TK: Herr Dr. Omid Madadi-Sanjani Sie sind Oberarzt für Kinderchirurgie an der MHH und waren neben der TK und der ÄKN maßgeblich an der Entwicklung und Umsetzung von Stuhlkarten beteiligt. Was sind Stuhlkarten und warum haben Sie überhaupt einen Bedarf der Stuhlkarten gesehen?

Dr. Omid Madadi-Sanjani: Leider verstecken sich seltene Erkrankungen hinter häufigen Merkmalen. Bei seltenen frühkindlichen Lebererkrankungen kann es neben der Gelbsucht, die bei einer Vielzahl von Kindern ohne Krankheitswert auftritt, zu entfärbten Stühlen kommen, die einen Hinweis auf eine Galleabflussstörung sein können. Ein Krankheitsbild aus dieser Gruppe ist die Gallengangatresie, deren Ursache noch nicht geklärt ist, die jedoch in kürzester Zeit zu einer fortgeschrittenen Leberschädigung führt. Trotz der geschätzten Zahl von 35 - 50 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland, ist die Gallengangatresie die häufigste Ursache für Lebertransplantationen im Kindesalter. Da viele Eltern, gerade wenn es sich um das erste Kind handelt, nicht wissen welche Farbvariationen der Neugeborenenstuhl annehmen kann, ist ein positiver Lerneffekt durch eine (Stuhl-) Farbskala wissenschaftlich belegt. Eltern sollen in den Kontrollprozess mit eingebunden werden, da die Abstände zwischen den U-Untersuchungen groß sind und bei auffälligen Befunden frühzeitig weitere Untersuchungen eingeleitet werden müssen. Neben der Hilfestellung für die Eltern sollen deshalb Stuhlkarten die Aufmerksamkeit auf diese seltenen Krankheitsbilder im Kleinkindesalter richten. Leider zeigen uns unsere bisherigen Erfahrungen in den spezialisierten Kinderleberzentren, dass insbesondere im Fall der Gallengangatresie die Diagnose häufig zu spät gestellt wird und es somit zu Verzögerungen in der Behandlung mit Risiken von Komplikationen kommen kann. Da mit Stuhlkarten bereits positive Erfahrungen in zahlreichen Ländern gesammelt werden konnten, sahen wir auf Grund der Versorgungslücken frühkindlicher Lebererkrankungen die Notwendigkeit von Maßnahmen auch in Deutschland.

Trotz der geschätzten Zahl von 35 - 50 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland, ist die Gallengangatresie die häufigste Ursache für Lebertransplantationen im Kindesalter. Dr. Omid Madadi-Sanjani

Dr. Omid Madadi-Sanjani

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Oberarzt für Kinderchirugie der Medizinischen Hochschule Hannover 

TK: Welches Risiko besteht, wenn der Gallengangverschluss bei Säuglingen nicht schnell genug erkannt wird?

Dr. Madadi-Sanjani: Bei der Gallengangatresie schreitet die Leberschädigung unaufhaltsam voran und führt ohne Einschreiten zum Leberversagen innerhalb kürzester Zeit. Mögliche Folgen sind neben der unzureichenden Gewichtszunahme auch Blutungen an Hautoberflächen, im Darm oder auch im Kopf, die durch die eingeschränkte Leberfunktion zu Stande kommen. Bei der Gallengangatresie ist der Faktor Zeit grundsätzlich sehr wichtig. Trotz spärlicher Versorgungsdaten wissen wir, dass die frühzeitige Diagnose und Therapie, im besten Fall bei Kindern jünger als 60 Lebenstagen, eine Chance für ein Leben mit eigener Leber ermöglicht. Dies betrifft ca. 20 - 30% der Erkrankten im Langzeitverlauf, die nach der sogenannten Kasai-Operation keine Lebertransplantation benötigen. Glücklicherweise haben sich über die letzten Jahrzehnte durch Entwicklungen insbesondere der Transplantationschirurgie, Kinderhepatologie und Kinderchirurgie die Überlebensraten der betroffenen Kinder massiv gebessert.

Glücklicherweise haben sich über die letzten Jahrzehnte durch Entwicklungen insbesondere der Transplantationschirurgie, Kinderhepatologie und Kinderchirurgie die Überlebensraten der betroffenen Kinder massiv gebessert. Dr. Omid Madadi-Sanjani

TK: Zuletzt gab es einen GBA-Beschluss für die Früherkennung der Gallengangatresie. Was bedeutet das genau?

Dr. Madadi-Sanjani: Die Anerkennung dieser Versorgungslücke durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ist ein riesiger Schritt in die richtige Richtung und unser Dank gilt den Kollegen des GBA, die sich für die Verbesserung der Versorgung von frühkindlichen Lebererkrankungen eingesetzt haben. Dies wäre ohne das niedersächsische Stuhlkarten-Projekt der MHH und der Techniker Krankenkasse, sowie die Unterstützung durch unsere kinderchirurgischen, kindergastroenterologischen und neonatologischen Kollegen aus Hannover, Berlin, Tübingen, München und Hamburg nicht möglich gewesen.

Neben der Integration einer Stuhlfarbskala in das Gelbe Heft, soll es eine Aufklärungskampagne geben, von der wir uns eine erhöhte Aufmerksamkeit erhoffen, die zur früheren Einleitung weitere Untersuchungen bei auffälligen Kindern führen soll.

TK: Wird der Stuhlkarteneinsatz von den Krankenhäusern in der Praxis auf den Geburtsstationen unterstützt?

Dr. Madadi-Sanjani: Hier kann ich nur auf die niedersächsischen Erfahrungen des Gemeinschaftprojektes der MHH und der TK hinweisen - wir haben in zwei Fragerunden größtenteils positives Feedback aus den Entbindungskliniken erhalten und es häufen sich in den letzten Monaten immer mehr Anfragen aus Geburtsstationen anderer Bundesländer, die auch mit den bisherigen Stuhlkarten versorgt werden wollen. Man sieht hier eine große Bereitschaft aller Beteiligten (Hebammen, Kinder- und Frauenärzte), auch mit zusätzlicher Arbeit, die Versorgung von Neugeborenen zu verbessern und ich möchte meinen größten Dank an alle aussprechen, die diese Maßnahmen unterstützt haben.

TK: : Im vergangenen Jahr waren die Kinderstationen in den Krankenhäusern aufgrund des RS-Virus stark belastet. Können Sie uns eine Einschätzung geben, ob sich die Situation wieder entspannt hat?

Dr. Madadi-Sanjani: Auch wenn die Welle der RS-Virus Erkrankungen größtenteils überstanden ist, ist das pflegerische und ärztliche Personal der Kinderkrankenhäuser ständigen Herausforderungen gegenübergestellt. Es erfüllt mich mit Stolz in solchen Teams, die nicht selten das Unmögliche noch möglich machen, zu arbeiten und auch gegen Widerstände die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten. 

Es erfüllt mich mit Stolz in solchen Teams, die nicht selten das Unmögliche noch möglich machen, zu arbeiten und auch gegen Widerstände die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten. Dr. Omid Madadi-Sanjani