen und -assistenten. Die sogenannte VERAH macht auch Hausbesuche.

Silversurfer nutzen technische Helferlein

In einigen Fällen werden Hausbesuche durch telemedizinische Lösungen unnötig. 

"Eine Patientin zeigte mir auf dem Tablet Bilder vom Hautausschlag ihres Mannes. In dieser Situation wusste ich sofort, dass hier eine medizinische Behandlung notwendig ist. Auch war offensichtlich, worum es sich handelt." Was Zitterbart auffällt: Die Zahl der "Silversurfer" steigt und steigt, auch die älteren Patientinnen und Patienten informieren sich im Internet.

Ein wichtiger Baustein zur Förderung der Allgemeinmedizin und überhaupt der ambulanten Medizin im Studium ist bisher nicht umgesetzt.
Dr. Ulf Zitterbart

Neben vier Fachärztinnen und -ärzten, einem Arzt in Weiterbildung, sieben Schwestern, Reinigungskraft und Hausmeister gehören regelmäßig auch Medizinstudentinnen und -studenten zum Team der Kranichfelder Provinzpraxis, die zugleich akademische Lehrpraxis ist.

"Natürlich gehen viele Studentinnen und Studenten eher in die Städte, um dort den Praxisalltag kennenzulernen. Sicher hat das auch was mit der Anbindung an Bus und Bahn zu tun", sagt Zitterbart. Die, die zu ihm kommen, geben durchweg positives Feedback.

Team-Praxis gehört auf politische Agenda

Der Ärztemangel treibt Zitterbart besonders um, was ein Grund für sein Engagement im kassenärztlichen Parlament ist. "Derzeit haben etwa 100.000 Menschen in Thüringen keinen in der Nähe verfügbaren Hausarzt. 68 Stellen sind unbesetzt. Dies insbesondere in strukturschwachen Regionen. Der Mangel wird politisch in meinen Augen aber falsch interpretiert", sagt er. Die aktuell diskutierte Hausarztquote in Verbindung mit zehn Prozent mehr Studienplätzen für Thüringen seien Schritte in die richtige Richtung.

Land­arzt

Landarztpraxis von Dr. Ulf Zitterbart in Kranichfeld, Thüringen (Fotograf: Sascha Fromm) Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Landarztpraxis von Dr. Ulf Zitterbart in Kranichfeld, Thüringen (Fotograf: Sascha Fromm)

"Ein wichtiger Baustein zur Förderung der Allgemeinmedizin und überhaupt der ambulanten Medizin im Studium ist bisher allerdings nicht umgesetzt. Ich meine den Masterplan 2020, der das Studium reformiert und mehr in die Praxis führt. Eine bessere Orientierungshilfe gibt es nicht", sagt Zitterbart. Es sei wichtig, dem Fach Allgemeinmedizin einen größeren Stellenwert zuzugestehen. In Ansätzen geschehe das bereits.

Das Thema Team-Praxis ist noch nicht da angekommen, wo es hingehört, nämlich auf die Priorisierung der politischen Agenda.
Dr. Ulf Zitterbart

Was der Kranichfelder Landarzt außerdem für sinnvoll erachtet: "Die bestehenden Strukturen der Haus- und Facharztpraxen sollten genutzt werden und mit den richtigen Fördermaßnahmen in die Peripherie expandieren. Ein wichtiger Baustein dazu wäre die Förderung von Anstellungsmöglichkeiten für hoch qualifiziertes mittleres medizinisches Personal. Dies ist momentan aber nicht vorgesehen und die Abrechnungsstrukturen beinhalten immer die Konsultation beim Arzt.

Das Thema Team-Praxis ist noch nicht da angekommen, wo es hingehört, nämlich auf die Priorisierung der politischen Agenda. Politisch wird geglaubt, mit Gesundheitskiosken und ambulanter Öffnung der Krankenhäuser dem Mangel begegnen zu können. Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird."

Was Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten für angehende Landärztinnen und -ärzte angeht, sieht Zitterbart bei Land und Kommunen noch Handlungsspielräume. Als Beispiele nennt er bereitgestellten Wohnraum oder Kita-Plätze.

Abwechslung und Verdienst sind toll

Er als Familienmensch habe sich bewusst für die Tätigkeit auf dem Land entschieden. Die Infrastruktur sei in den meisten Regionen Thüringens soweit gegeben, dass man keine allzu großen Abstriche machen muss. 20 Minuten dauert die Fahrt mit dem Auto von Kranichfeld nach Weimar oder Erfurt. Bis auf ein Gymnasium findet Zitterbart in dem kleinen Ort alles, was er für sich und seine Familie benötigt.

Dinge, die Zitterbart an seiner Arbeit toll findet, fallen ihm sofort ein: die Abwechslung und der Verdienst. Als er gefragt wird, was weniger toll ist, grübelt er zunächst. Der Stellenwert der Allgemeinmedizin und die Anerkennung von Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern seien noch ausbaufähig. Außerdem habe sich die Arbeitszeit in den letzten Jahren verschoben. "Es ist deutlich mehr geworden. Insbesondere spielen hier eine abgehobene Bürokratie und falsches Vorgehen in der Digitalisierung in der Medizin eine Rolle. Letzteres könnte durchaus hilfreich sein, ist in Deutschland momentan aber leider noch schlecht gemacht."