TK: Die Kaiserschnittrate ist in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Eine aktuelle Auswertung der TK zeigt, dass sie im vergangenen Jahr bei 33 Prozent lag - knapp 13 Prozent höher als drei Jahre zuvor. Wie ist die Situation am UKSH?

Prof. Dr. Nicolai Maass: Bei uns am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein lag der Anteil der Sectio in den vergangenen Jahren stabil bei rund 30 Prozent. Derzeit ist sie wieder leicht angestiegen auf 33 Prozent und entspricht damit auch der Auswertung unter den TK-Versicherten. 

TK: Was tun Sie als Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am UKSH Campus Kiel, um die natürliche Geburt zu stärken?

Prof. Maass: Bei einer Beckenendlage des Kindes - sprich wenn nicht der Kopf, sondern eben das Beckenende vorausgeht - wird häufig ein Kaiserschnitt durchgeführt. Doch das ist nicht unbedingt ein Muss. Man kann in diesen Fällen auch spontan entbinden. Wir klären die werdenden Mütter darüber auf und machen ihnen die Vorteile einer natürlichen Geburt deutlich. Außerdem führen wir auch die sogenannte äußere Wendung durch und bringen das Baby im Mutterleib so in die richtige Geburtsposition mit dem Kopf nach unten. Wir versuchen zudem Frauen zu einer spontanen Geburt zu motivieren, wenn die erste Entbindung ein Kaiserschnitt war. Das Angebot einer großzügige Periduralanästhesie (PDA) zur Linderung der Schmerzen kann ebenfalls darin bestärken, es auf natürlichem Wege zu versuchen. 

Die werdenden Eltern umfassend aufzuklären und bei ihrer Entscheidung an die Hand zu nehmen, ist für die Stärkung der natürlichen Geburt ganz entscheidend. Da hilft auch das gemeinsame Projekt Shared Decesion Making  von UKSH und TK.

Die werdenden Eltern umfassend aufzuklären und bei ihrer Entscheidung an die Hand zu nehmen, ist für die Stärkung der natürlichen Geburt ganz entscheidend. Prof. Dr. Nicolai Maass, Direktor der Gynäkologie und Geburtshilfe am UKSH Campus Kiel

TK: Wie kann das Projekt denn konkret bei der Entscheidung unterstützen?

Prof. Maass: Die Idee von SDM ist ja, die Patientinnen und Patienten zu kompetenten Entscheidungsträgern zu machen. Genau das versuchen wir auch im Falle der bereits erwähnten Beckenendlage. Mithilfe von wissenschaftlich fundierten und verständlichen Online-Materialien werden die Eltern über die Lage und die beiden Optionen - Kaiserschnitt oder natürliche Geburt - aufgeklärt. Fragen zu möglichen Komplikationen, Dauer und die Auswirkungen für Mutter sowie Kind werden beantwortet. In einer gemeinsamen Entscheidungsfindung wird dann die Wahl getroffen. 

TK: Was sind denn eigentlich die konkreten Vorteile einer natürlichen Geburt im Gegensatz zum Kaiserschnitt?

Prof. Maass: Es darf nicht vergessen werden: Ein Kaiserschnitt ist immer ein operativer Eingriff und bringt somit auch gewisse Risiken wie die Gefahr einer Thrombose oder einer Infektion mit sich. Es können später Verwachsungen im Bauch entstehen. Auch ist die Mutter nach so einer OP meist etwas eingeschränkter als nach einer natürlichen Geburt. Wir versuchen aber, dass auch beim Kaiserschnitt die Mutter ihr Kind direkt an die Brust anlegen kann und schnell eine Bindung entsteht.

Es darf nicht vergessen werden: Ein Kaiserschnitt ist immer ein operativer Eingriff und bringt somit auch gewisse Risiken wie die Gefahr einer Thrombose oder einer Infektion mit sich. Prof. Dr. Nicolai Maass, Direktor der Gynäkologie und Geburtshilfe am UKSH Campus Kiel

Bei der Spontangeburt geht es aber auch um den Weg durch den Geburtskanal. Für die Lungenfunktion der Neugeborenen ist der Übergang aus dem Uterus durch den Geburtskanal ins Leben wichtig. Bei einem Kaiserschnitt hingegen kommt das Kind von einer Sekunde auf die andere aus dem Fruchtwasser in die "normale" Welt. Das kann mitunter zu Adaptionsproblemen der einzelnen Organe führen, die sich erst an das Leben außerhalb des Uterus einstellen müssen.  

TK: In welchen Fällen ist ein Kaiserschnitt alternativlos?

Prof. Maass: Bei Frühchen, die vor der 28. Woche zur Welt kommen, ist ein Kaiserschnitt ratsam. Denn die Kinder haben einfach noch zu wenig Kraft für den Weg durch den Geburtskanal. Auch Zwillingsgeburten haben ein höheres Risiko für Kaiserschnitte und wenn der Mutterkuchen vorm Muttermund liegt, müssen wir zwangsweise operieren. 

Weitere Informationen zu Shared Decision Making

Bei vielen Erkrankungen gibt es verschiedene, gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten: beispielsweise Operieren, medikamentös behandeln oder sogar abzuwarten. Mit Shared Decision Making zeigen die TK und das UKSH in Kiel seit 2017, wie Patientinnen und Patienten bei der Entscheidungsfindung besser mit eingebunden werden können.